Politik

Wird man Kern gerecht, wenn man ihm Populismus und übertriebene Selbstinszenierung vorwirft?

posted by Bernhard Heinzlmaier 27. September 2016 0 comments

Ein Kommentar.

Man konnte darauf warten. Und nun ist es passiert. Die Doyens der Politikwissenschaft richten mahnende Worte an Christian Kern, nicht nur zu kommunizieren und sich selbst darzustellen, sondern auch etwas zu tun. Schluss mit der Inszenierung des schönen Scheins, Schluss mit der Anbiederung an den Boulevard, der Kanzler muss endlich liefern, rauscht es durch den Blätterwald, der gleichförmig und redundant immer das wiedergibt, was irgendein Vordenker in die Welt gesetzt hat. Im österreichischen Journalismus schreiben ja viele hinter einigen wenigen her oder von der APA ab. Eigentlich muss ein geschickter Demagoge nur mehr die Presseagenturen manipulieren und hat damit weitgehend die Zeitungslandschaft auf seine Linie gebracht.

„Menschen sind nur darum zur Politik begabte Wesen, weil sie mit Sprache begabte Wesen sind.“
(Hannah Arendt, Vita Activa)

Aber zurück zum Punkt. Dem neuen Kanzler wird vorgeworfen, nur zu kommunizieren und nicht zu handeln. Aber ist Kommunikation nicht auch handeln? Kann nicht alleine eine entschlossene Kommunikation der Politik neue Denkräume eröffnen und in Vergessenheit geratene Schlüsselthemen wieder auf die Agenda setzen und so erste Anstöße für die tatsächliche Veränderung des Realen liefern?

Ein Beispiel.

Ich bringe ein Beispiel. Christian Kern hat die Wertschöpfungsabgabe und die Kritik an der Austeritätspolitik wieder auf die Tagesordnung der Politik gesetzt, zwei Themen, die davor eine mutlos gewordene Sozialdemokratie nicht einmal zu denken, geschweige denn anzusprechen gewagt hat. Zu groß war die Angst davor, von den meinungsführenden Vertreter_innen des Neoliberalismus als realitätsfremd und in Wirtschaftsfragen inkompetent abgetan zu werden. Und plötzlich kommt da einer, der entschlossen darauf hinweist, dass man diese Gesellschaft nicht alleine durch bildungs- und identitätspolitische Konzepte und durch eine liberale Kunst- und Kulturpolitik sozialer und gerechter machen kann. Und er macht unumwunden klar, dass man auch die Ökonomie als wichtigste Dominante der gesellschaftlichen Entwicklung in eine sozialdemokratische Reformpolitik miteinschließen muss.

Einen solchen mutigen Schritt hat keiner seiner Vorgänger_innen gewagt. Zuletzt war es Kreisky, der mit marktregulierenden Maßnahmen und nicht mit Deregulierungskonzepten Wirtschaftspolitik gemacht hat. Anstelle selbst zu denken, rannten über Jahre hinweg alle hinter ein paar „renommierten“ Ökonom_innen hinterher, die den freien Markt als Glücksquelle für alle Menschen gepriesen haben. Dass wir, seit der neoliberale Markttotalitarismus die Wirtschaftspolitik bestimmt, eine sich dynamisch öffnende Einkommensschere zwischen Armen und Reichen sehen müssen, blieb über die Jahre hinweg genauso unbeachtet, wie die Tatsache, dass in Österreich das reichste Prozent der Bevölkerung über 23,4 Prozent des gesamten privaten Vermögens verfügt, während die ärmeren 50 Prozent zusammen lediglich 3,2 Prozent besitzen.

Solche Aussagen sind es, die die Welt verändern können.

Allein wenn einer angesichts einer solchen schier unglaublichen sozialen Ungleichheit, die restriktive Ausgaben- und Sozialpolitik der Europäischen Gemeinschaft kritisiert, die wohl auch der eigentliche Grund für den sich ausbreitenden Rechtspopulismus ist, ist das eine hochgradig praxisrelevante, fast titanische Handlung, für die er Würdigung und nicht Schelte verdient. Denn solche Aussagen sind es, die die Welt verändern können, weil sie zu neuen Wahrnehmungsweisen des Realen führen, indem sie von neoliberalen Thinktanks gezielt aufgestellte Denktabus aushebeln.

Zudem ist es eine Wohltat für die Augen

Und nun zur Kritik am ästhetischen Schein. Wir leben in einer Zeit der „Visual Culture“. In ihr ist das Sichtbare, das Symbolische, das Stilistische, das Formale wichtiger als alles andere. Nur der, der in der Lage ist, Werte wie Optimismus, Kompetenz, Leadership, aber auch Anständigkeit und Kultiviertheit zielgruppengerecht zu versinnbildlichen, kann heute Wahlen gewinnen. Und gerade hier macht Christian Kern alles richtig. Zudem ist es eine Wohltat für die Augen, im Übrigen das für die menschliche Wahrnehmung wichtigste Sinnesorgan, einmal einen gut gekleideten, rhetorisch brillanten und in Stilfragen kompetenten Politiker am Werk zu sehen. Gerade die Sozialdemokratie war ja in den letzten Jahrzehnten nicht gesegnet mit Führungspersonen, denen man zutrauen konnte, einen Anzug von Armani, Versace oder Ermenegildo Zenga zu tragen, ohne darin peinlich oder wie ein modischer Irrtum zu erscheinen oder ein Innenstadtrestaurant betreten zu können, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, sich in der Tür geirrt zu haben.

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Das Wesen unserer von Bildmedien geprägten Zeit

Wer heute die ästhetische Meisterschaft einer Führungsperson geringschätzt oder die Fähigkeit, über „Inhaltliches“ zu reden, der Begabung mit symbolischen Formen umzugehen maßlos überordnet, beweist nicht politisches Verständnis, sondern in erster Linie, dass er das Wesen unserer von Bildmedien geprägten Zeit nicht verstanden hat. Ein dicker und hässlicher und gleichzeitig kluger Mensch in einer Führungsposition ist heute für eine Partei ein Unglück, ein gut aussehender und stilvoll gekleideter aber einfältiger Mensch ein verkraftbares, durch geschickte PR und Werbung zu korrigierendes Manko, ein gleichzeitig stilsicherer und politisch begabter Mensch ein unglaublicher Glücksfall. Die in die Jahre gekommenen Auguren aus dem Umfeld der SPÖ sollten Christian Kern nur machen lassen. Er hat besser verstanden, worum es heute geht, als sie.

„Wir leben in einem Zeitalter, in dem unnötige Dinge das einzig Notwendige sind.“
(Oscar Wild)

Würde Oscar Wilde heute leben, dann würde er unsere Medien- und Kommunikationsgesellschaft mit folgendem Satz charakterisieren: „Wir leben in einem Zeitalter, in dem unnötige Dinge das einzig Notwendige sind.“ Der Macht der unnötigen Dinge muss die Politik heute ihren Tribut zollen. Tut sie es nicht, geht sie unweigerlich unter im Meer der starken Bilder und der von diesen ausgelösten großen spektakulären Affekten und Emotionen.


Fotos: Arne Müseler

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