Geschichte

Wassili Archipow: Der Mann, der die Welt rettete

posted by Alexander Neunherz 11. September 2016 0 comments

Die Geheimoperation “Anadyr” begann am 26. Juli 1962. Die “Marija Uljanow” war der erste Frachter, der an diesem Tag Kuba erreichte. Neun weitere Transportschiffe mit Soldaten und Kriegsmaterial an Bord sollten noch folgen. Wenige Monate später stand die Welt dann am Abgrund. Die Kubakrise im Oktober 1962 markierte den traurigen Höhepunkt des Kalten Krieges.

Die amerikanische Luftaufklärung lieferte am 15. Oktober 1962 unumstößliche Beweise für die akute Bedrohung. Die entdeckten Startrampen für nukleare Mittelstreckenraketen lösten eine seit 1945 beispiellose Mobilmachung der amerikanischen Streitkräfte aus. Rund 1.500 Langstreckenbomber und alle 183 Interkontinentalraketen konnten nun innerhalb von 60 Minuten nach einem entsprechenden Befehl aus dem Weißen Haus eingesetzt werden. Präsident John F. Kennedy verhängte eine Seeblockade gegen Kuba. Am 24. Oktober trat sie in Kraft.

john-f-kennedy“We will not prematurely or unnecessarily risk the costs of a worldwide nuclear war in which even the fruits of victory would be ashes in our mouth — but neither shall we shrink from that risk any time it must be faced.” Präsident John F. Kennedy
[Public Domain]

Zu diesem Zeitpunkt stand Wassili Archipow auf dem sowjetischen U-Boot “B-59” unter großem Druck. Der Erste Offizier befand sich auf Geleitmission Richtung Kuba und eskortierte sowjetische Frachter mit Atomraketen an Bord. Doch US-Zerstörer waren der B-59 in der Sargassosee im westlichen Atlantik auf den Fersen. Andere Schwesternschiffe wurden bereits mit Übungswasserbomben zum Auftauchen gezwungen.

Am 27. Oktober spitzte sich die Situation dramatisch zu, als auch die B-59 ins Visier der US Navy geriet. Auf amerikanischer Seite wusste zu diesem Zeitpunkt niemand, dass das sowjetische U-Boot mit einem Nukleartorpedo bestückt war. Die Übungswasserbomben wurden wiederum von der sowjetischen Besatzung nicht als solche erkannt. Kapitän Valentin Savitsky war sich vielmehr sicher, dass sein Schiff zerstört werden sollte. Kontakt mit Moskau bestand zu diesem Zeitpunkt keiner.

sowjetischer-frachterUS-Aufklärungsflug über einen sowjetischen Frachter. [Public Domain]

Savitskys Verzweiflung wuchs rasant an. Die Temperatur im U-Boot lag zu diesem Zeitpunkt bereits über 45 Grad und der Luftvorrat ging zu Ende. Doch das rettende Auftauchen hätte auch die Enttarnung zur Folge gehabt. Der Kapitän traf eine folgenschwere Entscheidung – der Nukleartorpedo sollte zum Einsatz kommen. Für die Ausführung musste er sich aber noch die Zustimmung seiner beiden Offiziere holen, unter ihnen Wassili Archipow.

“Wir werden sterben, aber wir nehmen sie mit! Kapitän Valentin Savitsky

Während Politoffizier Iwan Maslennikow sein OK gab, widersetzte sich Archipow und redete stattdessen auf die beiden ein. Er war der festen Überzeugung, dass es sich hierbei nicht um einen Angriff der US Navy handelte. Das mutige Auftreten Archipows wurde belohnt – er konnte sowohl den Kapitän als auch den Politoffizier von seiner Sicht der Dinge überzeugen. Als das U-Boot schließlich auftauchte, blieb eine Konfrontation aus. Erst Jahrzehnte später erfuhr die Welt von diesem Zwischenfall. Hätte die B-59 den Torpedo gezündet, wäre ein lokal-begrenzter nuklearer Gegenangriff auf russische Frachter und Kriegsschiffe wohl unvermeidbar gewesen. Aus dem Kalten Krieg wäre ein heißer geworden. Wassili Archipow verhinderte die fatale Kettenreaktion.

wassili-archipow-mit-seiner-frau-olgaWassili Archipow mit seiner Frau Olga. [Screenshot]

Wie dankt man jemanden, der im Alleingang die ganze Welt rettet? In der sowjetischen Heimat wurde die Besatzung mit Schimpf und Schande als Verräter empfangen. Auch Archipow, der sich mit den beiden anderen Kommandanten vor einem Tribunal in Moskau verantworten musste. Dennoch brachte er es später zum Vizeadmiral.

Wassili Archipow wusste bereits vor der Kuba-Krise um die atomare Gefahr. 1961 erlebte er an Bord der “K-19” selbst ein schweres Reaktorunglück und starb im Jahr 1998 an den Spätfolgen. Seine Frau wird ihn später als bescheidenen und zurückhaltenden Mensch beschreiben. “Er war ein Mann leiser Töne”, erzählte sie. Zu hoffen bleibt, dass Wassili Archipow seinen Platz in der Geschichte als derjenige bekommen wird, der im richtigen Moment “Nein” sagte.

Titelfoto: Die B-59 beim Auftauchen vor Kuba. [Public Domain]

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