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Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen

posted by Johannes Mayrhofer 9. August 2016 0 comments

Etwas zu verändern ist mühsam und anstrengend. Alternativ können wir auch aussterben.

Das ist natürlich etwas überspitzt formuliert. Aber unabhängig von Herkunft, Alter, Religion, politischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Hautfarbe etc. wird man wohl die Ansicht teilen, dass auf dieser Welt einiges gröber schiefläuft.  Laut einigen wissenschaftlichen Studien erwarten uns in den nächsten 40 Jahren der Zusammenbruch unseres Ökosystems und das 6. Massensterben auf diesem Planeten. Unter diesen Massen dürften sich auch große Teile der Menschheit befinden.

Das müssen wir in unserer Festung des Wohlstands, nennen wir sie „Der Westen“, jetzt nicht so dramatisch sehen, es geht uns ja – trotz zerbrechender Demokratien in Nachbarländern, Terroranschlägen und Wahlwiederholungen – eigentlich noch immer ganz gut. Uns einfach so auf unseren (nicht selbstverdienten) Lorbeeren auszuruhen und auf die Apokalypse unseres Ökosystems zu warten, sollten wir aber nicht, denn jene, deren Lebenswelten zusammenbrechen, werden sich neue suchen und es wird vermutlich zu Konflikten mit denen kommen, deren Lebensbedingungen stabiler sind. Europa hat große Schwierigkeiten mit dem Umgang verhältnismäßig weniger Kriegsflüchtlinge. Nicht auszudenken, was passiert, wenn die Klimaflüchtlinge kommen. Nahezu alles auf diesem Planeten dreht sich durch oder ums Erdöl. Die Weltbevölkerung wächst viel zu schnell. Nahrungsmittelknappheit kündigt sich an. Banken crashen und Immobilienmärkte platzen regelmäßig. Wir verschwenden viel zu viel Energie und nicht zuletzt sorgt die künstliche Klimaerwärmung für immer zerstörerischere Naturkatastrophen.

Das ist die dystopische Ausgangslage der Dokumentation Tomorrow, in der gesellschaftliche Probleme wie Terrorismus, wiederausbrechende Rassenkonflikte oder gar ein möglicher Präsident Donald Trump noch gar nicht eingerechnet sind. Es steht scheinbar sehr schlecht um unsere Zukunft, um unser Morgen. Ausgangslage des Films Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen ist die beängstigende Studie Approaching the state shift in Earth’s biosphere, die Anthony D. Barnosky – Experte für Paläontologie und Professor für integrative Biologie an der Universität Berkeley – mit zwanzig weiteren Expertinnen und Experten im Magazin Nature im Jahr 2012 veröffentlichte. Die Schauspielerin Mélanie Laurent, die uns spätestens seit ihrer Rolle als Shosanna in Quentin Tarantinos Inglourious Basterds im Gedächtnis ist, hat Angst um die Zukunft ihres Kindes. Sie will in Tomorrow einen positiveren Blick auf die Zukunft finden und zeigen. Gemeinsam mit dem Regisseur, Autor, Dichter und Aktivisten Cyril Dion und weiteren Freunden aus der Medienwelt begibt sie sich auf eine Odyssee um die ganze Welt, um Orte und Projekte zu finden und zu dokumentieren, die als leuchtende Beispiele dienen und zeigen, dass es auf dieser Welt durchaus Menschen gibt, die versuchen, die Zukunft und unsere Welt positiv und nachhaltig zu gestalten. Finanziert wurde Tomorrow übrigens von 10.266 Menschen via Crowdfunding.

Tomorrow reiht sich nicht in die Reihe jener Dokumentationen, die mit dem Finger auf alles Schlechte deuten und unseren Untergang vorhersagen

Tomorrow reiht sich nicht in die Reihe jener Dokumentationen, die mit dem Finger auf alles Schlechte deuten und unseren Untergang vorhersagen, obgleich das Medium Film, sehr gern mit unserem drohenden Untergang spielt. Tomorrow will das genaue Gegenteil erreichen. Mélanie und ihr Team fliegen um die Welt und präsentieren uns in fünf Kapiteln Vorzeigeprojekte aus den Bereichen Agrarwirtschaft, Energie-Management, Wirtschaft beziehungsweise Währung, Demokratie und Bildung. Damit diese Themen nicht zu trocken und theoretisch aufgearbeitet werden, sorgen immer wieder nette Landschaftsmontagen mit schönen Songs von Frederika Stahl für Auflockerung.

Im ersten Kapitel geht es um Landwirtschaft. Wenn man dem Film glaubt, der immer auch Experten zitiert, wird die weltweite Nahrungsmittelproduktion zu 75% von Kleinbauern gestemmt. Die Message lautet: „Große Konzerne sind gut darin, Geld zu machen, aber schlecht darin, Lebensmittel effizient zu produzieren.“ Dass es auch anders oder besser geht, zeigt der Film unter anderem am Beispiel von Detroit, wo Urban Farming mittlerweile einen bedeutenden Teil der Nahrung für die verarmte Stadt stellt. Auch Permakulturen in Frankreich, Afrika oder England werden gezeigt. Fazit: Wer effizient anbaut, kann umweltschonend mit deutlich weniger Fläche ebenso große Gewinne und Erträge einfahren wie die industrielle Landwirtschaft. Entscheidend ist der Wille dazu.

tomorrow 5 topics

Um nicht die ganze Dokumentation vorwegzunehmen, seien nur noch einige Beispiele der folgenden Kapitel genannt. In England gibt es eine Stadt, in der es zur regulären Währung 21 Pfund-Banknoten gibt, San Francisco recycelt 80 Prozent seines Mülls, in Finnland gehen die Kinder weniger zur Schule, schneiden dafür aber besser ab, die USA werden mittlerweile nicht mehr als Demokratie sondern als Oligarchie eingestuft und die Bevölkerung Islands hat vorgezeigt, wie man mit der Regierung und Demokratie umzugehen hat, wenn diese das Land komplett in den Sand gefahren haben.

Fazit ist, dass lediglich Gier und Machtgewinn deutlich effizienteren und klügeren Lösungen im Wege stehen.

In jedem Kapitel werden mehrere positive Beispiele aus Ländern der ganzen Welt gezeigt. In Interviews wird das Gezeigte von Expertinnen und Experten erklärt und belegt. Fazit ist, dass lediglich Gier und Machtgewinn deutlich effizienteren und klügeren Lösungen im Wege stehen. Kritisch angemerkt werden muss, dass eine Dokumentation niemals objektiv ist, allein weil sie durch ihre zeitliche Begrenzung immer nur einen Ausschnitt zeigen kann. Dadurch wirkt Tomorrow angesichts komplexer globalpolitischer und wirtschaftlicher Strukturen teilweise ein wenig gutgläubig. Das ändert aber nichts daran, dass hier Initiativen, Projekte, Städte und Unternehmen gezeigt werden, die funktionieren und vormachen, wie man aus alten Strukturen ausbrechen und mit Innovation und dem Willen zum Wandel sehr erfolgreich sein kann.

 

Tomorrow ist einer der seltenen Filme, der das Publikum tatsächlich froh und hoffnungsvoll entlässt und den man, unabhängig davon, ob man an eine mögliche bessere Zukunft glauben will oder das Gezeigte kritisert,  auf jeden Fall gesehen haben sollte. Abschließend möchte ich Cyril und Mélanie selbst beantworten lassen, ob das Ganze nicht doch ein wenig zu naiv ist:

Unsere Absicht war es nicht, die eine Antwort auf den Zusammenbruch
zu geben, sondern eine neue Geschichte zu erzählen. Etwas – wenn auch nur
Bescheidenes – zur Entstehung einer neuen Kultur, einer neuen Darstellung
der Welt beizutragen. Der Anfang liegt immer in der Schaffung von etwas
Imaginärem und in jedem Zeitalter lag diese Verantwortung unter anderem bei
den Künstlern, durch Bücher, Filme, Bilder oder Songs etwas zu erschaffen, das
diese Veränderung beschreibt.

– Cyril

Initiativen wie Permakultur, lokale Währungen oder erneuerbare Energien
zeichnen das Bild einer alternativen Welt. Demotivierend ist, dass es sich scheinbar
nur um vereinzelte Initiativen handelt. Aber die warten nur darauf, vereint zu werden!
Es gibt bereits eine Welt, die Lösungen bereithält. Und das ist auf jeden Fall inspirierend!

– Mélanie

 

Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen
(Original-Titel: Demain)
Regie: Cyril Dion, Mélanie Laurent
Drehbuch: Cyril Dion
Soundtrack: Frederika Stahl
Mit: Anthony D. Barnosky, Emmanuell Druon, Jan Gehl, Perrine Hervé-Gruyer, Charles Hervé-Gruyer, Rob Hopkins, Bernard Lietaer, Michelle Long, Kari Louhivuori, Pierre Rabhi, Elango Rangaswamy, Robert Reed, Thierry Salomon, Olivier de Schutter, Vandana Shiva, David van Reybrouck und Malik Yakini.Laufzeit: 119 Minuten
FSK: ab 0 Jahren
Kinostart: 03.06.16 (AT)

Musikvideo zum Film:

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