Lara Croft ist eine jener Figuren, die auch Menschen ein Begriff sind, die sonst noch nie spielend vor Tastatur, Maus oder Controller gesessen sind. Irgendwie hat es die Dame aus dem immer noch belächelten Medium „Videospiel“ in die Popkultur geschafft. Die Marke Tomb Raider, in der Lara ihre Pistolen schwingt, hat seit ihrer Gründung 1996 einige interessante Entwicklungen durchgemacht.
Ursprünglich sollte Lara übrigens ein Mann werden. Je nachdem, welche Geschichte man hört, änderte sich ihr Geschlecht, um Parallelen zu Indiana Jones zu vermeiden oder weil die Entwickler glaubten, die Spieler (absichtlich nicht gegendert) würden über eine so lange Spielzeit nicht die ganze Zeit den Hintern eines Mannes sehen wollen. Was auch immer der Grund war, es folgten zahlreiche Spiele, in denen Miss Croft, Erbin eines reichen Adeligen, in engen Klamotten durch Dschungel, Gräber und Tempel turnte und ballerte und diverse Rätsel lösen musste. Zunächst waren diese Spiele gut (man erinnere an den legendären T-Rex!), wurden mit zunehmender Zeit aber immer schlechter. Ihr Karrieretief erreichte sie im Jahre 2003 nach bereits sieben Teilen und zwei mittelprächtigen Kinofilmen mit Angelina Jolie in der Hauptrolle. Nach dem Spiel Angel of Darkness (2003) hatten viele Lara bereits abgeschrieben. Das Franchise war auf Biegen und Brechen ausgepresst. Es wurde still um Miss Croft, bevor sie sich 2006 mit Remakes und weiteren unspektakulären Abenteuern zurückmeldete.
Der bekannte Publisher Square Enix (Final Fantasy) übernahm das Ruder und schickte Lara 2010 im Tomb Raider-Spin Off Lara Croft and the Guardian of Light in ein Abenteuer, das einiges anders und vor allem mit Freunden gemeinsam großen Spaß machte. Das Spiel konzentrierte sich auf Laras Kernkompetenzen: Das Lösen von Rätseln, Sammeln von Schätzen, Zerstören von digitalem und fiktivem Weltkulturerbe und das Niedermetzeln von Monstern. Die Spielerinnen und Spieler sahen Lara übrigens nicht mehr von hinten, sondern schräg von oben. Lara war, wenn auch anders als gewohnt, kurz aus den Schatten aufgetaucht, hatte ein Lebenszeichen von sich gegeben und verabschiedete sich wieder bis 2013.
Erwähnenswert ist vielleicht auch, dass die taffe Archäologin seit 2007 mit dem Abenteurer Nathan Drake und seiner Uncharted-Reihe einen äußerst würdigen Konkurrenten auf der PlayStation bekommen hat. Dieser entsprang zweifellos dem Geiste der alten Tomb Raiders, machte aber alles besser als die Archäologin. Die ersten drei Uncharted-Spiele waren spektakulärer, bombastischer und zu alledem durchwegs feministisch. Der vierte Teil und sein Spin-Off zählen zu den beeindruckendsten PlayStation-Spielen, die es derzeit gibt.
Als Lara 2013 auferstand, musste sie nicht nur ihr verkommenes Franchise retten, sie hatte mittlerweile auch ernstzunehmende Konkurrenz im Archäologie- und Abenteuer-Genre. Das Drehbuch für die schlicht Tomb Raider genannte Auferstehung wurde von Rhianna Pratchett (Fun Fact: Die Tochter von Terry Pratchett) geschrieben. Die charakteristischen Hot-Pants und großen Brüste wurden gegen abenteuertaugliches Gewand und eine realistische Figur getauscht. Jener Neustart aus dem Jahr 2013 ist nun die Grundlage des neuen Kinofilms Tomb Raider, den zumindest Fans des Spiels dringend meiden sollten.
Kurz zum Spiel Tomb Raider (2013): Die junge Archäologie-Studentin Lara Croft ist auf der Suche nach dem sagenhaften japanischen Königreich Yamatai und findet es auf einer abgelegenen Insel, auf der seit tausenden Jahren immer wieder Menschen strandeten und ihre Spuren hinterließen. Neben japanischen Weltkriegsbunkern und abgestürzten Flugzeugen gibt es weitläufige Wälder, Berge und wunderschöne japanische Tempel-Areale zu erkunden. Ein irrer Sonnen-Kult und diverse mythologische japanische Figuren treiben ihr Unwesen und machen Miss Croft das Leben schwer. Im Spiel erleben die Spielerinnen und Spieler, wie aus der unschuldigen Studentin Lara (ungewollt) die harte und kämpferische Abenteurerin wird.
Zum Vergleich – Der Trailer der spielbaren Vorlage:
Der neue Film, in dem Alicia Vikander in Laras Haut schlüpft, folgt lose den Ereignissen dieses großartigen Spiels. Laras Eltern sind tot, sie weigert sich aber ihr Erbe anzunehmen. Sie versucht sich in London als Fahrrad-Botin, lernt Kickboxen und macht allerhand Unsinn. Als sie in der Familiengruft die Arbeit ihres verschollenen Vaters findet, beschließt sie, ihm zu folgen. Sie reist nach Hong Kong und verbringt dort unnötig viel Filmzeit, hauptsächlich weil man irgendwie auch den immer wichtiger werdenden chinesischen Markt bedienen muss. Auf den Spuren ihres Vaters landet sie auf der Insel, wo die mythologische Herrscherin Himiko begraben sein soll. Leider sucht auch die böse Organisation Trinity mit ihren Schergen nach Himiko, deren Zauberkräfte als Waffe eingesetzt werden sollen. Für den Film wird Himiko außerdem zur “Herrscherin des Todes”. Einem Titel, von dem ich in mehreren Semestern Japanologie nie etwas gehört habe.
Würde man das Spiel nicht kennen, wäre der neue Tomb Raider-Film wohl etwa vergleichbar mit dem neuen Die Mumie-Film. Tomb Raider ist ein bemühtes Abenteuer, dem es an Charme und Herz fehlt, dessen Design aber durchaus überzeugen kann. (Ich persönlich hatte auch meinen Spaß mit dem neuen Mumie!) Gegen Ende hin verhalten sich die meisten Figuren in Tomb Raider derart dämlich, dass sich die Frage stellt, ob irgendjemand bei Warner Bros oder Square Enix das Drehbuch gelesen hat oder ob es überhaupt eines gab. Mit Vorbehalten, wenig Erwartung und großer Lust am Abenteuer-Genre könnte man sich Tomb Raider vielleicht anschauen. Hervorzuheben ist Alicia Vikander, die nicht nur toll spielt, sondern in der Rolle ausgesprochen glaubwürdig ist. Sie repräsentiert die neue, realistischere Lara des Spiele-Reboots, als wäre sie direkt aus dem Spiel gehüpft. Umso trauriger ist es, dass der Film derart viel Potential verschenkt und sie in so ein belangloses und dummes Drehbuch quetscht.
Ein belangloses und dummes Drehbuch? Ja, wie so oft (Prince of Persia, Assassin’s Creed) kann man sich nur wundern, wieso man sich bei der Filmproduktion nicht mehr am deutlich besseren Spiel orientiert hat. Es ist eben nicht damit erledigt, ein paar ikonische Szenen aus dem Spiel zu kopieren. Ja, im Film kommen der Sturm, das Flugzeug-Wrack und der Fallschirm vor und ja, man leidet, –dank der fantastischen Alicia Vikander – mit Lara richtig mit, wenn sie in Notwehr gezwungen wird, zum ersten Mal zu töten, aber der Rest des Films zeigt wie auch bei Assassin’s Creed deutlich, dass die Macherinnen und Macher hinter dem Film die Quintessenz des Spiels nicht verstanden haben. Zweifellos ist es schwierig, eine Geschichte von einem Medium ins andere zu transkribieren: im Falle von Tomb Raider hat sie dadurch an Epik verloren und an Dummheit und Belanglosigkeit gewonnen.
Pluspunkte gibt es für einen äußerst amüsanten Gastauftritt von Nick Frost, Minuspunkte weil eben seine Szene einen der ikonischsten Momente des Spiels ersetzt und damit ruiniert.
Wer das Spiel nicht kennt, bekommt vermutlich einen mittelmäßigen Abenteuerfilm präsentiert. Wer das Spiel aus dem Jahr 2013 – wie ich – kennt und liebt, tut sich entweder etwas Gutes und bleibt zu Hause oder geht mit einer gehörigen Portion Masochismus ins Kino und testet seine persönlichen Schmerzgrenzen. Schade, denn das Spiel hätte so viel Potential für einen wirklich bombastischen Film geboten. Prinzipiell spricht ja nichts dagegen, sich von der Vorlage zu lösen. Nur muss man es dann auch besser machen.
Tomb Raider
Regie: Roar Uthaug
Drehbuch: Geneva Robertson-Dworet, Alastair Siddons, Evan Daugherty
Soundtrack: Junkie XL
Cast: Alicia Vikander, Walton Goggins, Hannah John-Kamen, Dominic West, Kristin Scott Thomas, Daniel Wu, Nick Frost …
Laufzeit: 118 Minuten
FSK: 12
Kinostart: 16.03.18 (AT)