Politik

Ein Europa für alle als europäisches Narrativ der Sozialdemokratie

posted by Markus Pausch 2. Mai 2019 0 comments

Ein Kommentar anlässlich der nahenden Wahl zum Europäischen Parlament

Zwei Kräfte haben die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auf unserem Kontinent maßgeblich geprägt: Das ist zum einen die Sozialdemokratie und zum anderen der europäische Integrationsprozess, der zur Europäischen Union geführt hat. Beide Kräfte haben für die Demokratie gekämpft und dabei auf Gewalt verzichtet. Das mag heute selbstverständlich scheinen, aber nach 1945 war es sowohl in Hinblick auf innerstaatliche Fragen als auch in Bezug auf zwischenstaatliche eine große Errungenschaft. Der Sozialdemokratie ist es zu verdanken, dass sich in den westlich-orientierten Staaten stabile Demokratien etablierten, Ungleichheiten verminderten und Sozialsysteme entwickelten, die zu einem hohen Grad an sozialem Frieden geführt haben. Dem europäischen Integrationsprojekt ist es zu verdanken, dass die verheerende Erbfeindschaft zwischen Deutschland und Frankreich beendet wurde und die Mitgliedstaaten untereinander keine Kriege mehr führen. Auch die Unterstützung bei Übergangsprozessen von Diktaturen zu Demokratien in Spanien, Griechenland, Portugal und nach 1989 in vielen mittel- und osteuropäischen Staaten wurde nicht zuletzt durch den europäischen Einigungsprozess ermöglicht.

Wo bleibt die europäische Erzählung der Sozialdemokratie

Dennoch konnte zwischen diesen beiden demokratischen Kräften bis heute keine starke emotionale Bindung entstehen. Das europäische Narrativ der Sozialdemokratie fehlt und wurde noch nicht gefunden. Jedenfalls die österreichischen Genossinnen und Genossen haben sich immer schwer getan mit der EU und ihren Vorläufern. Das mag sich daraus erklären, dass unter den so genannten „Gründervätern“ mit Monnet, Schuman oder Adenauer die Vertreter der konservativen, christlich-sozialen Ecke in der Mehrzahl waren und diese Europa von Beginn an als ihr Herzensprojekt erachteten und inszenierten. Zwar gab es mit Paul-Henri Spaak auch einen prominenten sozialdemokratischen Gründungsvater, aber da sich der Einigungsprozess in den 1950er Jahren vorrangig über die Wirtschaftsgemeinschaft definierte, fiel es vielen Linken schwer, sich damit uneingeschränkt zu identifizieren. Wenn man nach sozialdemokratischen Ikonen der europäischen Integration sucht, stößt man in der Tat auf wenige weitum bekannte Persönlichkeiten. Nach Spaak kam lange nichts. Erst in den 1980er Jahren gab es mit Jacques Delors wieder eine Integrationsfigur, aber wirklich feiern will man ihn bis heute nicht. Denn was von ihm in Erinnerung bleibt, ist nicht in erster Linie die Stärkung sozialdemokratischer Interessen, sondern die Vollendung des Binnenmarktes, die Vorbereitung des Euro und die Überwindung der Eurosklerose. Trotz dieser kaum zu überschätzenden Leistungen Delors zieht er als Ikone nicht.

Die 1990er Jahre sind dann für die Sozialdemokratie in der Rückschau auch keine Zeit, an die man sich gerne erinnert, die für ein Narrativ taugen würde. Und das obwohl sie damals in vielen Regierungen führend vertreten war. Persönlichkeiten wie Felipe Gonsalez und auch Franz Vranitzky haben redlich versucht, soziale Aspekte in der Union zu stärken. Dabei ist ihnen einiges gelungen, aber der große Durchbruch hin zu einer Sozialunion war es nicht. Und Ende des Jahrzehnts setzte sich in der sozialdemokratischen Bewegung mit New Labour und dem dritten Weg eine Idee durch, die zwar kurzfristig erfolgreich war, aber aus heutiger Sicht vieler Genossinnen und Genossen der große Sündenfall, die Anbiederung an den Neoliberalismus. Daran will und kann man heute nicht anschließen.

Was bleibt dann aber? Wie kann die Sozialdemokratie, besonders die österreichische, eine Erzählung über Europa entwickeln, die eingängig und klar mit ihren Überzeugungen übereinstimmt? Ein Narrativ, das die Wähler_innen erreicht und mobilisiert, auch ohne historische Ikonen?

Sozialdemokratisierung der Europäischen Union

Ein Argument könnte lauten: Die Sozialdemokratie kämpft für ein Europa der Menschen, für ein Europa für alle, nicht bloß eines, das den großen Wirtschaftstreibenden zugutekommt. Dazu müssten Errungenschaften der Nationalstaaten auf die europäische Ebene gehoben und bestehende Möglichkeiten besser genutzt werden. Gerade Österreich hätte viel zu bieten für eine europäische Sozialpartnerschaft, für sozialstaatliche Mindeststandards in der ganzen EU, für den Kampf gegen Armut. Die Sozialdemokratie müsste einfordern, dass die vielen Vorteile der Mitgliedschaft, die auf der Hand liegen, auch jenen zuteilwerden, die nicht zu den Vermögenden und Einkommensstarken zählen. Ein Europa für die Lehrlinge und Auszubildenden mit bestehenden und neuen Austauschprogrammen, ein Europa für die Jugend, das Schulen unterstützt und allen 18-Jährigen ein Ticket für eine Europareise spendiert, ein Europa für NGOs im Sozialbereich, das denen als Gegengewicht zu den Wirtschaftslobbies eine gewichtige Stimme verleiht, ein Europa für die Zivilgesellschaft, damit deren Anliegen besser eingebracht und gehört werden, ein Europa für einkommensschwache oder arbeitslose Personen, die Unterstützung brauchen, ein Europa für ältere Menschen, ein Europa für Kinder, ein Europa für Diversität und Respekt, ein Europa für Demokratie und Gerechtigkeit. Das mag pathetisch klingen, aber es sollte nicht vergessen werden, dass Pathos und Emotion für ein so dringend benötigtes Narrativ unverzichtbar sind.

Klare Botschaften

Die Sozialdemokratie hat sich mit der EU immer wieder schwer getan. Sie hat zugeschaut, wie andere sich als Europäer_innen inszenierten und dem zu wenig entgegengesetzt. Ein Hinweis darauf ist die Tatsache, dass die SPÖ nie den/die EU-Kommissar_in für sich beansprucht hat. Mit dieser Haltung ist jedoch nichts zu gewinnen. Es ist an der Zeit, das Verhältnis zu klären und eine klare Botschaft auszusenden, gegen Autoritarismus, gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur, gegen ein Europa der Wenigen, für ein Europa, das allen zugutekommt.


Dieser Kommentar wurde ebenfalls in der Zeitschrift des BSA Akzente – Ausgabe 01/2019 veröffentlicht.

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