Politik

Frexit, neo-konservative Kehrtwende oder doch ein linker Triumph?

posted by Andreas Eisl 1. Februar 2017 0 comments

Warum Frankreich heuer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht.

Hamon komplettiert das Feld der Präsidentschaftsanwärter_innen

Mit der Wahl von Benoît Hamon zum Spitzenkandidaten einer zersplitterten Linken unter der Führung der Parti socialiste (PS) stehen in Frankreich nun alle nennenswerten Anwärter_innen auf den Posten der französischen Präsidentschaft fest. In der zweiten Runde der Vorwahl setzte sich der dem linken Flügel zugehörige Hamon gegen Manuel Valls vom wirtschaftsliberalen Flügel der PS durch. Bis vor kurzem hatte Valls als Premierminister noch der Regierung unter Präsident François Hollande angehört und diesen schließlich auf einen Verzicht der Kandidatur drängen können. Das war das erste Mal für einen amtierenden Präsidenten in Frankreich.

Valls Kandidatur stand unter schwierigen Voraussetzungen, denn er musste einerseits die oftmals stark kritisierte Regierungsarbeit verteidigen und sich andererseits von ihr absetzen, um Stimmen zu bekommen. Benoît Hamon, der sich besonders mit seiner Unterstützung eines bedingungslosen Grundeinkommens positioniert und generell Arbeitszeitverkürzungen propagiert, wurde von Valls und konservativer Seite mehrfach als Utopist bezeichnet. Schlussendlich konnte sich Hamon mit seinen durchaus radikalen Vorschlägen jedoch deutlich in der Wählergunst durchsetzen.

Andere Kandidaten wie der ebenfalls eher dem linken Flügel zugehörige Arnaud Montebourg, sowie Vincent Peillon und Kandidaten kleinerer Splitterparteien schieden bereits in der ersten Runde der Vorwahlen deutlich aus.

Die aussichtsreichsten Kandidat_innen

 

Gemeinsam mit Hamon haben vier andere Kandidat_innen zumindest ansatzweise realistische Chancen auf das Präsidentschaftsamt. Dazu gehören die folgenden Personen:

(1) Der unabhängige Jean-Luc Melenchon, der vom Front de gauche (bestehend aus Melenchons parti de gauche und den französischen Kommunisten (PCF)) unterstützt wird, punktet vor allem mit Kritik an der europäischen und speziell von Deutschland verordneten Sparpolitik. Ursprünglich Parteimitglied der PS, vertritt der oftmals polemisch auftretende Melenchon sozialistische und ökologische Positionen, die zumindest teilweise dem Linkspopulismus zugeordnet werden.

(2) Der ebenfalls unabhängig antretende Emmanuel Macron, der bis August noch als Finanzminister in der sozialistischen Regierung fungierte fährt nun als „Kandidat der Mitte“ mit Hilfe seiner Wahlplattform „en marche“ und philosophischen Ansätzen ein liberales Programm mit sozial-liberalem Einschlägen. Macron hat Philosophie studiert, nach einem Abschluss der Elite-Schule ENA als Finanzdirektor im öffentlichen Dienst gearbeitet und vor seinem Antritt als Finanzminister als Investmentbanker bei Rothschild Cie gearbeitet und als wirtschaftspolitischer Berater von François Hollande gedient.

(3) Der neo-konservative François Fillon hat bereits vor dem Jahreswechsel deutlich die Vorwahl der Republikaner (LR, vormals UMP) gegen zwei Giganten der konservativen Partei gewonnen, Alain Juppé (aktuell Bürgermeister von Bordeaux) und Nicolas Sarkozy, der bereits von 2007 bis 2012 Präsident war. Fillon selbst war unter Sarkozy Premierminister und gewann mit einem radikal neoliberalen Programm und katholisch-konservativer Rhetorik in gesellschaftlichen Fragen.

(4) Die rechts-populistische bis rechts-extreme Marine Le Pen musste sich keiner Vorwahl stellen und führt den Front National (FN) in die Präsidentschaftswahl. Le Pen profiliert sich mit einem für rechts-populistische Parteien in vergleichender Perspektive relativ ausgeprägten wohlfahrtsstaatlichen Programm und fokussiert sich ganz besonders auf die EU und einen möglichen Austritt aus der Eurozone.

Die politische Zersplitterung zentriert sich vorrangig auf links stehende Bewegungen

Gemeinsam mit François Fillon führt Le Pen seit Monaten die Umfragen an. Auch mit der Wahl von Benoît Hamon zum Präsidentschaftskandidaten der PS wird sich daran vermutlich wenig ändern. Das französische Wahlsystem führt in den meisten Fällen zu Wahlgängen in zwei Runden, wobei in der ersten Runde die zwei stärksten Kandidat_innen auserkoren werden, die dann versuchen, jeweils die absolute Mehrheit in der zweiten Runde zu erringen. Mit einer absoluten Mehrheit im ersten Wahlgang kann man sich direkt zur Präsidentschaft gratulieren; dieser Fall ist aufgrund der großen Anzahl an Bewerber_innen heuer praktisch ausgeschlossen.

Neben den fünf bereits genannten Kandidat_innen treten dieses Mal im April/Mai vermutlich sechs weitere Personen an, die von unterschiedlichen Parteien quer über das politische Spektrum hinweg getragen werden, wobei die Zersplitterung sich vorrangig auf politisch links stehende Bewegungen zentriert.

Überraschungen sind nicht ausgeschlossen

Da mit Melenchon, Hamon und Macron drei Personen antreten, die zumindest zu einem großen Teil Positionen der Linken vertreten, während auf der Rechten zwei relativ geeinte Blöcke unter Fillon und Le Pen antreten, ist das wahrscheinlichste Szenario, dass Fillon und Le Pen in die anschließende Stichwahl kommen. Überraschungen sind hier jedoch nicht ausgeschlossen, da speziell Macron versucht, bei gesellschaftlich aber auch wirtschaftspolitisch Liberalen zu punkten, die mit dem sehr konservativen Gesellschaftsbild von Fillon, sowie mit dem nationalistischen und isolationistischen Programm von Le Pen nichts anfangen können. Hamon wird durch seine Wahl vor allem mit Melenchon um Stimmen ringen werden müssen, während eine Wahl von Valls durch seine Schnittmengen mit Macron hier wohl stärker im Wähler_innen-Pool gefischt hätte.

Durch einen sich seit den letzten Tagen entwickelnden möglichen Skandal um eine Scheinbeschäftigung seiner Frau, steht Fillon aktuell unter großer Kritik und die neuesten Wahlumfragen sehen Macron mittlerweile vor dem Politiker der Republikaner. Ob dies aber zu einer andauernden Umkehr der Umfragen führt, bleibt abzuwarten und hängt vor allem von den Ergebnissen der aktuellen Untersuchungen ab. Marine Le Pen steht in letzter Zeit ebenfalls in der Kritik, da eine ihrer parlamentarischen Mitarbeiter_innen im EU-Parlament höchstwahrscheinlich nur Aufgaben für den FN erledigt hat. Eine Rückforderung der überwiesenen Gehälter wird aktuell von der EU exekutiert.

Insgesamt bleibt die Lage jedoch speziell für die Linke durch die untereinander konkurrierenden Kandidaten bescheiden. Speziell für die PS wird ein mögliches Ende der Partei, wie sie in den letzten Jahrzehnten existierte, prophezeit, unabhängig

Aktuell liegt Marine Le Pen in den Umfragen mit 25 Prozent aller Stimmen voran, nachdem Fillon durch den oben erwähnten Skandal zumindest kurzfristig in der Wählergunst verloren hat und zwischen 20 und 25 Prozent liegt. Macron gilt generell als der Aufsteiger und steht aktuell ebenfalls bei knapp 20 bis 25 Prozent, wobei auch er beschuldigt wird, unter seiner Zeit als Finanzminister Werbemittel schon frühzeitig ausgegeben zu haben, um damit seine bevorstehende Kandidatur zu unterstützen. Sowohl Hamon als auch Melenchon liegen den jüngsten Umfragen zu Folge zwischen 10 und 15 Prozent.

Je nach Umfrage liegt Fillon im Moment nur noch knapp vor Macron oder gar dahinter.

Warum die Präsidentschaft so wichtig ist – Die Dominanz der Exekutive

Trotz leichter Vorteile für die beiden Rechtsparteien wird die Präsidentschaftswahl wohl außerordentlich spannend werden, auch wenn man sich an die Wahlen 2002 erinnert, wo der Kandidat der Linken, Lionel Jospin, überraschend nicht in die zweite Runde einzog; stattdessen der Vater von Marine, Jean-Marie Le Pen, der anschließend deutlich gegen den Kandidaten der Konservativen, Jacques Chirac verlor; auch weil viele Wähler_innen der Linken im zweiten Wahlgang für den Kandidaten der damaligen UMP stimmten.

Ähnlich wie in den USA wird der Präsidentschaftswahl im politischen System eine besondere Wichtigkeit zugeschrieben. Das liegt vor allem daran, dass seit dem Beginn der sogenannten fünften Republik, die 1958 von Charles de Gaulle initiiert wurde, die Exekutive eine besonders dominierende Rolle in der französischen Politik spielt. So sehr, dass viele Demokratie-Indizes Frankreich nicht die Bestbewertung ausstellen, obwohl das in Europa rar ist. Das liegt vor allem an Durchsetzungsrechten der Exekutive wie dem berühmten Verfassungsparagraphen 49.3, der es der Regierung erlaubt, Gesetze ohne die explizite Zustimmung des Parlaments zu beschließen. Man muss dabei erwähnen, dass die Auslösung des 49.3 quasi-automatisiert zu einer Vertrauensabstimmung über die Regierung im Parlament führt. Diese wird jedoch praktisch immer zu einer positiven Abstimmung durch die Parlamentsmehrheit, die ja die Regierung generell stützt.

Der/die Präsident_in ernennt den/die Premierminister_in und beschließt gemeinsam mit diesem/dieser die Liste der Minister_innen. Weiters hat die Exekutive weitreichende Bestimmungsrechte über die diskutierten Gesetzesvorschläge im Parlament (welche aus zwei Kammern: der Assemblée nationale sowie dem Sénat besteht, wobei die assemblée nationale in praktisch allen Politikfeldern den Sénat überstimmen kann; die Rollen sind dabei ähnlich wie im österreichischen Parlament verteilt).

Aus all diesen Gründen ist es in Frankreich äußerst wichtig, die Präsidentschaftswahl zu gewinnen. Auch, weil traditionellerweise in den folgenden Parlamentswahlen (diese finden mehr als ein Monat später ebenfalls in einem Zwei-Rundenmodus statt) die Partei des/der siegreichen Kandidat_in eine Mehrheit erhält und somit das Regieren deutlich vereinfacht wird.

Warum alles doch nicht so einfach ist – Das vergessene Parlament

Aber genau hier kommt der springende Punkt. Ohne Rücksichtnahme auf das Parlament kann Frankreich trotzdem nicht aus der Präsidentschaftsposition heraus regiert werden. Wenn die Parlamentsmehrheit und der/die Präsident_in nicht der gleichen Partei angehören, so spricht man in Frankreich von einer sogenannten “co-habitation”. Dies kennt man aus den USA wo, z.B. Barack Obama sechs seiner acht Präsidentschaftsjahre gegen eine republikanische Mehrheit im Kongress regieren musste und damit eine so genannte “lame duck” darstellte. In Frankreich braucht der/die Präsident_in eine Parlamentsmehrheit um den/die Premierminister_in stellen zu können. Deshalb konnte sich hier bisher die Parlamentsmehrheit mit ihrem/ihrer Kandidat_in durchsetzen.

Das spezielle zweirundige Mehrheitswahlsystem für das französische Parlament stellt weiterhin eine Besonderheit dar, die trotz prinzipieller Mehrheitswahl einer unerwartet großen Anzahl erlaubt, zu “überleben”. Im Unterschied zur Präsidentschaftswahl können mehr als zwei Kandidat_innen in die zweite Runde kommen (solange sie mehr als 12,5 Prozent der Stimmen erhalten und solange kein/keine Kandidat_in eine absolute Mehrheit erhält). Und in der zweiten Runde reicht dann eine relative Mehrheit um den Sitz zu stellen. In den verschiedenen Wahlbezirken bilden sich dadurch oft Allianzen zwischen verschiedenen Parteien für die zweite Runde (manchmal auch schon für die erste Runde), die sich dann als Blöcke zur Wahl stellen und bei Wahlerfolgen dann Posten und Mittel untereinander teilen.

Szenarien für die Parlamentswahlen: Allianzenbildung

Während nun die Kandidaten der politischen Linken während der Präsidentschaftswahlen (Macron zähle ich hier als selbst-proklamierten Kandidaten der Mitte dazu) sich gegenseitig Stimmen wegnehmen werden und mit großer Wahrscheinlichkeit keiner der drei (außer Macron möglicherweise) eine Chance auf einen Sieg hat, so werden sich für die Parlamentswahlen wohl Allianzen zwischen den sich zur Wahl stellenden Kandidat_innen für Abgeordnetenposten schon für den ersten Wahlgang bilden (zwischen Hamon und Melenchon laufen bereits jetzt Gespräche). Davon gehe ich sowohl im Falle einer Wahl von Le Pen als auch von Fillon aus. Falls Macron gewinnen sollte, dürfte es hier zu schwierigeren Allianzbildungen kommen. Durch den Verzicht von Kandidaturen für die erste und/oder zweite Runde der Parlamentswahlen könnten sich stabile Mehrheiten um gemeinsame Kandidaten der linken Gruppierungen bilden.

Abzuwarten bleibt der Effekt einer möglichen Wahl von Le Pen zur Präsidentin. Obwohl der FN bei vorherigen Wahlgängen nach proportionalem Wahlrecht (z.B. bei EU-Parlamentswahlen) schon die relative Mehrheit der Stimmen an sich gezogen hat, war er bis jetzt bei den zweistufigen Wahlen zum französischen Parlament chancenlos und musste sich mit einer sehr geringen Anzahl an Abgeordneten zufrieden geben. Eine große Unbekannte ist nun, ob der FN in der Lage sein wird, dieses Mal eine Parlamentsmehrheit aus dem Hut zu zaubern, was ich aber für ausgeschlossen halte.

Noch größer sind die Hürden speziell für Macron, der keine bereits existierenden Parteien zur Verfügung hat, um auf lokaler Ebene Kandidat_innen zu stellen und somit einen Parteiapparat erst aufbauen muss.

Meines Erachtens könnte es mit einiger Wahrscheinlichkeit dazu kommen, dass es heuer zum ersten Mal einer Koalition zwischen den großen Blöcken der Linken, der Konservativen und/oder dem FN bedarf, um eine Regierung aufzustellen. Dies ist etwas, was in Frankreich bisher kaum diskutiert wird. In jedem Fall dürfte ein Szenario, wie in den USA mit Donald Trump und dessen erst einmal stabilen Mehrheit im Kongress, nur mit geringer Wahrscheinlichkeit eintreten. Das komplexe politische System Frankreichs könnte hier den Machtansprüchen Le Pens einen Strich durch die Rechnung machen.

Es bleibt aber ungemein spannend, welche Kandidat_innen es in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen schaffen und wie sich anschließend allfällige Allianzen zwischen Parteien und anderen politischen Gruppierungen konfigurieren.


Fotos:
Portrait Benoit Hamon: Marion Germa
Portrait François Fillon: Marie-Lan Nguyen

Portrait Emmanuel Macron: Claude Truong-Ngoc
Palais de l’Élysée: Ex13

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