Politik

PRO: Warum die SPÖ die FPÖ nicht ausschließen darf

posted by Gerd Brand 15. Juni 2016 0 comments

PRO

Dieser Kommentar ist Teil einer PRO&CONTRA Serie. Das Ziel besteht darin, inhaltliche Debatten gesellschaftlichen und politischen Themen zu fördern. Der Contra Artikel stammt von Tobias Aigner.


 

Ich könnte darauf eine einfache Antwort geben, die lautet, dass man mehr als 30 Prozent der Bevölkerung nicht von seinen politischen Überlegungen ausschließen soll und darf. So einfach mache ich es mir aber nicht und werde diese Aussage begründen. In meiner Argumentation beschränke ich mich auf folgenden Aspekt: Es macht keinen Sinn, bei der FPÖ andere Maßstäbe als bei anderen Parteien anzulegen

Der erste Fehler.

In den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg stand Österreich vor seiner schwierigsten Aufgabe in der Geschichte. Das Land war zum einem durch den Krieg wirtschaftlich am Boden. Zum anderen stand man aber auch vor der Herausforderung, so schnell und gut wie möglich einen politischen und gesellschaftlichen Neustart zu machen. Eine eher kleine Rolle spielte dabei die VdU; die Vorgängerpartei der FPÖ, welche 1955 gegründet wurde.

Warum ich in den ersten zehn Jahren der Zweiten Republik beginne, ist leicht erklärt. Bereits in den Anfangsjahren wurde ein großer Fehler begangen. Alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder besaßen kein Wahlrecht. Das mag den damaligen Entscheidungsträgen richtig erschienen sein. Aus meiner Sicht war das aber der Startschuss, um den davon Betroffenen zu erlauben, sich selbst in einer Opferrolle zu fühlen. Wie die Wahlergebnisse 1949 und 1953 zeigen fand eine nicht unwesentliche Solidarisierung statt und die VdU erreichte immerhin 11,7 Prozent bzw. 10,90 Prozent.

Ab dem Jahr 1955, nun als FPÖ waren die Wahlergebnisse eher bescheiden. Einer der Gründe war meiner Ansicht nach, dass man sich nicht mehr mit dieser Partei solidarisierte. Es gab keinen Grund mehr, die FPÖ und ihre Mitglieder als Opfer von Ausgrenzung anzusehen. Bis zum Jahr 1970 spielte die FPÖ keine große politische Rolle. Die Wahlergebnisse schwankten zwischen 5,5 Prozent und 7,7 Prozent. Immerhin wurde die FPÖ aber ständig als „Zünglein an der Waage“ hofiert. Im Jahre 1970 schließlich konnte Bruno Kreisky durch die Unterstützung der FPÖ eine Minderheitsregierung bilden.

Nach 13 Jahren SPÖ Alleinregierung wurde im Jahr 1983 eine Koalition SPÖ-FPÖ gebildet. Wieder war es die FPÖ, welche die SPÖ unterstützte. Noch immer ist die FPÖ bei ihrem bisherigen Stimmenanteil verblieben. Sie erreichte 1983 mit 5,0 Prozent sogar ihr bislang schlechtestes Ergebnis.

Der zweite Fehler.

Als 1986 mit Jörg Haider der Kopf des deutschnationalen Flügels an die Spitze der FPÖ gewählt wurde, kündigte Kanzler Franz Vranitzky die Koalition. Für mich war das war wiederum der zweite Fehler. Die Wahlergebnisse der folgenden Wahlen zeigen die Auswirkung davon. Die FPÖ erreichte zunehmend bessere Ergebnisse: Chronologisch betrachtet 9,7 Prozent, 16,6 Prozent , 22,5 Prozent, 22,0  Prozent und schließlich im Jahr 1999 26,9 Prozent. Die Zustimmung zur SPÖ sank im gleichen Zeitraum von 43,1 Prozent auf 33,2 Prozent. Insgesamt verlor die Sozialdemokratie also knapp zehn Prozent an Zustimmung.

Die Folge dieser Wahl war, dass die ÖVP unter Schüssel eine Regierung mit der FPÖ bildete. So negativ die Auswirkungen dieser Regierungszeit auf Österreich waren, so aufschlussreich ist es, wenn man den Effekt bei den kommenden Wahlen beleuchtet.

Durch die Regierungsverantwortung wurde die FPÖ vor unlösbare Aufgaben gestellt. Jetzt war der Tag oder besser  gesagt die Zeit gekommen, zuvor versprochene Änderungen umzusetzen. Den blauen Politiker_innen wurde schnell bewusst, dass sich populistische Forderungen in Regierungsverantwortung kaum umsetzen lassen. Lehre Versprechen an die Wähler_innen führten zu desaströsen Wahlergebnissen und einer Spaltung in die Parteien BZÖ und FPÖ. Bei der Nationalratswahl 2002 erreichte die FPÖ lediglich 10 Prozent und bei der Nationalratswahl 2006 erreichten FPÖ und das BZÖ gemeinsam nur 15,1 Prozent der Stimmen.

Der dritte Fehler.

Die Ära Schwarz-Blau war am Ende. Nach der Nationalratswahl 2006 wurde wieder eine „Große Koalition“ gebildet.  Zu diesem Zeitpunkt war die FPÖ so schwach, dass eine SPÖ-FPÖ-Koalition allein schon arithmetisch unmöglich gewesen wäre. Unabhängig davon hielt die SPÖ an der Position fest, dass die FPÖ nicht einmal hypothetisch für Regierungsverhandlungen infrage kommt.

Dazu wieder die Wahlergebnisse der folgenden Wahlen: 2008 (FPÖ+BZÖ) 28,2Prozent und 2013 (FPÖ+BZÖ) 24,0 Prozent. Wie bereits nach 1945 und nach 1986 fand man schnell in die Opferrolle zurück und schaffte es erneut, die unzufriedenen Bürgerinnen und Bürger für sich zu begeistern. Erneut gefiel sich die FPÖ in dieser Rolle sehr gut (und tut es noch immer).

Ein kleines Gedankenexperiment:

1.
Das Stammwähler_innenpotential der FPÖ dürfte bei rund 5 Prozent aller Wahlberechtigten anzusiedeln sein, also relativ klein. In Zahlen entspricht das ungefähr 300.000 Menschen. Davon, so meine Schätzung, dürften rund drei bis fünf Prozent dem rechten Rand zuzordnen sein. Tatsächlich ein Problem der FPÖ, in Zahlen aber nicht mehr als 9.000 bis 15.000 Menschen.

2.
Wenn sich die FPÖ als Opfer stilisiert, führt das dazu, dass Menschen, die selbst davon überzeugt sind, stets benachteiligt zu werden, alleine deswegen eine Sympathie für die FPÖ zu entwickeln. Die Erfahrung zeigt, dass etwa 10 Prozent der Wahlberechtigten dazu neigen, so ihre Wahlentscheidung zu treffen. In Zahlen sind 600.000 Menschen.

3.
Ich bin davon überzeugt, dass die größte Gruppe aller FPÖ-Wähler_innen schlicht unzufrieden mit der Politik und den Parteien im Allgemeinen sind. Gehe ich konservativ davon aus, dass es sich bei etwa einem Viertel aller Stimmen um Proteststimmen handelt, dann komme ich auf eine Gruppe von ungefähr 1,5 Millionen Wählerinnen und Wähler. Das sind Menschen, die mit Sicherheit nicht rechts sind und mit der FPÖ nur wenig am Hut haben. Gleichzeitig aber fühlen sie sich in ihrem Frust bestätigt, wenn ihre Proteststimme bzw. die Partei ihrer Wahl einfach außen vor gelassen wird.

Immer wieder denselben Fehler machen?

Dieses Gedankenexperiment, sowie die Zahlen vergangener Wahlen lassen eindeutige Schlüsse zu. Die Stammwähler_innen der FPÖ sind entweder sogar Parteimitglied, oder zumindest schwer bis kaum zu erreichen. Die Gruppe, die sich mit der FPÖ identifiziert, weil sie als Opfer gilt, würde sich auf die anderen Parteien und Nichtwähler_innen aufteilen. Die dritte Gruppe der Politikverdrossenen oder Unzufriedenen würden durch eine SPÖ-FPÖ Koalition neutralisiert. Nachdem die FPÖ in Regierungsverantwortung zum einen ihre Opferrolle ablegen muss, und als gestaltende Partei plötzlich selbst zum Establishment gehört, die Politik da oben selbst mitgestaltet, schwindet der Anreiz in der Bevölkerung, sich mit der FPÖ zu solidarisieren bzw. sie sogar zu wählen.

Mit der FPÖ verhält es sich wie mit einem Boxer. Solange sich keiner traut, mit ihm in den Ring zu steigen, bleibt er unbesiegt. Schüssel hat von 2000 bis 2006 gezeigt, dass er zu besiegen ist.

Deswegen bin ich für eine Koalition mit der FPÖ, bzw. dafür, zumindest ernsthaft in Koalitionsverhandlungen mit ihr zu treten. Wir können nicht mehr als zwei Millionen der Wahlberechtigen von unseren Überlegungen ausschließen. Zu diesen Überlegungen zählen nicht dur die Inhalte der FPÖ, sondern auch der Umstand, dass viele Menschen die FPÖ nur wählen, weil sie mit der Regierung unzufrieden sind oder schlicht dagegen sind, dass die FPÖ nicht als potentieller Koalitionspartner ernstgenommen wird. Wenn wir das noch länger machen, treiben wir der FPÖ immer neue Wählerinnen und Wähler in die Arme.

In diesem Zusammenhang gebe ich zu bedenken, dass die SPÖ  immer wieder eine Koalition mit der ÖVP eingeht, obwohl das mit Blick auf die sozialdemokratischen Werte bedeutet, Kompromisse entgegen der eigenen politischen Ideologie eingehen zu müssen. Auch mit Blick auf die Geschichte sollte allen Sozialdemokrat_innen bewusst sein, dass es im Jahre 1934 mit Dollfuß ein Schwarzer, ein “Christlich Sozialer” bzw. ein Kanzler der Vaterländischen Front war, der auf Arbeiter und Arbeiterinnen schießen ließ.

Würde man für die FPÖ die gleichen moralischen Maßstäbe anlegen, wie das für die ÖVP der Fall ist, dann stünde einer Koalition (fast) nichts im Wege.

Selbstverständlich gibt es rote Linien.

Grundprinzipien, über die für die SPÖ keine Diskussion besteht. Diese Grundprinzipien müssen aber gelten, egal ob der potentielle Koalitionspartner grün, schwarz, blau, pink, gelb, lila oder welcher Farbe auch immer ist. Das muss die Devise sein. Diese roten Linien gibt es immer.

Die Frage, die sich stellt, ist nicht, ob wir eine Partei ausgrenzen sollen oder nicht. Die Frage lautet, warum wir nicht bei allen Parteien dieselben Maßstäbe anlegen sollen! Es kann nicht sein, dass wir mehr als 30 Prozent der Wähler_innenstimmen ignorieren.  Für mich ist auch eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartner denkbar, falls diese Bedingungen eingehalten werden.

Als die Grünen im Bundesland Salzburg eine Koalition mit der ÖVP und dem Team Stronach eingingen, gab es keinen Aufschrei, dass die Grünen plötzlich mit Leuten koalierten (und immer noch tun), die vorher einmal FPÖ-Mitglieder waren. Trotz Parteiwechsel ist bei keiner dieser Personen eine Wandlung vom Saulus zum Paulus zu erkennen.

Die repräsentative Demokratie lebt davon, dass Parteien im Sinne der Sachpolitik Kompromisse schließen, obwohl sie Ideologien vertreten, die sich gegenseitig wiedersprechen. Das gilt aber für mehrere Parteien. Eine Koalition mit der FPÖ im Vorhinein auszuschließen, wäre ein schwerer Fehler.

Einmal einen Fehler zu machen kann passieren, ein zweites Mal ist er noch zu verzeihen. Denselben Fehler aber immer und immer wieder zu wiederholen,  ist dumm!

 

Foto: Arne Müseler


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