Ein Kommentar von Christof Fellner.
Eigentlich ist nicht nur Österreich geteilt. Ich denke, ganz Europa ist derzeit geteilt. Nicht mehr geographisch, nicht einmal unbedingt ideologisch. Nein, sondern in der Frage wie man mit Veränderungen umgeht. Die Frage ob man Van der Bellen oder Hofer Präsident werden soll war nur ein Symptom für diesen Konflikt, der viel tiefer geht als auf den ersten Blick ersichtlich und schon seit Jahren schwelt.
1. It’s not the election, stupid.
Wahlen dienen dazu, bestimmte Ämter mit Personen zu besetzen. Die Spaltung, die der Präsidentschaftswahlkampf vermeintlich ausgelöst hat, war aber bereits vorher vorhanden. Das zeigte sich auch in Österreich. Der gesamte Wahlkampf war im Wesentlichen auf die Frage ausgerichtet, wie die Bundespräsidentschaft das politische Leben in Österreich beeinflussen kann. Beide Stichwahl-Kandidaten unterschieden sich während des Intensiv-Wahlkampfes nur in der Frage, in welcher Form die FPÖ an der Regierung beteiligt sein sollte. Die bisherige Form der Besetzung des Präsidentenamtes war schon im ersten Wahlgang vom Tisch. Nun könnte man freilich anführen, dass Wahlergebnisse zwischen zwei Personen immer knapp sind und man ja versuchen würde, die politischen Gräben zu schütten.
Das alleine aber ist nicht das Problem, denn auch früher wurde schon mit der Gefahr eines Bürgerkrieges in der Politik argumentiert und haben Kandidaten mit nur knappen Mehrheiten aus sehr unterschiedlichen Lagern gewonnen, so etwa 1963.Das Problem liegt viel mehr in den veränderten Ingredienzien des Wahlkampfes. Wahlkämpfende, die sich in einer sozialen Bubble gegenseitig aufstacheln und mit ihren jeweiligen Argumenten nicht mit der Gegenseite in eine Debatte treten wollen, sondern deren Wähler_innen vom Wählen abhalten wollen. Damit wird die existierende Teilung weiter zementiert; denn es wird keine automatische Auseinandersetzung mehr gesucht.
2. Eine Pogromstimmung macht sich breit
Die derzeitige Spaltung beruht nicht allein auf einer unterschiedlichen Einschätzung bezüglich dessen, was erreicht werden soll, sondern auch davon, wie etwas erreichwerden soll. Wenn die Anhängerinnen und Anhänger der beiden großen politischen Richtungen (die ich in diesem Fall eher als Liberalität und Konservativismus anstatt Links und Rechts) vor einer Machtübernahme des jeweiligen Gegenüber fundamentale Angst haben, dann haben wir ein Problem. Weil damit die Akzeptanz des politischen Systems leidet und die Handlungen der regierenden Seite durch die Opposition in ihrer Legitimität in Frage gestellt wird. Wer der politisch anderen Richtung angehört, wird zu einem gesellschaftspolitischen Aussätzigen, dessen Mitbestimmung zwar nicht eingeschränkt wird, sich aber für diese Entscheidung in der Mitbestimmung rechtfertigen soll, weil angeblich die Zukunft auf dem Spiel steht. Sei das nun die Liberalität, die plötzlich die Trümmer einer gesellschaftlichen Identität zu hinterlassen droht, oder sei es der Konservativismus, dem vorgeworfen wird, das Land Jahrzehnte zurückzuwerfen.
3. Konkurrenz vor Konsens
Der Erfolg des österreichischen politischen Systems beruht auf der Bereitschaft, auf den Einsatz der Mehrheit in einer gesetzgebenden Kammer zu verzichten, um eine möglichst große Gruppe ins Boot zu holen und damit, für bestimmte Vorhaben möglichst große Unterstützung zu haben. Dieser Prozess kommt mit der oben beschriebenen Haltung zu einem, wie es scheint, endgültigen Ende. Freilich hat dieser Prozess schon früher begonnen, etwa vor ziemlich genau eineinhalb Jahrzehnten mi dem Beginn der Schwarz-Blauen Koalition und ihrer sehr vehementen Ablehnung in weiten Teilen der Bevölkerung. Was nun was zuerst bedingt hat, ist eine Henne und Ei Frage. Der Geist der politischen Konkurrenzdemokratie ist aus der Flasche. Unser politisches System kann gut damit leben, denn dafür wurde es einst entworfen. Die Frage ist nur, ob es der Grundkonsens unserer Gesellschaft überleben kann wenn eine bestimmte politische Gruppierung einfach einige Jahre arbeitet und den nachfolgenden Mehrheiten die Trümmer ihrer Arbeit zum Aufräumen hinterlässt. Dafür scheint Österreich derzeit nicht geeignet zu sein.
Die eigentliche Gefahr ist, dass der politische Stil des Wahlkampfes um die Bundespräsidenschaft zu einem permanenten Zustand wird.
Gedankenexperiment
Müssten wir uns wirklich so sehr vor einem offensichtlich werden dieser Spaltung fürchten? Bzw. anders gefragt: Was müssten wir, wenn es eine Person mal ausspricht? Zunächst einmal sicher nicht den Untergang der Welt; aber ein Verschwinden Österreichs, so wie wir es kennen. Langsam, sicher, aber doch stätig. Ich biete deshalb einmal zwei Ausblicke an. Einen, in dem es Österreich gelingt, mit den Problemen fertig zu werden, und einen in dem uns das nicht gelingt.
Das Positivszenario…
Stellen wir uns also einfach mal vor, der Wandel gelänge uns. Die politischen Mehrheiten wären zwar nicht vor nicht eindeutig, aber wir lassen die jeweiligen Mehrheiten einmal arbeiten und entscheiden dann nach einer bestimmten Zeit, ob es so weiter geht oder nicht. Die Diskussionen haben sich beruhigt, wir lassen einander wieder ausreden und gestehen uns zu, nur etwas verändern zu wollen. Beide politischen Richtungen akzeptieren die Ergebnisse der Debatten, aber die Rollenverteilung ist klar. Opposition hier, Regierung dort. Und beide haben auch einen vernünftigen Ausblick, sich abzuwechseln.
Das Negativszenario…
Stellen wir uns vor, es gelänge uns nicht, die Gräben zuzuschütten: Die derzeitige Entwicklung vertieft sich. Die politische Debatte wird geprägt von Unterstellungen, die Unwahrheit zu sagen und nach Wegen zu suchen, die Rechte der jeweils anderen Seite zu untergraben. Die Debatten bleiben aufgeheizt und emotional, die Rationalität oftmals auf zumindest einer Seite zu Hause. Sowohl Opposition wie Regierung haben im Grunde zwar eine Aussicht darauf, sich abzuwechseln, man kann aber nicht davon ausgehen, in dem Fall sinnvolles Entgegenkommen zu erwarten.
Der Weg dort hin…
Das letzte Szenario erinnert frappant an den Höhepunkt des Wahlkampfes vor einigen Wochen. Nur mit dem Unterschied, dass er permanent wäre. Und darin sehe ich die eigentliche Gefahr. Ich kann deshalb nicht darum herum zu fordern, dass man einander dadurch entgegenkommt, in dem man ohne Vorbedingung politisch kooperiert und sich entgegenkommt wie das im positiven Zukunftsszenario beschrieben ist. Auch dieses kommt dem oder der aufmerksamen Leser_in nicht so unbekannt vor. Denn es handelt sich um nichts anderes als das Erfolgsrezept der zweiten Republik, das man etwa in Gestalt der Sozialpartnerschaft lange erleben konnte.
Nun ist es keineswegs so, dass wir einfach in die Vergangenheit zurück sollen, das geht nicht. Eines aber sollten wir uns bewahren: Die Idee, für alle zu handeln, ganz gleich ob wir sie mögen oder nicht. Und das fehlt derzeit. Und darum ist Österreich zutiefst gespalten.
Christof Fellner machte sich bereits in einem Kommentar im Standard Gedanken zur Präsidenschaftswahl, in dem er vorschlägt, das Präsidentschaftsamt neu zu denken.