Bereits 1881 schlossen sich die amerikanischen Gewerkschaften zu einem Gewerkschaftsbund, zur “Federation of Organized Trades und Labor Unions of the United States and Canada”, zusammen. Der neue Bund begann bald mit einer starken Agitation für den achtstündigen Arbeitstag.
In den Jahren 1883 bis 1885 herrschte in den Vereinigten Staaten eine Wirtschaftskrise, die viele Arbeiter_innen arbeitslos machte. Der Kampf um die Verkürzung der Arbeitszeit wurde darum mit dem Argument geführt, dass dadurch mehr Arbeitsplätze geschaffen würden. “Solange noch ein einziger Arbeitsuchender keine Arbeit finden kann”, erklärte Samuel Gompers, der Präsident des neuen Gewerkschaftsbundes, “ist damit bewiesen, daß die Arbeitszeit zu lang ist.” Der amerikanische Gewerkschaftskongress von 1884 beschloss, am 1. Mai 1886 einen Generalstreik durchzuführen und damit die Einführung des Achtstundentages zu erzwingen.
Ein Blick nach Salzburg: 1.-Mai-Feier in Saalfelden in den 1930er Jahren
In Chicago kam es daraufhin zu einer der größten Kundgebungen mit rund 90.000 Teilnehmer_innen, die mehrere Tage anhalten sollte. Die Polizei versuchte zwei Tage später, die Versammlung gewaltsam aufzulösen. Dabei wurden sechs Arbeiter erschossen und zahlreiche weitere verletzt. Am 4. Mai eskalierte die Lage völlig, als eine Bombe in die Menschenmenge geworfen wurde: Die Polizei eröffnete das Feuer und tötete bzw. verletzte eine unbekannte Anzahl von Protestierenden.
“Man kann nicht ewig wie ein Stück Vieh leben!” *
Es folgten Verurteilungen und Todesurteile, die zu weltweiten Protesten führten. Auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationale 1889 wurde zum Gedenken an die Opfer des Haymarket Riots der 1. Mai als “Kampftag der Arbeiterbewegung” ausgerufen. Im darauffolgenden Jahr wurde dieser Protesttag mit Massenstreiks und Demonstrationen weltweit begangenen – auch in Österreich.
Victor Adler, dem es kurz zuvor gelungen war, auf dem Hainfelder Parteitag die zerstrittene Arbeiter_innenbewegung zu einigen, schrieb dazu am 18. April 1890 einen vielbeachteten Artikel in der “Arbeiter-Zeitung”. Darin beschäftigte er sich mit den zahlreichen Drohungen, die im Vorfeld des Protesttages ausgerufen wurden:
“Keine Macht kann uns verbieten, am 1. Mai nicht zu arbeiten. Nicht Polizei und nicht Militär kann uns zur Arbeit schleppen. Und wenn wir auf Versammlungen verzichten müssten, ja, wenn man uns, was eigentlich ganz unmöglich ist, am Nachmittagsspaziergang hindern sollte, wenn man vor jedes Haustor Soldaten hinstellt und die Arbeiter zwingt, daheim zu bleiben, und die Gassen mit Kanonen absperrt, so ist die Tatsache, dass in ganz Österreich die Maschinen stillstehen, auf den Willen des Arbeitsmannes hin stillstehen, eine so erhebende und imposante, dass wir, wenn’s nicht anders geht, damit zufrieden sein können. […] Unsere Losung bleibt aber nach wie vor: Wir lassen uns nicht einschüchtern und nicht provozieren.”
Die österreichischen Arbeiter_innen sind diesem Aufruf von Victor Adler gefolgt – sie ließen am 1. Mai 1890 die Arbeit ruhen und feierten ihren selbst gewählten Feiertag. Die “Arbeiter-Zeitung” meinte dazu:
“Die Arbeiter haben sich durch nichts, weder durch die Wutausbrüche der gesamten Bourgeoispresse aller Länder noch durch die Verfügungen der Behörden, weder durch Androhung von Entlassung noch durch ungeheure Militäraufgebote abhalten lassen, den 1. Mai zu feiern. Sie feierten ihn überall; eine solche internationale Feier hat die Welt noch nicht erlebt; die ganze zivilisierte Welt war ein großes Maifeld, auf dem Millionen und aber Millionen von Proletariern zusammenkamen, um ihre für die Weiterentwicklung der Gesellschaft notwendigen Forderungen gemeinsam aufzustellen.”
* August Spies, Chefredakteur und Herausgeber der sozialistischen “Arbeiter-Zeitung”, wurde nach den Haymarket Riots im November 1887 hingerichtet.