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Trotz West-Washing äußerst sehenswert: Ghost in the Shell

posted by Johannes Mayrhofer 7. April 2017 0 comments

Viele jammern über die Einfallslosigkeit Hollywoods. Nur noch Remakes und Reboots kämen aus der Traumfabrik, liest man vielerorts und aktuell in Kritiken zu Ghost in the Shell. Jenen Suderantinnen und Suderanten sei vorgeworfen, dass sie sich noch nie ernsthaft mit dem Kinoprogramm oder mit der Geschichte des Geschichtenerzählens auseinandergesetzt haben. Geschichten werden seit Anbeginn der Zeit immer und immer wieder erzählt und erfahren in diesem Prozess Veränderungen. Das Nibelungenlied wurde so lange mündlich tradiert und dabei angepasst und verändert, dass es, als es endlich verschriftlicht wurde, nur so vor Logiklöchern strotzte. Zu Shakespeares Zeit wurden Theaterstücke raubkopiert und die Brüder Grimm haben ihre Märchen, genauso wie der Orientalist Antoine Galland, als er Tausendundeine Nacht übersetzte, dem aktuellen Zeitgeist stark angepasst. Diese Dynamik gehört zum menschlichen Geschichtenerzählen ebenso wie das Wiederaufgreifen diverser Archetypen. Das Neuerzählen einer Geschichte an sich ist meines Erachtens in keiner Weise verwerflich. Ob das Ergebnis gefällt, ist natürlich eine andere Frage.

Hollywood hat sich an eine Realverfilmung des Mangas Ghost in the Shell von Masamune Shirow aus dem Jahre 1989 gewagt, der bereits 1995 eine Animationsumsetzung erfahren hat, die ich als einen der besten und sehenswertesten japanischen Filme betrachte. Entsprechend hoch war die Vorfreude und auch die Skepsis. Ob das Resultat gefällt, hängt stark vom Blickwinkel ab. Obwohl die Hollywood-Umsetzung der gezeichneten Vorlage in vielen Momenten klaren Tribut zollt, wurden auch große Teile abgeändert und oftmals sind diese Änderungen nicht wirklich nachzuvollziehen oder vorteilhaft. Während die Welt optisch teilweise exakt aus dem Manga oder dem Anime übernommen wurde, fiel dem Hollywood-Autorenteam die komplette Philosophie und damit die Quintessenz der Vorlage zum Opfer. Die Message ist klar: Das Westpublikum ist zu blöd für Philosophie in einem Blockbuster und will sich mit Fragen wie „Was ist Leben?“, „Was bedeutet Leben?“, „Wie lassen sich Ethik und moderne Technik vereinbaren?“ et cetera nicht beschäftigen.

Ich spreche im Zusammenhang mit Ghost in the Shell nicht vom oft kritisierten White Washing, sondern von einem ‚West-Washing‘. Hollywood bevormundet uns und will es nicht riskieren, in einem Blockbuster tiefgründigere Themen aufzugreifen. Richtig verübeln kann man dem Studio den fehlenden Mut aber auch nicht: Schließlich sind wir es als Publikum, die mit unserem Kinobesuch intellektuellen Atombomben wie Fast and Furious 7, wo ich mir nicht mal mehr sicher bin, ob es überhaupt ein Drehbuch gab oder einfach nur willkürlich Schwachsinn aneinander gereiht wurde, zum Einspielergebnis von 1,5 Milliarden Dollar verholfen haben. Mit dem Streichen allzu tiefgründiger Themen bleibt man also scheinbar auf der sicheren Seite. Das geht in der Ghost in the Shell-Verfilmung so weit, dass die Schlüsselszene der Vorlage zwar eingeleitet, dann jedoch brutal abgewürgt wird. Über die Begründung lässt sich nur spekulieren: Vermutlich will man einfach noch viele schöne Fortsetzungen drehen.

Die Geschichte orientiert sich lose an der Dramaturgie der Vorlage, greift die meisten Charaktere auf, fügt aber auch neue hinzu. Hauptfigur Major Motoko Kusanagi wurde für die Hollywood-Verfilmung überhaupt zu Mira Killian ((Scarlett Johansson), was aber im Verlauf des Films logisch erklärt wird. Ghost in the Shell spielt in einer überdigitalisierten neonfarbenen Cyberpunk-Welt. Das Stadtbild wird von Wolkenkratzern und Werbe-Hologrammen mächtiger Konzerne geprägt, Menschen überwinden ihre menschlichen Schwächen mit cybernetischen Implantaten. Rauchen ist dank eines Lungenimplantats kein Problem mehr. Für den ausufernden Alkoholgenuss tut es das Leberimplantat und für militärische Operationen die Augen mit Nachtsicht oder stärkere Gliedmaßen.

Major ist im Film (im Gegenzug zum Anime und zum Comic) die erste Cyborg, bei der nur noch das Hirn menschlich ist. Viele Menschen haben ein paar Implantate, Majors Körper ist jedoch komplett artifiziell. Ihr Geist steckt in einer künstlichen Hülle, was den Titel des Films erklärt. Sie arbeitet für das Verteidigungsministerium in der Spezialeinheit Sektion 9, die einem Cyberterroristen namens Kuze (Michael Pitt) auf den Fersen ist. Kuze ähnelt in einigen Belangen dem Puppetmaster des Originals, in vielem anderen und vor allem in seinem Motiv aber überhaupt nicht. Kuze tötet führende Köpfe der Hanka Corporation, die unter anderem für die Regierung den Cyborg-Körper von Major konstruiert hat. Major und ihr Team sollen Kuze, unter der Führung ihres Chefs Aramaki (erhaben: Takeshi Kitano) aufhalten. Major leidet außerdem an Gedächtnisverlust und ist ihrer Vergangenheit auf der Spur. Mehr Story bietet Ghost in the Shell (2017) nicht. Lässt man den Film als eigenes Werk und vor allem als Blockbuster für sich stehen, ist das nicht weiter tragisch und ausreichend, um uns 107 Minuten lang durch eine spannende Cyberpunk-Welt zu führen, die einerseits durch ihre fantastische Darstellung und technische Umsetzung überzeugt und andererseits auch gelungene Actionszenen zu bieten hat.

Vor allem als Cyberpunk-Film überzeugt Ghost in the Shell. Da wird in Programme eingetaucht, Menschen und Menschmaschinen stecken sich Kabel in Köpfe, es werden Programme, Roboter und Gedanken gehackt und man kämpft gegen undurchsichtige Machenschaften, die vor allem ethisch fragwürdig erscheinen.

Das alles ist spektakulär, fetzig und obwohl die Optik durchaus mit Blade Runner und dem Total Recall-Remake verwandt zu sein scheint, ist sie dennoch auf gelungene Weise eigen. Viele Szenen sind tolle Reminiszenzen an die gezeichnete Vorlage und die Darsteller sehen ihren gezeichneten Vorbildern verblüffend ähnlich.

Betrachtet man Ghost in the Shell aber als Umsetzung eines japanischen Kultfilms und einer fantastischen Manga-Vorlage, fällt das Lob verhalten aus. Die Story ist stark verändert und simplifiziert. Anstelle komplexer politischer Intrigen, verschiedener Geheimdienste im Kampf um die Macht und philosophischer Fragen, was uns Menschen ausmacht, welche Bedeutung Leben hat, welche Vor- und Nachteile Technik bietet und welchen Platz wir im Universum anstreben, bietet der Film lediglich eine simple Rachestory. Die Geschichte der Realverfilmung wird auch nicht besser, indem mit versunkenen Flüchtlingsbooten halbherzig ein Gegenwartsbezug zur etwas veralteten Vorlage (in der die Sowjetunion noch auftritt) geschaffen wird. Im direkten Vergleich zum Manga aber auch zum Anime, der den Manga gut zusammenfasst, schneidet die Realverfilmung in jeder Hinsicht schlechter ab. Das ist schade, weil man sich eigentlich nur an der Anime-Umsetzung orientieren hätte müssen. Immerhin hat es zumindest der kultige Soundtrack in den Nachspann der Neuinterpretation geschafft.

Hollywood hält uns offenbar für zu dumm, der Originalgeschichte folgen zu können. Das ist bedauerlich, denn diese hätte aus Ghost in the Shell einen großartigen Ausnahmeblockbuster gemacht. Die Grundlage dafür ist da.

So bleibt Ghost in the Shell für sich allein genommen ein fantastischer Cyberpunk-Film, ein guter Science Fiction-Blockbuster und eine durchwachsene Ghost in the Shell-Verfilmung.

Es hätte viel besser werden können, es hätte aber auch deutlich schlechter werden können. Wer die Vorlage nicht kennt, bekommt einen fetzigen Film, wer die Vorlage kennt, muss wissen, dass vor allem auf intellektueller Seite deutliche Abstriche zu erwarten sind. Mir persönlich hat Ghost in the Shell trotzdem gut genug gefallen, um zwei Mal ins Kino zu gehen.

Ghost in the Shell
Regie: Rupert Sanders
Drehbuch: Jamie Moss, William Wheeler, Ehren Kruger
Soundtrack: Lorne Balfe,Clint Mansell
Cast: Scarlett Johansson, Pilou Asbæk, Michael Pitt, Takeshi Kitano, Chin Han, Juliette Binoche
Laufzeit: 107 Minuten
FSK: 16 Jahre
Kinostart: 30.03.17 (AT)

Die Bilder in diesem Text stammen von der offiziellen Seite (von Constantin Film).

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