Geschichte

Erinnerung an Pfarrer Oskar Brüsewitz: Der Vorbote des Systemwechsels

posted by Alexander Neunherz 21. August 2016 0 comments

Titelfoto: Montagsdemonstration am Karl-Marx-Platz in Leipzig, 16. Oktober 1989.
Fotograf: Friedrich Gahlbeck | Bundesarchiv, Bild 183-1990-0922-002 | CC BY-SA 3.0


Vier Tage rang er um sein Leben, doch die Verbrennungen waren letztendlich zu schwer. Am 22. August 1976 starb der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz in einem Krankenhaus. Die Machthaber_innen der SED werden ihn später als Geisteskranken denunzieren lassen.

Das „Fanal von Zeitz“ spielte sich zuvor an einem Mittwochvormittag ab. Pfarrer Brüsewitz stellte zwei Plakate auf sein Auto, das gegenüber der Michaeliskirche stand. Darauf war zu lesen: “Funkspruch an alle: Die Kirche der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen.“ Dann goss er Benzin über seinen Talar und zündete sich an.

Die Staatsorgane der DDR versuchten zunächst, den Vorfall geheim zu halten. Als dieses Vorhaben misslang, wurde Brüsewitz in der Presse als ein „abnormal und krankhaft veranlagter Mensch“ bezeichnet, „der oft unter Wahnvorstellungen litt“. Zudem wurde westlichen Nachrichtenagenturen unterstellt, „diesen Selbstmordversuch zu einer verleumderischen Hetze gegen die DDR“ auszunutzen.

Zeit der Unfreiheit: “Die Kirche der DDR klagt den Kommunismus an!” [Public Domain]

Die Selbstverbrennung war entgegen der DDR-Propaganda der letzte Protestakt eines Mannes, der sich mit der Diktatur der SED nicht abfinden und ein Zeichen gegen die kommunistische Bildungspolitik setzen wollte. Brüsewitz litt auch darunter, wie sich seine Kirche mit den Machthaber_innen arrangierte. Für ihn war dies nie eine Option:

„So installierte er auf seinem Kirchturm ein drei Meter hohes Kreuz aus Neonröhren, das bei Dunkelheit von weitem zu sehen war. Auch mit Plakaten forderte er die Staatsmacht heraus: Als diese an der Dorfschule ‚25 Jahre DDR‘ bejubelte, konterte er gegenüber auf dem Kirchengelände mit der Aufschrift ‚2000 Jahre Kirche Jesu Christi‘. Auf die Parole ‚Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein‘ antwortete er mit der Losung ‚Ohne Regen, ohne Gott, geht die ganze Welt bankrott‘, die er auf einem Pferdefuhrwerk durch Zeitz fuhr.“ [1]

Während dieser Protestaktionen fühlte sich der Pfarrer von seiner Kirche oft im Stich gelassen. Sie half auch nicht, als das DDR-Regime seine Ablösung forderte. Im Gegenteil: Im Juli 1976 wurde im nahegelegt, die Pfarrstelle zu wechseln. Vielleicht war dies der entscheidende Anstoß zu seinem letzten Protest.

Sein Opfer war so unfassbar tragisch wie wichtig. Das Begräbnis glich einer Demonstration. Menschen, die wie Brüsewitz dachten, solidarisierten sich mit ihm. Seine Kirche – die zuletzt nicht mehr wirklich seine Kirche war – sah sich gezwungen, ihr Verhältnis zum DDR-Sozialismus zu überdenken.

Die im Jahr 1971 aufgestellte Formel „Kirche im Sozialismus“ wurde immer mehr infrage gestellt. Für oppositionelle Gruppen war die evangelische Kirche in den 1980 Jahren daher zum Zufluchtsort geworden, auch für Nichtchristen. Die Kirchengemeinde wurde so zur Keimzelle der friedlichen Revolution, wie der DDR-Oppositionelle Ehrhart Neubert berichtete:

“Die Oppositionellen haben begriffen, dass sie nicht mit Strategien und Ideen, die weit außerhalb der Kirche lagen, das in die Kirche implantieren konnten, sondern es gab eine Verschmelzung von politischen Anliegen und geistlichen Dingen oder einer politischen Spiritualität, die entstand, etwa sichtbar in den Friedensgebeten, die die ganzen 80er-Jahre über existierten.” [2]

In Leipzig begannen die Friedensgebete bereits im Jahr 1982. Als sich im Sommer 1988 der staatliche Druck erhöhte, war es den Initiator_innen nicht mehr möglich, die Friedensgebete frei zu gestalten. Tumulte im Publikum und erste kleinere Demonstrationen waren die Folge. Die sich daraus entwickelten Montagsdemonstrationen gaben letztendlich den entscheidenden Anstoß für den nahenden Umsturz. Den eigentlichen Ausgangspunkt dafür hatte aber ein mutiger Pfarrer gelegt, der heute leider viel zu sehr in Vergessenheit geraten ist.

Quellen:
[1] Domradio.de [Link öffnen]
[2] Deutschlandradio Kultur [Link öffnen]

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