Über die Befriedigung und Ersatzbefriedigung durch Essen.
Statt oversexed und underfucked sind wir derzeit overcooked und undereated. […] Da sitzen die Leute mit Chipstüten auf dem Sofa und schauen Starköchen zu.
(Max Moor, Schweizer Fernsehmoderator)
Max Moor spricht damit etwas an, was der New Yorker Starkoch Anthony Bourdain bereits 2007 einmal sagte, nämlich, dass Kochsendungen die neue Pornographie seien. Tatsächlich reagiert der menschliche Körper ähnlich, wenn es um Essen und Sexualität geht. Wie auch bei der wichtigsten Nebensache der Welt reagiert der menschliche Körper bereits dann, wenn man nur an Essen denkt. Gusto heißt die Lust, die nicht allein das Fleisch sondern, alles was schmeckt, begehrt und unsere Münder bereits dann Speichel produzieren lässt, wenn wir an das Aroma von Parmesan, den herzhaften Geschmack eines Semmelknödels mit Steinpilzsoße, oder Nachspeisen wie Tiramisu oder den guten alten österreichischen Apfelstrudel denken. Mit Vanillesoße. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich Menschen in einer Welt, in der zunehmend weniger gekocht wird und oft nicht einmal die Zeit haben, sich frisch gekochte Mahlzeiten zu gönnen, nach einer Ersatzbefriedigung suchen. Die Kehrseite des Fast- und Junk Food sind Kochsendungen, die immer mehr Sendezeit auf staatlichen, wie privaten Fernsehkanälen einnehmen. Fernsehköch_innen sind die neuen Heros, obwohl fast keiner der Konsument_innen weiß, wies schmeckt. Es sieht gut aus.
Diese Meinung teilt auch Michael Pollan, der mittlerweile als einer der Gurus schlechthin der ‘Wie esse ich richtig’-Bewegung in den USA gilt. Der Journalist, Professor an der University of California (Berkeley) und Ernährungsaktivist hat wissenschaftlich festgestellt: Je weniger daheim gekocht wird, desto größer ist das Angebot an Kochsendungen im Fernsehen. Andere Studien belegen, dass das Junkfood auf der Couch sogar besser schmeckt, wenn man dabei Spitzenköch_innen zuschaut wie diese, mit frischen Bio-Produkten vom Markt gesundes, oder zumindest schmackhaftes Essen zubereiten. Pollan, der 2010 vom Time Magazin sogar schon einmal unter den 100 einflussreichsten Menschen der Welt gelistet wurde, erzielte vor allem mit seinem Buch ‘Kochen. Eine Naturgeschichte der Transformation’ große Aufmerksamkeit. Ironischerweise findet man eine 4-teilige Verfilmung davon auf Netflix. Natürlich.
I want to inspire you to get in the kitchen and cook meals for yourself and your family from scratch, whether you’re a complete beginner or a good cook who likes simplicity. With some basic skills under your belt and a handful of recipes, you’ll be able to prepare nutritious meals on any budget.
(Jamie Oliver)
Als der erfolgreichste und wohl bekannteste europäische Fernsehkoch Jamie Oliver, The Naked Chef mit der Sendung ‘Ministry of Food’ startete, bestand sein Anliegen darin, Menschen zu motivieren, selbst ihre Küchen zu verwenden und unabhängig davon, ob sie Kocherfahrung haben oder nicht, für sich selbst und ihre Familien zu kochen. In einer späteren Kampagne unter dem Titel Feed me better warb Jamie für eine Verbesserung des Essens in den Schulkantinen. Ein Anliegen, das vor allem auch darum bemerkenswert ist, da (Achtung Klischee) das Vereinigte Königreich nicht dafür bekannt ist, eine besonders ausgeprägte Kochkultur zu haben. Noch bemerkenswerter ist allerdings, dass in Österreich Kantinen an Schulen nicht der Standard sind. Ein Missstand, dem sich nun auch in Salzburg eine Kampagne Frisch gekocht. In allen Schulen! widmet und mittelfristig frisch gekochtes Mittagessen in allen Schulen im Bundesland fordert. Zurück zu Jamie Oliver: Tragen Menschen wie er, der seine Kochsendungen tatsächlich als eine Art Bildungsauftrag versteht ebenso ihre Verantwortung dafür, dass Jugendliche mit der Fertigpizza vorm Fernseher sitzen und sich am Steak ergötzen, das vor ihren Augen medium rare zubereitet wird? Vermutlich nicht. In Wirklichkeit nämlich verkaufen sich seine Kochbücher ziemlich gut und werden wahrscheinlich auch regelmäßig nachgekocht.
Die Absurdität besteht also darin, dass der Verkauf von Kochbüchern immer mehr ansteigt, während die Menschen immer weniger kochen. Sie besteht darin, dass immer größere Teile der Bevölkerung sich aus Kochsendungen jene Befriedigung holen, die ihnen die überzuckerte, mit Salz und Geschmacksverstärkern “verfeinerte” Fertigmahlzeit nicht mehr bieten kann. Was soll nun schlecht daran sein, dass Kochsendungen jene Bedürfnisse befriedigen, die nicht mehr befriedigt werden? Zunächst einmal nichts.
Als pornographisch ist eine Darstellung anzusehen, wenn sie unter Ausklammerung aller sonstigen menschlichen Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise in den Vordergrund rückt und ihre Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf das lüsterne Interesse des Betrachters an sexuellen Dingen abzielt.
(Deutscher Bundesgerichtshof)
Analog könnte man über Food Porn also sagen, dass es sich bei Kochsendungen um eine Darstellung handelt, die den Genuss des Kochens in aufdringlicher und anreisserischer Weise in den Vordergrund rückt und das lüsterne Interesse am Anblick des Essens und der Erwartung an den befriedigenden Geschmack der Speise in den Mittelpunkt rückt. Unterschiede bestehen natürlich. Während die Protagonist_innen in Sexfilmen nicht nur Akteur_innen, sondern mitunater auch das Objekt der Begierde darstellen, sind bei Kochsendungen zwar Köch_innen die Protagonist_innen, (im Regelfall) aber doch das zubereitete Essen das Objekt der Begierde. Was den Konsumenten oder die Konsumentin angeht, ist der Mechanisus aber ähnlich. Die körperliche Befriedigung erfolgt getrennt von der Befriedigung der Lust. Im besten Fall kann dies neue Horizonte eröffnen, dazu anstoßen, Neues (in der Küche) auszuprobieren. Im schlechtesten Fall ist es nur Ersatzbefriedigung, bei der vielleicht das körperliche Verlangen aktiv, die Leidenschaft (nach gutem Essen) aber nur passiv gestillt wird. Im Fall von Kochsendungen ist dies durchaus verheerend. Gutes Essen bedeutet nämlich nicht nur guter Geschmack, sondern auch gesündere Ernährung. In jedem Fall bleibt aber eine Erkenntnis: Menschen haben ein angeborenes Verlangen nach frisch gekochtem, gutem Essen und dieses Bedürfnis ist ziemlich gesund.
Unter dem Hashtag #foodporn findet man auf Instagram knapp 93.000.000 Fotos.