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Terror: Jede Antwort ist falsch

posted by Christian Ennsgraber 23. Februar 2017 0 comments

TL;DR: Terror öffnet die Kammer des intensiven Charakterzeichnung, um dann in eine moralphilosophische Abhandlung zu münden (mit Zitaten!: Judith Thompson! Kant! Karneades!).  Zum  Schluss gibt es noch eine Abstimmung, ob man absoluten Prinzipien folgt oder ob man gute Folgen bevorzugt.


Publikumsabstimmung mit merkwürdigem Spannungsabfall.

Eine Kritik zum Theaterstück Terror im Salzburger Landestheater.
Die Szene: Ein Gericht. Das Publikum: Die Schöffen.

Der Beginn ist vielversprechend: Da erklärt der Richter, dass wir als Publikum Schöffen sind und damit über das Schicksal von Kampfpilot Lars Koch entscheiden. Wenn Terroristen ein Flugzeug kapern und damit einen Terroranschlag an den 70.000 Menschen in der Münchner Allianz Arena verüben wollen: Darf der Pilot Koch das Flugzeug abschießen, und damit die 164 Personen an Board des Kampf direkt töten, oder muss er beim Anschlag tatenlos zusehen, weil ein Mord ein Mord bleibt?

Nachdem die Prämisse klar ist, folgt die meiner Meinung nach stärkste Charakterzeichnung: Oberstleutnant Lauterbach, direkter Vorgesetzter in der Befehlskette, antwortet mit militärischer Korrektheit, irgendwann gehen ihm aber doch die Antworten aus. Während der Befragung sieht man an der Leinwand sein Gesicht, in Großbild. Das fügt der Befragung eine Direktheit hinzu: Lauterbach spricht mit mir, so kam es mir vor. Er wird damit konfrontiert, dass die militärische Befehlskette implizit erwartet hat, dass Lars Koch das Flugzeug abschießt, obwohl natürlich ein Befehl dagegen ausgesprochen wird. Da muss er schlucken, er weiß keine Antwort.

Auch die Darstellung von Lars Koch ist überzeugend. Der ist Vorbildsoldat, Familienvater, Elitepilot mit Gewissen. Seine Familiengeschichte mag etwas schablonenhaft wirken, das Stück behandelt seine Frau und Kinder aber so oder so nur als Teil der Dramaturgie. Mein Gott, die haben nicht einmal Namen. Egal, Lars Koch schildert zahlreiche Argumente, die insgesamt komplex werden: Vielleicht will die Inszenierung zu viel, ich habe 5 Argumente gezählt (ohne die Gegeneinwände). Aber das Frage-und-Antwortspiel mit der Staatsanwältin lässt den Atem stocken. Auf die finale Frage der Staatsanwältin kann Lars Koch nur sagen:

„Jede Antwort ist falsch“

Und dann: der Rest

Ich wäre jetzt bereit für die Abstimmung gewesen, es fühlte sich richtig an. Aber es muss ja auch noch den Opfern ein Gesicht gegeben werden. Die Befragung von Franziska Meiser kann diesen Job zwar erfüllen; die Geschichte wird nicht aufgebläht, sondern lebt von stillen Momenten. Aber mein Gott, gebt den Kindern Namen, und gebt einer emotionalen Geschichte Zeit.

Okay, das ganze dauert nicht lange, Opferrolle ist damit abgehakt.

Nach der Pause : die philosophische Abhandlung

Die Plädoyers der Anwälte wollen oder können dem Dilemma wenig hinzufügen. Moralische Dilemmata zu verstehen ist einfach; die Lösung muss anscheinend mit Worten überfrachtet werden. „Würde“ ist das leerste Wort der deutschen Rechtsprache. Das Ganze im Stil einer philosophischen Vorlesung, ja selbst die Autoren der jeweiligen Beispiele werden zitiert.

Argumentativ haben mich zwei Dinge gestört: Einerseits wird nicht mehr darauf eingegangen, dass ja der militärische Apparat das Abschießen des Flugzeuges erwartet hat. Und zweitens wird die Prinzipienethik à la Kant als Schwarz-Weiß-Moral charakterisiert: So gäbe es scharfe Prinzipien, denen man folgen müsse, was auch immer die Konsequenzen seien. Das bessere Argument, warum Koch die Passagiere nicht töten durfte, wäre doch: Die Passagiere haben nicht zugestimmt, für das größere Gut zu sterben. Dieser Kern einer Prinzipienmoral wird der utilitaristischen Abwägung nicht ausreichend gegenübergestellt. Gute Folgen (164 vs 70.000) gegen Fehlen einer Zustimmung hätte ich mir gewünscht, Würde und absolute Prinzipien bekommen.


Zum Schluss ist es ist keine Gerichtsverhandlung mehr, oder wie die Staatsanwältin sagt: Major Lars Koch ist kein Verbrecher. Durch die philosophische Abhandlung geht der Charakter einer Gerichtsverhandlung verloren. Die Abstimmung zum Schluss war eine Abstimmung darüber, ob man die Überzeugung des Lars Koch teilt. Ob das noch eine Entscheidung über das Schicksal und den Charakter des Lars Koch war?

Wir Geschworenen haben Lars Koch relativ eindeutig als „nicht schuldig“ befunden. Nach Lesen anderer Rezensionen scheint das auch das mehrheitliche Ergebnis anderer Aufführungen und der Fernsehsendung zu sein. Das könnte daran liegen, dass die Prinzipienethik schwarz weiß, ohne den Aspekt der Zustimmung charakterisiert wurde. Es könnte aber auch daran liegen, dass wir Menschen gute Folgen über den Aspekt der Zustimmung stellen. Das bleibt offen, für eine Beratung der Geschworenen hätte die Pause nach den Plädoyers oder direkt nach der Befragung des Lars Koch erfolgen müssen.

Was bleibt, ist eine moralische Abhandlung mit starken Darsteller_innen, holzschnitzartigen Charakteren, Spannung zu Beginn, einer Einführung in die Moralphilosophie zum Schluss und einer Mitmachidee, die dazu zwingt, das Stück kritisch mitzuverfolgen.


Die Aufführung:
Terror, von Ferdinand von Schirach
Salzburger Landestheater, am 20.02.2017
Dauer: ca. 2 h 30 min / inkl. Pause

Weitere Termine & Tickets:
Hier
Die letzte Vorstellung ist am Mittwoch, dem 19. April 2017.


Fotos: Anna-Maria Löffelberger

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