Ein Erfahrungsbericht.
Bussi links, Bussi rechts, viele Tränen und eine innige Umarmung mit meinem Vater.
Noch schnell ein Snapchat Foto an das eine Mädchen, in das ich damals so hoffnungslos verliebt war. Danach musste ich mit dem Handy in den Flugmodus. Internet ausschalten, wenn man über die Grenze fährt – ihr kennt es. Da saß ich also da, auf der Rückbank des vollgepackten Autos, mein ganzes Hab und Gut in 2 Koffern und gefühlten 100 Plastiktaschen. Die Xbox war auch dabei, man will ja keineswegs auf Fifa verzichten. Es mag kitschig klingen, aber ich erinnere mich noch ganz genau an diesen Moment, als ich erstmals dieses unwohle Gefühl in meinem Magen verspürte. Über die Kopfhörer lief grad „Beautiful“ von Eminem und ich blickte auf die Straßen Polens und fragte mich nur, was ich mir dabei gedacht habe. Dieses Gefühl, wenn man bei der Achterbahn langsam nach oben fährt und dann bleibt sie am obersten Punkt stehen und man realisiert dass man Achterbahnen doch nicht so mag. Dieses Gefühl begleitete mich seitdem den Rest der Autofahrt. Angekommen, ausgestiegen, Sachen abgeladen, Bussi links, Bussi rechts, viele Tränen und eine innige Umarmung mit meinem Vater, danach saß ich in meinem neuen Wohnzimmer – 600 Kilometer weit entfernt von meiner Heimat.
„Geh ins Ausland, das kommt immer gut… da lernst was für‘s Leben“
Nach meiner bestandenen Matura und der Untauglichkeit für das österreichische Heer entschloss ich mich im September 2014 für den Europäischen Freiwilligendienst (EFD), welcher sich zur Aufgabe gemacht hat, allen jungen Leuten die Gelegenheit zu bieten, freiwillig, mit finanzieller Unterstützung, im Ausland arbeiten zu können. In meinem Fall war es ein Projekt in einer Integrationsschule, irgendwo im Nirgendwo Polens. „Geh ins Ausland, das kommt immer gut… da lernst was für‘s Leben“ hat mein Bruder noch gemeint. Rückblickend muss ich sagen, er behielt Recht.
Ich habe ihr am Abend Spaghetti mit Carbonarasouce aus der Packung gemacht – kam gut an.
Zwei Tage nach meiner Ankunft lernte ich auch endlich meine neuen Mitbewohner_innen kennen. Yen, frisch nach einer 13-stündigen Flugreise aus Vietnam, war die ersten paar Tage kaum ansprechbar. Für Maria habe ich am ersten Abend noch gekocht. Auch sie war sichtlich erschöpft von ihrer Reise aus Spanien. Ich dachte, es sei eine nette Geste und habe ihr am Abend Spaghetti mit Carbonarasouce aus der Packung gemacht – kam gut an. Noch ein paar Tage später stand dann plötzlich noch dieser Kolumbianer „Jeison“ in meinem Zimmer, mit dem ich mir von nun an ein Stockbett teilen durfte. Mir war sichtlich unwohl bei unserer ersten Begegnung, weil ich Angst davor hatte, ihn mit meinem Schnarchen seines Schlafes zu berauben. Es stellte sich aber heraus, dass er genauso laut schnarchte, was mich ein Stück weit beruhigt hatte.
Bereit für meinen ersten Arbeitstag
Nach der ersten Woche, die der Schockbewältigung galt, war ich bereit für meinen ersten Arbeitstag. Die Schule war nur 15 Minuten von der Wohnung entfernt, die Deutschlehrerin Edyta war mein neuer Boss.
Mit Edyta verstand ich mich auf Anhieb gut, sie war sehr kooperativ was meine Arbeitszeiten anging und überließ die Arbeitsaufteilung ganz mir. In den 4-5 Unterrichtsstunden am Tag, in denen ich psychisch oder physisch behinderten Kindern im Unterricht unter die Arme griff, lernte ich wie man mit 7-14 jährigen Kindern umgeht. So anstrengend und langweilig auch die Arbeit mit SchülerInnen in diesem Alter oft sein kann, machte mir das Projekt unglaublich viel Spaß. Ich erinnere mich gut an eine Schülerin, die mich tagtäglich ins Staunen versetzt hat mit der Tatsache, dass sie aufgrund ihrer Behinderung im Unterricht mit ihrem Fuß mitgeschrieben hat und den Schulalltag so gut gemeistert hat. Die kleinen Kinder in der ersten Klasse haben mich laufend an die Grenzen getrieben, weil sie konsequent nicht das gemacht haben was ich höflich und geduldig von ihnen verlangte.
Entspannter, aber auch interessanter war das Leben nach der Arbeit
Mit den Mädels in der WG verstand ich mich prächtig, mit Jeison gab es des Öfteren Differenzen, weil er laufend unsere Sachen aus dem Kühlschrank klaute – im Nachhinein lache ich über unsere Streitereien. Durch die Tatsache, dass meine Organisation vor Ort über 60 Freiwillige aus der ganzen Welt unterstützte, kam ich in den Genuss Menschen aus aller Welt kennen zu lernen. Wir alle mussten uns aber schnell damit abfinden, dass wir in einer langweiligen, ländlichen Stadt gelandet waren, wo es, bis auf ein Einkaufszentrum, nichts zu sehen gab. Aber wir versuchten das Beste daraus zu machen – und das machten wir ziemlich gut.
Diese Perspektive brachte unbekannten Mut und Lebenslust in mir hervor.
Während der nächsten sechs Monate erlebte ich mehr, als ich in meinem bisherigen Leben erlebt hatte. Ich lernte viele neue Leute aus der ganzen Welt kennen, reiste mit ihnen jedes Wochenende in andere Städte, erkundete die besten und schlechtesten Bars Polens und lebte das für mich perfekte Leben. Es war ein gutes Gefühl. Mit den umgerechnet 160 Euro, die mir monatlich zur Verfügung standen, aß ich unter der Woche relativ bescheiden, um anschließend am Wochenende die Ersparnisse der Woche in spekulative Geschäfte an der Bar auszugeben – meist zu meinem gesundheitlichen und finanziellen Nachteil. Das war es also, das Leben in Polen: Arbeit, Sport, Freunde, Reisen, Feiern. Weit weg von meinem Alltag in Österreich hatte ich die Chance, für ein halbes Jahr mein Leben neu zu gestalten; so wie ich es gern hätte. Ich hatte genug Zeit, um über Altes zu reflektieren und Neues zu planen.
Per Anhalter nach Prag- warum nicht?
Im Hinterkopf behielt ich stets die Tatsache im Sinn, dass mein Aufenthalt hier ein Ablaufdatum hatte. 6 Monate – danach wäre alles vorbei. Diese Perspektive brachte unbekannten Mut und Lebenslust in mir hervor. Per Anhalter nach Prag- warum nicht? Couchsurfing in Warschau- warum nicht? Ich begann, meinen Aufenthalt in vollen Zügen zu genießen: Vormittags in die Arbeit, nachmittags dann zu Ali und Emmason, meine zwei neuen besten Freunde. Am Abend versammelten sich meistens alle in unserer WG, da es dort das beste Internet gab und es wurde gekocht und getrunken… es war schön. Mehr als schön. Es war schon lustig anzusehen, wie wir alle diese eine Sache gemeinsam hatten: die Flucht vor dem Erwachsenwerden. Egal ob 18 oder 32, jeder hier machte eine kurze Pause von seinem Leben. Klingt philosophisch, war aber wirklich so. Viele meiner Freunde waren mit ihrem Studium fertig und würden nach ihrem EFD Aufenthalt ins „echte“ Berufsleben einsteigen. Dann waren da auch die paar Leute, dies nicht immer leicht hatten und den Aufenthalt dazu nutzten, wieder oder endlich auf die Beine zu kommen. Und ich… ich wollte eigentlich nur etwas Zeit für mich, ganz ganz weit weg von daheim – und von der Uni.
Die Monate vergingen wie im Flug, mittlerweile hatte ich ein fast familiäres Verhältnis zu meinen Mitbewohner_innen aufgebaut. Jeison war mehr so der Bruder, mit dem ich nicht wirklich klar kam, Maria war die gute Seele der WG die mit ihrer herzlichen Art immer gute Laune brachte. Yen war immer für Überraschungen gut, im WG-Leben hat sie den Begriff „Kulturschock“ mehrmals neu definiert. Ein Text reicht nicht, um alle Erlebnisse und Eindrücke nur ansatzweise schildern zu können. Ich will nicht sagen, dass alles immer leicht gewesen war – ganz im Gegenteil. Als 18-jähriger Lauch ins Ausland zu ziehen war eine große Herausforderung und ich stieß wirklich oft an meine Grenzen. Doch in dieser Zeit lag erstmals in meinem Leben die ganze Verantwortung und der Anspruch auf Erfolg in meinen Händen, eine Erfahrung, die mich meiner Meinung nach sehr verändert und geprägt hat. Dieser „Urlaub“ vom echten Leben in Österreich war wichtig- einfach mal Luft holen.
Die Zeit verging so schnell, das Ende nahte. Man konnte es richtig spüren wie jeder nervös wurde. In der WG lag Trauer in der Luft… 6 Monate reichten, um ein Umfeld zu schaffen, als hätte man sein ganzes Leben an diesem Ort verbracht. Noch eine letzte Party, danach stand ich schon am Bahnhof und nahm den Bus Richtung Heimat. Während der Fahrt lese ich die Briefe, die mir Maria und Yen geschrieben haben. Zuerst habe ich ein schlechtes Gewissen, weil im Gegensatz zu ihren, mein Abschiedsbrief so verdammt schlecht war. Danach freue ich mich aber. Ich bin froh darüber, diese Reise angetreten zu haben und ich bin froh, dass ich nicht vorzeitig abgebrochen habe. Mir wird klar, dass das vielleicht die beste Zeit meines Lebens war.
Neugierig geworden?
Der Europäische Freiwilligendienst (EFD) hat sich zur Aufgabe gemacht, motivierten Freiwilligen unabhängig von Herkunft und finanziellen Mitteln zu unterstützen. Wenn du mehr über den EFD erfahren willst, kannst du dich hier informieren. Wenn du mit dem EFD Europa entdecken willst und weitere Informationen zum EFD haben möchtest, kannst du dich auch direkt bei der Organisation Akzente Salzburg informieren oder unter international@akzente.net melden.
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