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Andreas Huss: “Gesundheitsverhalten immer nur vom Einzelnen einzufordern, ist mir zu wenig.”

posted by Daniel Winter 17. Juni 2016 0 comments

In diesem Interview spricht Andreas Huss MBA , der Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse über Ernährung, Gesundheit und Prävention. Für ihn hängt die Gesundheit unserer Gesellschaft in der Zukunft von vielen Faktoren ab, die unser gesamtes Lebensumfeld betreffen. Darunter fallen etwa auch Bereiche wie Verkehr oder Wohnbau. Die Idee, beim Schulessen anzusetzen, hält er für einen ersten wichtigen Schritt.


Ein Projekt der Universität Salzburg und der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität („SALTO“) hat ergeben, dass bereits jedes fünfte Kindergartenkind in Salzburg übergewichtig ist. Warum werden Salzburgs Kinder immer dicker? Sind Sie von den Zahlen überrascht?

Das sind die bekannten Zahlen aus dem österreichischen Ernährungsbericht, insofern sind sie nicht überraschend. Auch die Ursachen überraschen nicht: Bewegungsmangel und ein Überangebot an Süßem und Knabbereien.
Wir alle bewegen uns heute zu wenig. Fortbewegung heißt Autofahren. Und das übertragen wir natürlich auf die Kinder. Gleichzeitig ist Essen immer und überall verfügbar – und natürlich nicht unbedingt die gesunden Dinge.

Wenn wir gegensteuern wollen, müssen wir auch unseren Lebensstil hinterfragen.

Wir müssen Bewegung verstärkt in den Alltag auch von Kindern integrieren – zu Fuß oder mit der Rad in die Schule fahren. Wir müssen aber auch das Lebensumfeld von Kindern gesünder gestalten. Da gehört die tägliche Bewegungseinheit in der Schule genauso dazu wie eine gesunde gemeinsame Jause am Vormittag und ein hochwertiges Essensangebot zu Mittag.

Wie versucht die SGKK Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern vorzubeugen? Wie wichtig ist Ernährung überhaupt für die Gesundheit?

Ernährung ist ein Baustein für Gesundheit. Gerade bei Kindern werden Gewohnheiten für das spätere Leben geprägt. Zu Mittag die schnelle Pizzaschnitte oder die Pommes, die man im Gehen oder im Bus in sich hineinstopft – das sind die Grundlagen für Übergewicht und Fehlernährung.

Die SGKK hat deshalb seit fast 20 Jahren eine eigene Ernährungsberatung. Ein Schwerpunkt liegt auf Kindern. Neue Studien zeigen, dass durch falsche Ernährung in der Schwangerschaft bereits die Grundlage für das spätere Übergewicht des Kindes gelegt werden kann. Wir haben deshalb das Projekt Baby-isst-mit gestartet, bei dem  Schwangere und junge Eltern ein kostenloser Workshop angeboten wird, in dem es um gutes und gesundes Essen für Kinder geht. Rund 5.000 Mütter – und auch ein paar Väter – haben in den letzten Jahren diesen Workshop bereits besucht. Das ist für mich ein Zeichen, dass den jungen Eltern die Wichtigkeit von Ernährung sehr wohl bewusst ist!

Weitere Schwerpunkte setzen wir dort, wo die Kinder einen guten Teil des Tages verbringen: in Kindergärten und Schulen. Mit Tiger Kids haben wir ein Angebot, bei dem Kindergärten ein Projekt bekommen, das spielerisch Kindern – und ihren Eltern – gesundes Essen näherbringt. 40 Kindergärten in Salzburg setzen das bereits um.

Die Salzburger SPÖ fordert, dass an möglichst allen Schulen frisch gekocht wird. Ist diese Forderung aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Auf alle Fälle! Frisch gekochtes Essen prägt die Gewohnheiten der Kinder und das ist sehr wichtig! Ich würde die Forderung aber ausweiten: Auch die Vormittagsjause kann eine gemeinsame sein, die von der Schule zur Verfügung gestellt wird.

Da geht es mir nicht darum, dass die Kinder nur mehr Müsli und Vollkornbrot bekommen sollen. Aber Jausen, die aus Chips, Milchschnitten und Extrawurstsemmerln bestehen, sind auf Dauer nicht gesund. Und mir wäre auch wichtig, die Softdrinks wie Cola, Eistee und Energy Drinks aus den Schulen zu verbannen. Es geht nicht um generelle Verbote – in der Freizeit kann jeder konsumieren, was er will. Aber diese Getränke wirken sich negativ auf die Konzentration und das Lernvermögen der Kinder aus. Und da kann man aus meiner Sicht schon sagen, dass das in der Schule nichts zu suchen hat.

Laut einer Studie der Ärztekammer und der WU Wien von 2010 werden die zusätzlichen Kosten aufgrund einer Verschlechterung des Gesundheitszustand von Jugendlichen österreichweit bis 2030 auf 1,6 Milliarden Euro ansteigen. Bis 2050 sogar auf 3,7 Milliarden Euro. Wie sollte die Politik darauf reagieren?

Die Gesundheitspolitik selbst kann hier nur wenig machen. Wir sind in anderen Politikbereichen gefordert. Im Bildungssystem muss etwas getan werden. Gesundes Essen muss an Schulen und in Kindergärten selbstverständlich sein. Bewegung ist aber genauso wichtig. Die tägliche Sportstunde ist eine gute Forderung. Sie wird kurzfristig nicht umzusetzen sein. Ich plädiere deshalb für die tägliche Bewegungseinheit. Hinausgehen, Fangen spielen, Stiegenhausläufe machen, Kraft- und Beweglichkeitsübungen – das alles lässt sich auch ohne zusätzliche Turnsäle umsetzen. Natürlich brauchen LehrerInnen und Schulen dafür Unterstützung. Und die müssen wir gemeinsam einfordern.

Wir sehen aber in allen Untersuchungen auch, dass Übergewicht und damit verbundene Gesundheitsprobleme nicht pauschal ansteigen. Sie sind auch milieubedingt. Kinder mit Migrationshintergrund oder aus den sogenannten bildungsfernen Schichten sind häufiger übergewichtig. Wir müssen Programme entwickeln, um diese Kinder zu erreichen. Da sehe ich auch uns als SGKK stark gefordert.


Offensichtlich leben die Österreicherinnen und Österreicher immer ungesünder. Kann man mit gesundheitlichen Präventionsmaßnahmen diese Entwicklung aufhalten?  Lassen sich überhaupt Anreize für eine gesündere Lebensweise setzen. Wenn ja, wie?

Dass die Österreicherinnen und Österreicher immer ungesünder leben, sehe ich so nicht. So steigt z.B. die Anzahl der Raucher und Raucherinnen schon lange nicht mehr an.

Aber es stimmt natürlich, dass die meisten von uns vom Idealzustand weit weg sind. Die wöchentliche Bewegungsempfehlung würde 3 Stunden Ausdauertraining und 2mal 30 Minuten Krafttraining pro Woche vorsehen. Die Ernährungsempfehlungen sagen, dass wir täglich 5 Gemüseportionen, dafür aber nur 2mal die Woche Fleisch essen sollten. Psychologen meinen, wir sollten mehr Entspannungsübungen machen.

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Hat die durchschnittliche Person für all das überhaupt Zeit?

Das alles schaffen die wenigsten von uns. Ich glaube, dass all diese Empfehlungen auch Druck auf den Einzelnen erzeugen, permanent noch perfekter sein zu müssen. Wir übertragen hier den Druck aus der Arbeitswelt auf unsere private Lebensweise. Mir ist es aber wichtiger, dass die Lebensbedingungen der Menschen gesund gestaltet werden und sie Anreize und Möglichkeiten haben, sich gesund zu verhalten.

Bleiben wir konkret bei den Kindern: Ich kann Appelle an Eltern setzen, dass die gesund kochen sollen. Wenn die Kinder zu Mittag in der Schule sind und dort gibt es Aufgewärmtes aus der Mikrowelle und als Alternative Burger mit Pommes – dann helfen diese Apelle nichts. Sie erzeugen nur Druck. Wir müssen die Kindergärten, die Schulen – und natürlich auch die Betriebe – in Richtung Gesundheit verändern.

Das geht für mich aber über den Schulbereich hinaus. Wenn ich z.B. möchte, dass die Kinder wieder mit dem Rad oder zu Fuß zur Schule kommen, werden wir für sichere Verkehrsbedingungen sorgen müssen.

Gesundheitsverhalten immer nur vom Einzelnen einzufordern, ist mir zu wenig.

Wir müssen unser gesamtes  Lebensumfeld gesund gestalten – und das betrifft auch Bereiche wie Wohnbau oder Verkehr, die auf den ersten Blick mit Gesundheit nichts zu tun haben.

Essen Sie manchmal bei McDonalds?

Nein, weil es mir nicht schmeckt. Aber ein Leberkässemmerl gönne ich mir schon ab und zu.

Vielen Dank für das Interview!

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