Politik

Sebastian Kurz und der Holler.

posted by Daniel Winter 25. Juni 2017 0 comments

Holler ist nicht nur eine im süddeutschen Raum und Österreich verbreitete Bezeichnung für Holunder, sondern wird auch als Synonym verwendet, wenn jemand Unsinn bzw. Blödsinn redet. Als der Chef der neuen Volkspartei (die ÖVP in blau) Sebastian Kurz vergangene Woche großmündig die Schließung der Mittelmeerroute für Flüchtlinge forderte, fiel Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) als Antwort darauf nichts anderes ein, als den Vorstoß als “populistischen Vollholler” zu bezeichnen.

“Das ist ehrlich gesagt – das ist der nächste populistische – Sie streichen das Wort, das ist feiertägliche Aussprache – der nächste populistische Vollholler”
(Christian Kern)

Obwohl das Zitat also nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, gab Kern gegenüber der Presse bekannt, die Aussage nicht zu bereuen. “Nein, nicht im Geringsten.” Jedenfalls steht seit der Aussage fest: Der Superlativ von Holler wurde offiziell ins österreichische Dialekt-Online-Wörterbuch Ostarrichi aufgenommen und hat Potential, Wort des Jahres 2017 zu werden.

Vollholler, der
völliger Unsinn
Art des Wortes:  Substantiv

Was ist dran an Sebastian Kurz und dem (Voll-)Holler?

Am 20. Juni 2017 war Sebastian Kurz in der Salzburgarena. Auch Hallo Salzburg war vor Ort und hat einige Forderungen des Sebastian Kurz auf ihren Hollergehalt untersucht…

Holler #1 – Der Klassiker (Die Mittelmeerroute)

Einmal mehr bekräftigte Sebastian Kurz während seiner Ausführung in der Salzburgarena, die Flüchtlingsroute über das Mittelmeer schließen zu wollen. Er? Also nein. Damit meinte er “die EU”. Sein Vorschlag lautet jedenfalls  folgendermaßen: Flüchtlinge auf Booten sollen im Mittelmeer gestoppt werden und nach Nordafrika (hauptsächlich Libyen) zurückgebracht werden. Erst wenn die Rettung der Flüchtlinge nicht mehr mit einem Transit nach Mitteleuropa verknüpft wäre, würden die Menschen aufhören, zu fliehen, so seine These. Einwände, wie sie in den vergangenen Tagen von Gerald Knaus und anderen Exper_innen aufgeworfen wurden, ignorierte Kurz. Antworten auf folgende Punkte blieb er also schuldig:

1. Wie soll eine Rückbringung möglich sein?
Nordafrikanische Länder wie z. B. Tunesien haben bereits klar gesagt, dass sie nur ihre eigenen Staatsbürger_innen zurücknehmen. „Man kann nicht so tun, als könnte die EU Leute nach Nordafrika zurückschicken, wenn keines der betroffenen Länder dazu bereit ist”, so Knaus.

2. Wie soll man das Mittelmeer verbarrikatieren?
Im Gegensatz zur Balkan-Route – welche übrigens nicht Sebastian Kurz geschlossen hat – gibt es über das Mittelmeer nicht nur einen einzigen Weg. „Will man jetzt entlang der Küsten mit Tausenden Booten patrouillieren? Selbst wenn es in Libyen gelingen sollte, dann suchen die Schlepper neue Wege über das Mittelmeer”, brachte es der Flüchtlingsexperte Kilian Kleinschmidt auf den Punkt.

3. Warum sollten Flüchtlinge plötzlich nicht mehr flüchten wollen?
Der Hauptgrund für Flucht liegt nicht darin, dass es in Mitteleuropa so schön ist, sondern schlicht in den zunehmenden Kriegsherden. Nun hat die Schließung der Balkan-Route tatsächlich zu einem Rückgang geführt. Dies liegt allerdings nur daran, dass sich die Menschen neue Wege gesucht haben. Eine Flucht – vor allem über das Mittelmeer – ist mit hohen Gefahren, unter anderem dem möglichen Verlust des eigenen Lebens, verbunden. Der einzige Weg, Menschen vor einer illegalen Überfahrt abzuhalten, wäre es also, legale Fluchtmöglichkeiten zu schaffen, also z. B. bereits in Nordafrika einen Asylantrag stellen zu können. Diese Möglichkeit lehnt Sebastian Kurz ab. Die einzige Möglichkeit, Asyl in Mitteleuropa zu bekommen, sollen seiner Meinung nach so genannte Resettlement-Programme sein. Also Programme, bei denen die Länder selbst ein Kontingent und Kriterien festlegen, wem sie Asyl gewehren. Das bedeutet: Um einen Asylantrag stellen zu können, reicht der Fluchtgrund alleine nicht aus. Genommen werden dann je nach Kriterien nur Weisenkinder, Angehörige einer bestimmten Konfession oder wie immer diese gerade sind. Alle anderen sollen keine Möglichkeit auf Asyl haben.

Der Vorschlag von Sebastian Kurz basiert auf der Annahme, dass die vielen Menschen, die auch weiterhin keine Möglichkeiten zur Flucht hätten, plötzlich nicht mehr flüchten würden – Vollholler also!

Holler #2 – Old Fashioned (Senkung der Steuerquote auf 40 Prozent)

Auch wenn die Idee einer Senkung der Steuern auf 40 Prozent des BIP ein alter Hut ist und bereits ein Liebelingsthema von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) war, verkauft Sebastian Kurz das Vorhaben als neue Idee. Umgesetzt wurde sie immerhin nicht einmal unter Schwarz-Blau. Doch was ist davon zu halten? Auch in der Salzburgarena verkündete Sebastian Kurz wieder inbrünstig, die Steuern um 4 Prozent des BIPs verringern zu wollen und nannte zwei Arten, wie er das bewerkstelligen will. Konkret handelt es sich um etwa 14 Milliarden Euro (14.000.000.000) jährlich, die dafür eingespart werden müssten:

1. Bürokratieabbau
Mehr als dieses Schlagwort konnte Kurz in diesem Zusammenhang nicht nennen. Weder nannte er, in welchen Bereichen er hier genau einsparen will, noch wie, und schon gar nicht, wie hoch das Einsparungspotential liegt.

2. Sozialleistungen einsparen
Sebastian Kurz spricht also “Klartext” und schlägt vor, dass manche Sozialleistungen gekürzt werden müssten. Danach gefragt, wie er die Steuersenkung finanzieren wolle, nennt Kurz zwei Dinge. Erstens die Mindestsicherung: Alleine die Mindestsicherung würde jährlich eine Milliarde Euro (1.000.000.000) kosten, rechnet er vor. Also etwa ein Vierzehntel von dem, was er einsparen will. Dass 57 Prozent der Bezieher_innen Österreicher_innen sind (Stand: 2016) und in Österreich knapp 15.000 Menschen (Stand: 2015) trotz Erwerbstätigkeit darauf angewiesen sind, erwähnte er freilich nicht. Aber gut: Selbst wenn Sebastian Kurz  allen Mindesthilfebezieher_innen die Mindestsicherung streichen wollte, so blieben immer noch 13 Milliarden (13.000.000.000), die irgendwie eingespart werden müssten. Darüber hinaus sieht Kurz Einsparungspotential bei der Familienbeihilfe für Kinder von Arbeitstätigen in Österreich, die im EU-Ausland leben. Um welche Summe handelt es sich dabei überhaupt? Im Jahr 2016 zahlte Österreich 273 Millionen Euro (273.000.000) Familienbehilfe an Kinder, die im EU-Ausland leben. Eine im Vergleich sehr kleine Summe.

Faktencheck: Selbst im hypothetischen (!) Fall, dass die neue Volkspartei unter der Ägide von Sebastian Kurz Mindestsicherung und Familienbeihilfe für Kinder im EU-Ausland vollkommen streicht, würden damit gerade einmal 9 Prozent von dem eingespart, was an Steuergeld fehlen würde. Wenn Kurz also sagt, dass er Klartext spricht, dann bedeutet das im Klartext: Entweder, er verspricht etwas,von dem er selbst weiß, dass er es nicht einhalten kann, redet also Vollholler! Oder aber, verschweigt, dass er den österreichischen Sozialstaat seines finanziellen Fundaments berauben will. Auch nicht besser…

Weitere Infos, warum die Steuersenkung auf 40 Prozent letztendlich einer enormen finanziellen Mehrbelastung für die Österreicher_innen gleichkäme, gibt es übrigens hier.

Holler #3- Die Story der furchtbaren Umfragewerte

Zugegegen: Im Vergleich zu #1 und #2 geht es hier um relativ wenig. #3 sagt allerdings durchaus einiges darüber aus, wie Sebastian Kurz mit der Wahrheit umgeht…

Bereits in einem Interview vom 14. Mai 2017 mit der Krone meinte Sebastian Kurz, dass er in seinem jungen Leben “härtere Phasen erlebt [hat] als viele andere” und sprach davon, wie furchtbar die Zeit  war, als er als frisch gebackener Staatssekretär mit 24 Jahren in der Öffentlichkeit so unbeliebt gewesen und sogar von den Kolleg_innen der eigenen Partei bei Fotos verschämt zur Seite gerückt worden sei.

Bei seinem Auftritt in der Salzburgarena legte Kurz nun noch eines drauf und berichtete im Detail, wie schlecht seine Umfragewerte zu Beginn seiner Zeit als Staatssekretär gewesen seien. So schlimm gar, dass ihm sogar sein eigener Pressesprecher die Umfragewerte in der Zeitung verschiegen habe. Nach mehrmaligem Nachfragen sei dieser letztendlich ganz geknickt in sein Büro gekommen und hätte sie letztendlich doch vorgelegt. “Dann hab ich so drauf geschaut. Da waren einige Minister mit einem Balken im Plus, dann einige so entlang der Nulllinie und manche mit so einem Negativbalken, und dann ganz rechts – damals gabs ihn noch – Minister Darabos, war so ein ganz langer Balken nach unten. Und als ich hingeschaut hab und gemerkt habe, ich bin rechts neben dem Darabos, da habe ich gewusst, das heißt nichts Gutes. Auf den zweiten Blick habe ich dann bemerkt: Mein Balken war noch länger nach unten als seiner. Damit nicht genug: Ich hab dann auch noch gesehen, mein Balken hatte so einen klitzekleinen Pfeil in der Mitte […]. Die Legende darunter hat dann erklärt: Der Pfeil bedeutet eine Unterbrechung des Balkens, weil auf der Seite war nicht genug Platz für den Negativausschlag.”

Hallo Salzburg hat einen Faktencheck gemacht: Tatsächlich wurde Ende Juni 2011 eine Meinungsumfrage zu den österreichischen Regierungsmitgliedern durchgeführt und tatsächlich gehörte Sebastian Kurz nicht zu den beliebtesten Politiker_innen. Die Anekdote aber, wonach er sich vom gehassten Politiker zum Strahlemann entwickelt habe, ist frei erfunden – ein ziemlicher Holler!

 


Bildcollage: Hallo Salzburg
Das Foto von Sebastian Kurz stammt vom österreichischen Außenministerium.

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