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Die Macht der Männerbünde unter Schwarz-Blau

posted by Daniel Winter 3. November 2017 0 comments

Ein Viertel aller Nationalratsabgeordneten von ÖVP und FPÖ ist weiblich. Die Anzahl der männlichen Mitglieder bei farbtragenden Verbindungen fast genauso groß. Noch nie war der parlamentarische Einfluss von Männerbünden stärker als ab dem 9. November 2017.

Wenngleich es noch einzelne Stolpersteine und Befindlichkeiten zu bedienen geben wird, so sind die derzeitigen Verhandlungen zur Neuauflage der schwarz-blauen Koalition, die von manchen lieber türkis-blaue Koalition genannt wird, doch irgendwie eine g’mahte Wiese. Die Frage ist nicht ob, sondern wann diese Koalition steht. Unabhängig davon wird am 9. November 2017  der neu gewählte Nationalrat angelobt werden. Ein guter Zeitpunkt also, einen Blick darauf zu werfen, wie sich die Schar der ÖVP-FPÖ-Mehrheit zusammensetzt. Wie der Kurier bereits berichtet hat, waren zuvor noch nie so viele völkisch Korporierte unter den FPÖ-Mandataren. Auch unter den ÖVP-Mandatar_innen befinden sich einige Mitglieder von (katholischen!) Studentenverbindungen.

Wenn am 9. November im Großen Redoutensaal der Wiender Hofburg der neue Nationalrat angelobt wird, kommt mit Martin Graf nicht nur ein ehemaliger Dritter Präsident zurück in den Nationalrat. Das FPÖ-Urgestein ist zudem Mitglied der deutsch-nationalen schlagenden Burschenschaft “Olympia”, die vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) als rechtsextrem eingestuft wird. Und Graf ist nicht allein […].
(Kurier, am 25.10.2017: So national wird der neue Nationalrat)

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der Autor dieses Beitrags völkische und katholische Männerverbindungen nicht in einen Topf werden möchte, sondern diese lediglich im Hinblick auf ihre Gemeinsamkeiten ohne Differenzierung betrachtet: In beiden Fällen handelt es sich um Männerlebensbünde bzw. elitäre Männernetzwerke, deren Ziel neben der gegenseitigen Treue die Verbreitung einer gewissen (allerdings unterschiedlichen) Ideologie ist. Ein kleiner Überblick darüber, worin sich katholische von deutschnationale Verbindungen unterscheiden, findet sich weiter unten.

FPÖ: Verhältnis völkisch Korporierter zu nicht-korporierten Abgeordneten

“Ein rechtsextremer, demokratie- und verfassungsfeindlich agierender Akademikerklüngel hat die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) unterwandert, danach dominiert und zuletzt in Besitz genommen”, lautet die These des Journalisten unt Autor des Buches “Stille Machtergreifung: Hofer, Strache und die Burschenschaften” Hans-Henning Scharsach. Während sich die FPÖ im Nationalratswahlkampf 2017 zumindest gemäßigter als in der Vergangenheit darstellte, gibt ein Blick auf die FPÖ-Abgeordneten der Behauptung Scharsachs Recht. Mindestens 20 von 52 FPÖ-Nationalratsabgeordneten sind laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) völkisch korporiert.

 

 

FPÖ: Anteil der männlichen Abgeordneten in einer völkischen Verbindung

Bei den Männern, welche übrigens 78,4 Prozent aller FPÖ-Abgeordneten ausmachen, sind 19 von 42 Personen  Mitglied einer deutschnationalen Burschenschaft, einer deutschnationalen Mittelschülerverbindung bzw. eines Corps. Fast die Hälfte aller männlichen FPÖ-Abgeordneten ist demnach völkisches Verbindungsmitglied:

 

ÖVP: Verhältnis katholisch Korporierter zu nicht-korporierten Abgeordneten

In der ÖVP gibt es, wie auch bei allen anderen Parteien außer der FPÖ kein einziges Mitglied in einer völkischen Verbindung. Elf der 62 ÖVP-Abgeordneten sind allerdings Mitglied einer katholischen farbtragenden Verbindung.
Die “Fraktion” der Mitglieder einer katholischen Verbindung ist somit stärker im Nationalrat vertreten als die Liste Pilz mit ihren 8 Abgeordneten. Übrgens: Mit dem NEOS-Abgeordneten Gerald Loacker  hat ein zusätzlicher ÖCV-Bundesbruder ein Nationalratsmandat inne. Der Anteil der katholisch Korpotierten innerhalb der ÖVP sieht jedenfalls folgendermaßen aus:

 

 

ÖVP: Anteil der männlichen Abgeordneten in einer katholischen Verbindung

Nachdem sich auch unter den Korporierten bei der ÖVP eine Frau befindet, sind zehn von insgesamt 43 männlichen ÖVP-Nationalratsabgeordneten Mitglied beim Mittelschulkartellverband (MKV) oder/und beim österreichischen Kartellverband (ÖCV). Das entspricht fast einem Viertel:

 

Die Macht der Männerbünde innerhalb der schwarz-blauen Parlamentsmehrheit

Männer sind ohnehin in der Überzahl. Wie bereits erwähnt, sind nur 21,6 Prozent aller FPÖ-Nationalratsabgeordneten weiblich (elf von ingesamt 51 Personen). Bei der ÖVP sind 19 der 62 Abgeordneten weiblich. Das sind zwar auch nur 30,6 Prozent, aber immerhin mehr Frauen als bisher. Wenn es darum geht, parlamentarische Mehrheiten zu erzwingen, werden Frauen zukünftig allerdings eine geringere Rolle spielen. Die schwarz-blaue Parlamentsmehrheit ist nämlich (fast) zu drei Viertel männlich bestückt:


Schwarz-Blau: Anteil der (männlichen) Abgeordneten in einer farbtragenden Verbindung

Insgesamt sind 31 von 113 Abgeordneten der schwarz-blauen Koalition (27,4 Prozent) Mitglied in einer farbtragenden Verbindung. 29 Personen davon sind Männer – das Verhältnis korporierter und nicht-korporierter Männer sieht folglich so aus:

 

Frauen miteinbezogen ist der Anteil korporierter Abgeordneter innerhalb der schwarz-blauen Parlamentsmehrheit folgendermaßen:

 

 

Knapp zehn Prozent entstammen einer katholischen, fast 18 Prozent einer völkischen Verbindung:

 

 

Ebenfalls bemerkenswert ist der Vergleich zwischen dem Frauenanteil und dem Anteil männlicher Verbindungsmitglieder innerhalb der schwarz-blauen Parlamentsmehrheit:

 

Fazit:

  • Frauen machen knapp mehr als ein Viertel der parlamentarischen ÖVP-FPÖ-Mehrheit im Nationalrat aus (26,5 Prozent).
  • Die Einfluss von Männerbündlern ist de facto genauso so groß wie jener von Frauen (25,7 Prozent). 19 männlichen farbtragenden Korporierten stehen 20 Frauen gegenüber.
  • Nachdem auch zwei weibliche Nationalratsabgeordnete der Koalition aus ÖVP und FPÖ korporiert sind, setzt sich die Koalition im Parlament zu 27,4 Prozent aus farbtragenden Verbindungsmitgliedern zusammen.

 

 


Exkurs: Differenzierung zwischen katholischen und völkischen Verbindungen

Ähnlichkeiten zwischen völkischen und katholischen Verbindungen bestehen nicht nur hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes, sondern betreffen auch einige Aspekte der Strukturen. Die Mitgliedschaft gilt als Lebensbund, was einer lebenslangen Verpflichtung auf gegenseitige Treue gleichkommt. Allen Studentenverbindungen gemein ist außerdem die strenge Trennung zwischen Männern und Frauen. Innerhalb einer Verbindung gelten starre Hierarchien. Die “alten Herren” nehmen nicht mehr am Verbindungsalltag teil, bilden als Philister jedoch finanziell wie beruflich ein unterstützendes Netzwerk.

C.V.er! Laßt Euch nicht nur die moralische, sondern auch die wirtschaftliche Förderung
jedes Cartellbruders angelegen sein; Ihr kräftigt damit die Leistungsfähigkeit
des Bedachten auch dem C.V. und seinen Mitgliedern
gegenüber und sichert Euch selbst eine bevorzugte
Bedienung! Berücksichtigt daher nachstehende von C.V.ern betriebene
Unternehmen! Empfehlet sie in Eurem Freundes= und
Bekanntenkreise und fördert sie, wo und wann Euch Gelegenheit
dazu geboten! Ihre Leistungen sind gut und Eurer Unterstützung
wert! Der Vorstand.“
(Annonce im Jahr 1934:)

Hinsichtlich der Riten ist die Mensur ein klar trennendes Merkmal zwischen völkischen und katholischen Verbindungen. Während sie in deutschnationalen Männerbünden als wichtiges Erziehungsinstrument gilt und für die Konfliktlösung bei Ehrverletzungen herangezogen wird,wird dies von katholischen Verbindungen seit jeher strikt abgelehnt. Ein vatikanisches Verbot am Beginn der Entstehungsgeschichte ließ  keinen Zweifel daran. Politisch weitaus wesentlicher ist allerdings die unterschiedliche Rolle während des Nationalsozialismus. Kritisieren lässt sich allerdings, dass antisemtische Tendenzen (und Antijudaismus) nur wenig aufgearbeitet wurden. Tatsächlich problematisch ist das Verhältnis zum Austrofaschismus. Abgesehen davon, dass dieser Begriff abgelehnt wird, werden durchwegs revisionistische Positionen vertreten, wenn Bundesbruder Engelbert Dollfuß zur Sprache kommt.

Der CV ist kein schlagender Verband und im Gesamten nicht Gegenstand der Rechtsextremismusforschung, aber er toleriert einen rechtsextremen Rand und homophobe Hetze.
(Bernhard Weidinger, Zeithistoriker)

Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen katholischen und deutschnationalen Verbindungen sind die unterschiedlichen Ideologien, die sie vertreten. Die vier Prinzipien des ÖCV sind (Lebens-)Freundschaft, Vaterlandsliebe, Wissenschaft (Studium) und Katholizismus. Salopp formuliert war die Entstehung der katholischen Verbindungen eine Art ‘Gegenreformation’ zu den ‘liberalen’ deutschnationalen Burschenschaften bzw. Corps bezeichnen. Die ideologische Agenda lässt sich als Konservativismus zusammenfassen: Die erklärten Feindbilder sind demnach die Reformation, die Aufklärung, die französische Revolution, der Liberalismus, der Sozialismus, der Bolschwismus, Nationalsozialismus, Weltkrieg, aber (ursprünglich) auch auch der Kapitalismus. Abgelehnt werden sämtliche Formen der Säkularisation (cf. Tour de Force 1936). Gegenwärtig melden sich Cartellverbände vor allem dann zu Wort, wenn es darum geht, konservative Positionen in gesellschaftspolitischen Fragen zu beziehen. Dazu zählt neben der strikten Ablehnung der Abtreibung, die Ablehnung der Homo-Ehe, sowie ein heteronormatives Familienbild. Das Modell Vater/Mutter/Kind(er) gilt als Keimzelle einer funktionierenden Gesellschaft. Diesem Weltbild zufolge fällt der Platz der Frau in erster Linie in die Sphäre des ‘Privaten’.

Auch wenn das liberale Prinzip urpsrünglich Teil der Burschenschaften und Corps war, teilt der absolute Großteil deutschnationaler Studentenverbindungen ein antiliberal(istisch)es, antipluralistisches und antifemnistisches Weltbild. In dieser Hinsicht gibt es Überschneidungen mit katholischen Studentenverbindungen. Dazu kommt jedoch eine Volksgemeinschaftsideologie, die oftmals rassistisch motviert ist und somit weit über die Lieber zur Heimat (patria) katholischer verbindungen hinausgeht. Ein autoritäres Führer- und Gefolgschaftsprinzip gepaart mit dem Umstand, dass weite Teile der deutschnationalen Verbindungen die österreichische Nation ablehnen, sind nur ein Grund, warum  das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) einige Burschenschaften wie etwa die Olympia als rechtsextrem einstuft. Mitglieder von völkischen Verbindungen fielen in der Vergangenheit regelmäßig dadurch auf, dass sie das Verbotsgesetz und den antifaschistischen Grundkonsens infrage stellten. Ebenso bieten zahlreiche Verbindungen Holocaust-Leugner_innen regelmäßig eine Plattform für ihre Thesen.

 


Titelbild: Zuschnitt eines Fotos von Rabe!

Liste: FPÖ-Mandatar_innen mit völkischer Verbindungsmitgliedschaft (Norbert Nemeth verzichtete überraschend auf sein Nationalratsmandat. Dafür zieht jedoch Hans-Jörg Jenewein, ebenfalls Verbindungsmitglied, in den Nationalrat ein. Übrigens: Carmen Schimanek wurde trotz kolportierter Mitgliedschaft bei der pennale Mädelschaft Sigrid zu Wien nicht als korporierte Abgeordnete dazugezählt, weil sie selbst die Mitgliedschaft bestreitet.

Liste: ÖVP-Mandatar_innen mit katholischer Verbindungsmitgliedschaft (Nico Marchietti steht zwar in einer engen Verbindung zum MKV, dürfte aber kein Mitglied sein. Er wurde somit nicht dazugezählt.)
 

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