Geschichte

“Die Arbeitermörder freigesprochen”: Der Justizpalastbrand vom 15. Juli 1927

posted by Alexander Neunherz 15. Juli 2016 0 comments

Es ist der 30. Januar 1927: Der rechtsextreme paramilitärische Frontkämpferverband hat eine Versammlung im burgenländischen Schattendorf angekündigt. Der Republikanische Schutzbund nimmt diese “Provokation” allerdings nicht hin und organisiert selbst eine nicht angemeldete Kundgebung. Die zahlenmäßig unterlegenen Frontkämpfer ziehen sich nach mehreren kleineren Zusammenstößen zurück, der Schutzbund vertreibt sie in Richtung Mattersburg.

Beim Gasthof Tscharmann kommt es aber wenig später zu einem erneuten Aufeinandertreffen. Ein paar ortsansässige Mitglieder des Frontkämpferverbandes befinden sich noch im Gebäude, welches ihnen zuvor als Sammelstelle diente. Es kommt zu tumultartigen Szenen, dann eröffnen drei Männer das Feuer auf vorbeigehende Schutzbündler. Der Kriegsinvalide Matthias Csmarits und der Schüler Josef Grössing sterben direkt auf der Straße, acht weitere Personen werden verletzt.

Diese Ereignisse im Bezirk Mattersburg sollten weitreichende Folgen für den weiteren Verlauf der 1. Republik haben. Denn das österreichweite Echo auf diese Vorfälle war gewaltig, wie im Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie nachzulesen ist:

“In den meisten Fabriken Wiens kam es zu Protestkundgebungen, in mehreren Großbetrieben Wiens und des Wiener Neustädter Gebietes auch zu spontanen Streiks. Am 2. Februar 1927, dem Tag des Begräbnisses der beiden Opfer, wurde in ganz Österreich ein 15 Minuten langer Generalstreik abgehalten. Tags darauf kam es zu einer tumultartigen Nationalratssitzung und schweren gegenseitigen Beschuldigungen zwischen konservativer Regierung und sozialdemokratischer Opposition.”

Die Täter, unter anderem der Wirt und seine Söhne, wurden am 5. Juli vor Gericht gestellt. Bereits neun Tage später wurde das Urteil verkündet: Freispruch in allen Anklagepunkten! “Die Arbeitermörder freigesprochen”, titelte daraufhin die Arbeiter-Zeitung. Das „Schandurteil von Schattendorf“ machte schnell die Runde. Wie schon unmittelbar nach der Tat kam es wieder zu einem schnell organisierten Generalstreik. Ausgelöst wurde er dieses Mal durch die Arbeiter_innen in den E-Werken, viele weitere Betriebe sollten folgen.

Den spontanen Arbeitsniederlegungen folgten Demonstrationen in der Wiener Innenstadt. Die ersten Zusammenstöße zwischen Arbeiter_innen und der Polizei ereigneten sich vor dem Hauptgebäude der Universität Wien. Dann eskalierte die ohnehin schon angespannte Situation in der Nähe des Parlaments, wie der Historiker Laurin Rosenberg schildert:

“Es folgte der erste Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei, die Demonstrant*innen wandten sich als Reaktion dem Justizpalast zu, wo eine größere Polizeieinheit postiert war. Diese floh in das Gebäude und schoss von dort in die Menge, die versuchte, in den Justizpalast einzudringen, was ihnen schließlich auch gelang.”

Akten und Inventar wurden dort aus den Fenstern geworfen und angezündet. Kurz darauf fing das gesamte Gebäude Feuer. Die Polizei versuchte die Demonstrant_innen aus dem Justizpalast zu entfernen und machte von ihren Schusswaffen Gebrauch. Die genaue Opferzahl ist bis zum heutigen Tag nicht bekannt. Man geht von 89 Todesopfern aus, darunter fünf Polizisten. Weitere 600 Personen wurden schwer verletzt.

Wenig später stürmten aufgebrachte Arbeiter_innen auch in Hernals mehrere Polizeidienststellen. Auch hier waren zahlreiche Verletzte zu beklagen. Zwei Menschen starben im Kugelhagel der Polizei. Ein weiterer Generalstreik, den die Eisenbahner zwei Tage lang aufrecht halten konnten, blieb ohne Erfolg.

Nach den Ereignissen forderten die Sozialdemokrat_innen eine lückenlose Aufarbeitung der Geschehnisse. Die bürgerliche Mehrheit im Parlament lehnte dies aber ab. Bundeskanzler Ignaz Seipel meinte ungerührt: “Verlangen Sie nichts vom Parlament und von der Regierung, was den Schuldigen gegenüber milde erscheint.”

„Keine Milde!“ Drei Jahre später wurde in Korneuburg bei Gott geschworen, diesen unerbittlichen Weg fortzusetzen. Man tat dies, bis die Demokratie endgültig beseitigt war.

Titelfoto: Der Justizpalast, 1881 [Public Domain]

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