Ein Kommentar.
„Wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein.“ Dieses Zitat von Sebastian Kurz muss natürlich die Massen begeistern, denn grundsätzlich hat er ja Recht mit dieser Aussage. Dass es aber gerade die Blockade- und Klientelpolitik der ÖVP ist, die seit Jahrzehnten dazu führt, dass Arbeit in Österreich wesentlich höher belastet wird als zum Beispiel Vermögen, verschweigt der ÖVP-Spitzenkandidat nur zu gerne. Und mit schönen Worten verpackt präsentiert er nun ein Programm,das im Sinn hat, genau diese aufgezeigte Schieflage noch weiter zu verschärfen. Das türkise Kurz-Programm ist nämlich letzten Endes nichts anderes als eine Umverteilung von unten nach oben. Bezahlen darf es die Mittelschicht.
Das klingt natürlich nicht so schön wie „mehr Eigenverantwortlichkeit statt staatlicher Bevormundung“, aber das steckt hinter diesen netten Worten.
Er habe es noch nie gutgeheißen, dass der Staat auf der einen Seite den Bürger_innen das Geld wegnimmt, um es dann großzügig über Förderungen wieder zu verteilen. Klingt auch etwas teuflisch, wenn man das so formuliert. Der böse Staat sackelt die Bevölkerung aus und spielt sich dann als Gönner auf, um Wähler_innenstimmen zu bekommen und die eigene Macht zu erhalten. Ja, so könnte man das verstehen. Genau genommen macht das wirklich jeder Staat. Denn sowas nennt man Steuerpolitik und Umverteilungspolitik, damit der Staat auch seine Aufgaben erfüllen kann. Das heißt natürlich nicht, dass alle Steuern gerecht sind. Aber Steuern sind nun mal dazu da, unser Sozial- und Gesundheitssystem zu finanzieren, allen Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen oder auch die Infrastruktur in einem Land auf- und auszubauen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Was passiert also, wenn der Staat keine Förderungen mehr vergibt und auch weniger Steuern einnimmt? Richtig, unsere Standards im Pflege-, Bildungs- und Sozialbereich werden so wohl kaum finanzierbar sein, zumindest nicht staatlich. Das klingt natürlich nicht so schön wie „mehr Eigenverantwortlichkeit statt staatlicher Bevormundung“, aber das steckt hinter diesen netten Worten.
The american way of life
Es ist das amerikanische Prinzip, das hier gepredigt wird. The american dream – wo sich der Tellerwäscher zum Millionär hocharbeiten kann, wenn er nur genug Leistung erbringt. Doch genau da liegt ja das Problem. Die Bürger_innen in Österreich können sich (wie auch in den USA) einen Wohlstand nicht mehr erarbeiten. Wer nicht erbt, hat Pech gehabt. Denn durch Arbeit alleine, wird man sich in Österreich nur in seltenen Fällen Reichtum anhäufen können. Dafür sind die Löhne zu gering und die Lebenserhaltungskosten und Immobilienpreise zu hoch. In Salzburg liegt das durchschnittliche Einkommen bei 1.500,– brutto. Die teuersten Grundstückpreise in Salzburg liegen bei 2.000,– Euro pro Quadratmeter – und wir reden hier von Bauland! Da muss ich kein Mathematiker sein, um zu erkennen, dass sich das nicht ausgehen wird. Selbst ein kleines Eigentum wird in Österreich immer mehr zum Luxus.
Genau das ist es auch, was die Menschen in Österreich so ärgert. Es gibt so viele Menschen, die tagein, tagaus ihrer Arbeit nachgehen und sich dennoch kaum ihr Leben leisten können. Da geht es noch nicht einmal um die Anschaffung von Eigentum, sondern ganz einfach darum, die Fixkosten abzudecken, sich das Leben zu leisten. Wenn am Ende des Geldes zu viel Monat übrig bleibt, dann reicht es schon, wenn die Waschmaschine eingeht oder das Auto zur Reperatur muss oder das Busticket wieder teurer wird und man schlittert in eine Krise. Das ist frustrierend und demnach muss man den Grant der Menschen schon verstehen. Das türkise Wahlprogramm wird aber diesen Umstand weiter verschärfen und genau diesen Menschen gar nichts bringen.
Ein paar Beispiele dazu:
Die ÖVP spricht sich z. B. auch als türkise Bewegung gegen die Einführung eines Mindestlohns von 1.500,– Brutto aus. Das könne man den Unternehmen nicht zumuten. Ja, aber kann man es Menschen zumuten, in einem Hochpreisland wie Österreich für 40 Stunden Arbeit weniger zu bekommen als 1.500,– brutto? Und welche Tätigkeit ist bitte bei einer Vollzeitstelle keine 1.500,– Euro wert? Wie kann man mit (unter!) 1.500,– brutto in einem Bundesland wie Salzburg überhaupt leben, geschweige denn sich etwas ansparen?
Es geht nicht darum, den Menschen, die sich etwas hart erarbeitet haben, alles weg zu nehmen, sondern auch anderen die Chance zu geben, sich etwas aufzubauen.
Gleichzeitig bleibt auch das ÖVP-Nein zu einer Erbschafts- und Vermögenssteuer in der türkisen “Bewegung” aufrecht. In dem Fall lohnt sich nochmal ein Blick in die USA. Während nämlich Einkommen in den USA kaum besteuert werden, gibt es vergleichsweise hohe Vermögenssteuern – auch im Vergleich zu Österreich. So soll es Menschen ermöglicht werden, sich durch Leistung etwas zu erarbeiten und erben ist nun einmal keine Leistung – außer für die ÖVP. Die ÖVP ist auch als türkise Bewegung nichts anderes als Besitzstandswahrerin. Solange Kurz das so formuliert, dass der Staat nicht auch noch dann den Menschen alles wegnehmen soll, wenn sie schon tot sind, wird er auch viele damit begeistern. Denn immerhin wurde ja das Vermögen schon so oft besteuert. Ja, mein Gehalt wird auch mehrfach besteuert. Für den Netto-Lohn auf meinem Bankkonto zahl ich Kapitalertragssteuer, sobald ich das Geld ausgebe, Mehrwertsteuer, usw. Also das Argument zählt wohl kaum. Es geht nämlich nicht darum, den Menschen, die sich etwas hart erarbeitet haben, alles weg zu nehmen, sondern auch anderen die Chance zu geben, sich etwas aufzubauen. Es geht auch nicht darum, jedem der Besitz hat, etwas weg zu nehmen, wir sind ja nicht im Kommunismus. Kurz spielt sich als Beschützer jener auf, die sich ihr ganzes Leben lang alles abgespart haben, um sich ein bisschen was anzuschaffen. Diese Menschen wären aber von einer Vermögenssteuer gar nicht betroffen. Fakt ist, dass 5 Prozent der österreichischen Haushalte etwa die Hälfte des Privatvermögens besitzen, während 50 Prozent nur 5 Prozent besitzen. Das ist die bittere Realität und jetzt würde ich gerne mal wissen, warum sollen diese 5 Prozent nicht auch einen entsprechenden Beitrag dazu leisten, dass unser Sozialstaat funktioniert und unsere soziale Sicherheit aufrechterhalten bleibt? Nein lieber nimmt die türkise ÖVP-Bewegung es jenen weg, die ohnehin nichts haben.
Die Kapitalertragssteuer ist auch gleich ein weiteres Beispiel aus dem Kurz-Programm: Er fordert nämlich, dass Unternehmen Gewinne nicht mehr besteuern müssen, sofern sie diese nicht ausschütten. Besonders brisant ist dabei, dass es diese Begünstigung in jedem Fall geben soll, also ganz gleich, ob ein Unternehmen den Gewinn nun investiert oder anspart. Durch die Investitionen entstehen ja neue Arbeitsplätze, heißt es dann. Ja, nur muss es gar nicht investiert werden. Also welche Arbeitsplätze? Damit können große Konzerne weiterhin ihr Vermögen unversteuert vermehren. Den Kleinbetrieben bringt das nichts. Hinzu kommt, dass das Finanzministerium mit dieser Steuer im letzten Jahr insgesamt 7,6 Milliarden Euro eingenommen hat. Im Vergleich dazu kostete uns die Mindestsicherung im vergangenen Jahr 1,024 Milliarden Euro. Also auf diese 7,6 Milliarden hätten wir verzichten können aber die Mindestsicherung können wir uns nicht leisten?
Wer schwer krank ist, muss auch dann eine ausreichende Gesundheitsversorgung erhalten, wenn er sich diese Leistung nicht erarbeiten kann. Das war zumindest bislang der Grundsatz, auf dem unser Sozial- und Wohlfahrtstaat aufbaut.
„Wer Leistung beziehen will, muss Leistung erbringen“
Letzten Endes ist die „Neue Gerechtigkeit“, von der die türkise Bewegung so gerne spricht, nichts anderes als der Grundsatz, den die ÖVP immer schon verfolgt hat: „Wer Leistung beziehen will, muss erst Leistung erbringen“. Wenn dieser Grundsatz zur Basis für politische Entscheidungen wird, dann ist das das Ende unseres Sozialstaates. Denn ein Sozialstaat ist kein Sparkonto, wo ich das was ich einzahle auch wieder zurückbekomme. Ein Sozialstaat ist dazu da, auch jene Menschen zu unterstützen, die es sich nicht richten können. Wer schwer krank ist, muss auch dann eine ausreichende Gesundheitsversorgung erhalten, wenn er sich diese Leistung nicht erarbeiten kann. Das war zumindest bislang der Grundsatz, auf dem unser Sozial- und Wohlfahrtstaat aufbaut.
Außerdem frage ich mich, was bedeutet dieser Grundsatz für unsere Landwirtschaft? Derzeit erhalten die Landwirte ja nicht nur Förderungen sondern auch diverse steuerliche Begünstigungen? Da kommt auch mehr raus als eingezahlt wird?
Eine „neue Gerechtigkeit“ müsste sich eigentlich auch mal mit dem Begriff „Leistung“ an sich auseinandersetzen. Denn der türkise Leistungs-Begriff bedeutet nichts anderes, als dass nur jene etwas leisten, die auch eine bezahlte Arbeit haben und je mehr jemand verdient, desto mehr Leistung bedeutet das. Die Realität sieht aber eindeutig anders aus. Wie schon weiter oben erwähnt, gibt es eine große Kluft zwischen Arbeitsleistung und Entlohnung. Niedrigverdiener finden ja nicht mal eine Erwähnung im türkisen ÖVP-Programm. Entlastungen gibt es für höhere Einkommen aber wer weniger als 1.500,– brutto verdient hat halt mal wieder Pech gehabt. Sind ja auch nur knapp 3 Millionen ÖsterreicherInnen, die weniger als 1.500,– Euro brutto verdienen.
Und was ist mit all jenen in unserem Land, die Kinder groß ziehen oder Angehörige pflegen? Hätten wohl mal was „leisten“ sollen…
Was ist mit all jenen, die sich ehrenamtlich engagieren? In kaum einem anderen Land ist das Ehrenamt so tief in der Kultur verwurzelt wie bei uns in Österreich. Bringen die keine Leistung für unser Land? Aber was sagte Sebastian Kurz noch gleich im ORF-Sommergespräch? Die Österreicher_innen, die sich in der Flüchtlingsbewegung engagieren, wollen ja nur ihr schlechtes Gewissen beruhigen. Diese Aussage ist eine Verhöhnung unserer solidarischen Gesellschaft, eine Verhöhnung aller Ehrenamtlichen und eine Verhöhnung der Menschlichkeit.
Letzten Endes ist das türkise Programm von Sebastian Kurz ÖVP-Bewegung nichts anderes als eine Fortsetzung der bisherigen ÖVP-Programme. Nur das christlich-soziale Element ist endgültig verloren gegangen.