GeschichteGesellschaft

Als sich die Salzach noch rot färbte

posted by Barbara Luger 22. August 2016 0 comments

Mein Nachbar heißt Herbert. Herbert ist Niederösterreicher, Wiener, Oberösterreicher und Teilzeit-Salzburger. So ungefähr in dieser Reihenfolge. Herbert wird Ende November 90 Jahre alt und kann auf ein aufregendes Leben in der ganzen Welt zurückblicken. Er ist eine der beeindruckensten Persönlichkeiten, die ich je kennenlernen durfte. Herbert führt sein Leben noch immer unabhängig und voller Tatendrang und mit viel Lebensfreude, da kann man ruhig ein paar Jahrzehnte vom Alter wegrechnen und sich selber eine Scheibe abschneiden. Und manchmal vergeht ein Nachmittag oder Abend, an dem ich bei den nachdenklichen, witzigen, gelassenen und traurigen Lebensgeschichten einfach mal hängen bleibe.

Was ihn mit Salzburg verbindet? Sehr viel. Mit leuchtenden Augen erzählt mir mein Nachbar, dass nach dem Kriegsende – welches er übrigens im Wald verschlafen hat – er das Provinzhaus der Barmherzigen Schwestern in der Stadt Salzburg wieder mit aufgebaut hat, da war er Mitarbeiter bei der Stadtbaumeisterei Gebrüder Wagner und am Abend „war dann ein Arbeitskollege im Sommer ab 1946 als Billeteur für die Salzburger Festspiele tätig”, erklärt mir Herbert. Das war eine sehr aufregende Zeit für ihn, denn es war trotz der großen Zerstörung und dem Leid, schon wieder eine Aufbruchsstimmung bemerkbar. Aber tagsüber haben wir dann auch mal am Kanal des Lieferinger Mühlbaches – der vom Landeskrankenhaus zur Salzach führt – gearbeitet. Mindestens einmal in der Woche färbte sich die Salzach rot, weil die Operationssachen ausgewaschen und über den Kanal in die Salzach geleitet wurden, das hat immer großes Schaudern ausgelöst.”

“Mit den amerikanischen Soldaten war es immer lustig.”

Naja und zusätzlich hat Herbert eher unfreiwillig mit Hunden gehandelt. Der damals sehr berühmte Zirkus Sarrasani hatte nach seinen Berichten die besten Boxerhunde, diese konnten sogar fast regelkonform Fußball spielen. Die Hunde wurden dann in der Nachkriegszeit in Salzburg verkauft, „für 350 Schilling bekam ich zwei Hunde, ich nannte sie Susi und Wutsch, und meine Susi wollte dann der Adjutant von General Mark W. Clark im Schloss Kleßheim für 40 Packerl Zigaretten und 150 Besatzungsdollars unbedingt haben. Das war damals ein Vermögen. Die Marlboros habe ich dann natürlich – obwohl sie viel wert waren -weiterverschenkt”, erzählt Herbert mit perfekter englischer Aussprache. Mit den amerikanischen Soldaten war es immer lustig, wir sind zum Beispiel bei Tauwetter auf den Untersberg raufgewandert und im Schnee mit Latschenzweigen nach Golling runtergerutscht. Bis meine Hose hinten einmal so aufgerissen war, dass ich mich stundenlang im Wirtshaus verschanzen musste, weil ich am helllichten Tagen nicht mit nacktem Hintern herumlaufen wollte.”

Da gingen die Leute auf die Straße und mussten dafür sterben und das fesselt mich bis heute.

Wann mein Herz für die Sozialdemokratie entflammt wurde? „Das war rund um den Brand des Wiener Justizpalastes 1927, also sehr bald”, schmunzelt mein Nachbar. „Mein Vater hat mir bereits mit vier Jahren davon erzählt, er war dabei und hat mir immer wieder von der Ungerechtigkeit erzählt, als die Sozialisten in Schattendorf aus dem Hinterhalt von Mitgliedern der schwarzen Frontkämpfervereinigung angeschossen wurden. Ein invalider Hilfsarbeiter und ein Kind wurden damals durch Schrottfeuer getötet. Die Täter wurden einfach freigesprochen. Da gingen die Leute auf die Straße und mussten dafür sterben und das fesselt mich bis heute. Ich verstehe ja auch noch immer nicht, warum ein stolzes Dollfuß-Bild im Parlamentsklub der ÖVP hängen muss. Damals galt er zudem als kleinster Mann Europas und viele machten sich deshalb zu Beginn über seine großen Pläne lustig.”

China ist für mich das Zentrum der Kultur in Asien, hier entstanden alle Philosophien zur Welt.

Ab den 60er bis 80er Jahren arbeitete mein Nachbar als Techniker bei der Voestalpine in Linz. Lebte in China, Thailand, Myanmar, in Amerika und in verschiedenen Ländern Europas. „Meine Frau begleitete mich natürlich sehr oft, unsere Tochter kam in Belgien zur Welt, bei der Geburt in Gent war ich mit dabei, da mussten wir in der Not sogar ganz schnell kaputtes Operationsbesteck reparieren”, berichtet er weiter. Herbert antwortet spontan was ihn bei seinen Reisen am stärksten beeindruckt hat: „Nach all den Erfahrungen kann ich sagen, für mich ist China das Zentrum der Kultur in Asien, hier entstanden alle Philosophien zur Welt. In China habe ich zudem sehr viele lustige und aufregende Geschichten erlebt, das würde ein weiteres Buch füllen.”

Jeder Politiker darf auch mal Fehler machen, das sind Menschen wie du und ich.

Was er sich für die Zukunft wünscht? Dass sich die Sozialdemokratie in Österreich wieder erholt und stark wird, „aber mit Christian Kern sind wir wohl am besten Weg, er ist fachlich sehr, sehr gut und strahlt Gelassenheit aus und meine Tochter hat mir auch mal erzählt, dass er fantastische Pasta machen kann, vor über zwanzig Jahren war sie unter anderem bei einer Geburtstagsfeier mit selbstgekochtem Essen dabei”, schwärmt Herbert. Und bringt selber mit viel Gelassenheit die Wahrheit auf den Punkt: „Jeder Politiker darf auch mal Fehler machen, das sind Menschen wie du und ich, die Frage ist nur auf wie viele andere Menschen sich dieser Fehler auswirkt. Sogar Bruno Kreisky hat unter anderem mit Friedrich Peter fatal danebengegriffen, das hat mich sehr beschäftigt.”

Titelbild: Barbara Luger

Das könnte sie auch interessieren