Manchen stockte das Herz, als sie die Berge von Leichen sahen. Andere brachen in Tränen aus. Viele beteuerten, nichts davon gewusst zu haben. Es muss für die Bürger_innen aus Weimar eine schmerzhafte Konfrontation gewesen sein, als sie auf Befehl von General George S. Patton das KZ Buchenwald besichtigen mussten.
„Die Weimarer haben gut gelebt mit ihrem KZ. Vom Dienststempel für den Lagerkommandanten bis zum Bier für die SS – sie schafften ran, was man auf dem Ettersberg bestellte. Sie profitierten von Zwangsarbeit und ‚Arisierung‘.“ [1]
Fünf Tage zuvor, am 11. April 1945, wurde das Lager von der US-Armee befreit. Auf dem Gelände nahe Weimar wurden zwischen 1937 und 1945 rund 250.000 Menschen gequält und gefoltert. Erschöpfung, Krankheit und Hunger waren ihre täglichen Begleiter. 56.000 Häftlinge verloren dort ihr Leben, darunter auch der österreichische Schriftsteller Jura Soyfer.
Die amerikanischen GI‘s wurden in der Nähe der Stadt Goethes und Schillers mit einem Schrecken unbekannten Ausmaßes konfrontiert. Tausende Häftlinge mussten beerdigt werden, die zuvor auf Todesmärschen qualvoll ums Leben kamen. Zudem galt es, die kranken und ausgemergelten Überlebenden – viele davon mehr tod als lebendig – bestmöglich zu versorgen.
Jüdische Zwangsarbeiter im KZ Buchenwald bei ihrer Befreiung am 16. April 1945. [Public Domain]
Die Täter, wie Lagerkommandant Hermann Pister, waren zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Flucht, als mit der Suche nach den Verantwortlichen begonnen wurde. Das US-Militär führte innerhalb weniger Monate im Rahmen des „War Crimes Program“ gegen rund 6.000 tatverdächtige Personen Ermittlungen durch – 250 davon wurden schließlich interniert. Mitte Juni 1945 wurde auch Pister von amerikanischen Soldaten verhaftet.
Bereits seit dem Frühsommer 1944 wurden von amerikanischer Seite Vorkehrungen zur Ahndung deutscher Kriegsverbrechen getroffen. Dazu wurden ein Justiz- und Verfolgungsapparat aufgebaut sowie alle notwendigen gesetzlichen Regelungen geschaffen. Sogenannte „War Crimes Investigation Teams“ waren für Ermittlungen und zur Beweismittelsicherung abkommandiert.
Am 11. April 1947, exakt zwei Jahre nach der Befreiung, begann der Buchenwald-Hauptprozess im Internierungslager Dachau. Genau dort, wo sich zuvor das Konzentrationslager befand. Neben Hermann Pister saßen weitere 30 Personen auf der Anklagebank. Unter ihnen befanden sich der „Höhere SS- und Polizeiführer“ Josias zu Waldeck und Pyrmont, SS-Hauptsturmführer Hans Schmidt sowie die Lagerärzte Hans Eisele und August Bender.
Ilse Koch, die Ehefrau des ersten Lagerkommandanten Karl Koch, war die einzige weibliche Angeklagte im Hauptprozess. Ihre sadistischen Neigungen waren unter den Häftlingen gefürchtet. Später wurde sie als „Hexe von Buchenwald“ international bekannt.
„Wir wollen in diesem Prozess beweisen, daß diese 31 Personen Teilnehmer an der Ausführung eines gemeinsamen Planes waren, durch den Angehörige verschiedener Nationen der Tötung, Aushungerung und Mißhandlung ausgesetzt waren.“ Oberstaatsanwalt William D. Denson, 11. April 1947 [2]
Stück für Stück wurden Beweise vorgelegt, die für ein gemeinschaftliches Vorgehen der Angeklagten sprachen. Lagerkommandanten, SS-Wachen, Ärzte: Sie alle erfüllten täglich ihre Pflichten um das Lagersystem – das Funktionieren des Mordapparats – am Laufen zu halten. Ein Zeuge meinte: “Die Schweine in der SS-Stallung erhielten besseres Futter, als es die Verpflegung der Häftlinge darstellte.“ [3] Andere sagten über Menschenversuche aus. Buchenwald, der Schrecken aller Schrecken;
Ilse Koch beim Buchenwald-Hauptprozess am 8. Juli 1947. [Public Domain]
Heute vor 69 Jahren erfolgte die Urteilsverkündung. Neben fünf lebenslangen und vier zeitigen Freiheitsstrafen wurden 22 Todesurteile ausgesprochen. Prozesse wie jener in Dachau sollten neben der Ahndung und Sühne von NS-Verbrechen auch einen Reflexionsprozess in der Bevölkerung in Gang setzen. Die Etablierung einer demokratischen und rechtsstaatlichen Kultur galt dabei als wichtiges Ziel der Alliierten.
Doch der erste Schock über die begangenen Gräueltaten flaute rasch ab. Der antifaschistische Geist der ersten Nachkriegsmonate wurde durch kollektive Verdrängung abgelöst. Viele Täter_innen blieben unbestraft. Jene, die darüber sprechen wollten, wurden als „Nestbeschmutzer“ diffamiert. Niemand hat diese Stimmung in breiten Kreisen der Bevölkerung besser zusammengefasst als Helmut Qualtinger in “Der Herr Karl”: “Is eahm eh nix passiert.”
Erst viele Jahre später wurde eine Diskussion möglich. Umkämpfte Erinnerungsorte wie die “Wehrmachtsausstellung” waren dafür ausschlaggebend. Den Grundstein für diese Auseinandersetzung legten jedoch Prozesse wie jener um das KZ Buchenwald.
Titelfoto: Weimarer Bürger_innen besichtigen auf Befehl von General George S. Patton das Konzentrationslager Buchenwald. [Public Domain]
Quellen:
[1] Welt.de: Wie Weimar an Buchenwald verdiente. [Link öffnen]
[2] Der Spiegel: Der SS-Staat [Link öffnen]
[3] siehe oben