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“Die Seniorenwohnhäuser sind ein Schlüssel zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie”

posted by Redaktion 15. April 2020 0 comments

Anja Hagenauer ist als Sozial-Stadträtin für die städtischen Seniorenwohnhäuser in Salzburg zuständig. Wir haben mit der SPÖ-Politikerin über die zentrale Rolle der Pflegeheime im Kampf gegen Covid-19, aber auch mögliche Chancen gesprochen, die diese tragische Pandemie mit sich bringt.


Hallo Salzburg: Seitdem die Covid-19-Pandemie in Österreich angekommen ist, fordern Sie, das Pflegepersonal in den Seniorenwohnhäusern regelmäßig zu testen. Nun hat Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) Ihre Forderung aufgegriffen. Seit gestern (14. April 2020) werden diese Testungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Seniorenhäusern durchgeführt. Warum ist das so wichtig?

Anja Hagenauer: Mir war es von Anfang an ganz wichtig, regelmäßig alle Betreuungspersonen in den Seniorenwohnhäusern zu testen, weil für mich ab der ersten Sekunde klar war, dass diese gemeinsam mit der mobilen Pflege ein wichtiger Schlüssel zur Eindämmung der Pandemie sind.

In den Seniorenwohnhäusern sind die verletzlichsten Menschen. Neben dem hohen Alter leben hier Leute mit vielen Vorerkrankungen. Wenn Covid-19 dort ausbricht, dann ist es fast unaufhaltsam. Das hat man in Italien gesehen, in Frankreich, in Spanien, überall. In meinem Verantwortungsbereich möchte ich das so lange wie möglich verhindern.

Kommen die regelmäßigen Tests in den Seniorenwohnhäusern zu spät?

Ich möchte sagen besser spät, als nie. Mir wäre lieber gewesen, wir hätten die Tests schon vor drei oder vier Wochen gemacht, so wie ich es gefordert hatte. Damals hat es gerade vonseiten der Landesregierung noch geheißen: „Nein das bringt eh nichts. Man kann sich ja nicht zu 100 Prozent sicher sein.“ Mein Argument, lieber eine 80-prozentige Sicherheit als gar keine Sicherheit zu haben, wurde leider ignoriert.

Tatsache ist, dass mittlerweile leider schon elfSeniorenwohnhäuser im Bundesland mit Covid-19 zu kämpfen haben. Insofern ist es natürlich zu spät. Aber ich hoffe, es ist nicht zu spät für alle anderen, die noch Covid-frei sind. 

Sie haben es angesprochen. Elf von 75 Seniorenwohnhäusern im Bundesland Salzburg sind mittlerweile von Covid-19-Fällen betroffen, aber kein einziges der sechs Häuser der Stadt Salzburg. Ist das nur Glück, oder haben Sie Dinge anders gemacht?

Natürlich haben wir auch Glück gehabt. Aber ich glaube schon, dass jeder gewonnene Tag ohne Covid-Fälle in den städtischen Seniorenwohnhäusern durchaus auch damit zu tun hat, dass wir ganz ganz strenge Maßnahmen gesetzt haben und enorm vorsichtig sind: vom Besuchsverbot bis hin zur Selbstquarantäne von Pflegepersonen, wenn es nur das geringste Anzeichen gibt, dass jemand verkühlt ist. Selbst Gegenstände müssen durch eine Quarantäne, bevor wir sie in unsere Seniorenwohnhäuser lassen.

Wir werden alles Menschenmögliche tun, den ersten Covid-19-Fall so lange wie möglich hinauszuzögern. Denn selbst die größte Vorsicht verschafft keine Garantie für den nächsten Tag, auch bei uns kann es jederzeit vorkommen. Es ist gewissermaßen ein Zusammenspiel von Glück und Vorsicht. Es geht darum, dem Glück ein bisschen nachzuhelfen. 

Seit Dienstag (14. April 2020) dürfen Geschäfte bis 400 Quadratmetern, sowie Bau- und Gartenmärkte wieder öffnen. Wie sehen Sie diese sukzessiven Lockerungen? Lässt sich sagen, wann es in den städtischen Seniorenwohnhäusern Lockerungen geben wird?

Es freut mich, dass wir jetzt wieder die Möglichkeit haben, in Geschäfte zu gehen, einkaufen zu gehen, ein Stückchen Normalität zu leben, aber eines muss ich ganz klar sagen: Das gilt nicht für alle Menschen. Vor allem für ältere Menschen, für Menschen, die in Seniorenwohnhäusern sind oder durch die mobile Pflege unterstützt werden, gilt das nicht. Da müssen wir vorsichtiger sein denn je. Und ein bisschen habe ich Angst davor, dass wir das zu leichtnehmen. Das will ich nicht.

Darum appelliere ich wirklich an alle: Passt auf, nehmt das weiter ernst. Es geht darum, unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger zu schützen. Darum bleiben zum Beispiel jetzt in meinen Seniorenhäusern die Besuchsverbote aufrecht. Es ist mir jetzt noch zu gefährlich. Ich will keinen Menschen sterben sehen, nur weil wir gesagt haben „Ja ist eh schon Wurst, ist eh vorbei, geht eh alles.“ Das will ich nicht. Und ich bitte um die Unterstützung aller. Passen wir weiter auf. Es ist noch lange nicht vorbei.

Ihr Parteikollege Walter Steidl hat von der Landesregierung gefordert, dem SALK-Pflegepersonal als Zeichen des Danks eine Prämie auszubezahlen? Wie sehen Sie das? Wird es für die Angestellten in den städtischen Seniorenwohnhäusern eine Prämie geben?

Dieses Ansinnen habe ich bereits in der Stadtregierungssitzung eingebracht und es wurde über alle Parteigrenzen hinweg positiv von meinen Kolleginnen und Kollegen in der Stadtregierung aufgenommen. Wir werden, sobald das Gröbste der Covid-Krise überstanden ist, selbstverständlich jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, tatkräftig bei der Bewältigung der Krise mitgeholfen haben, auch konkret über Prämien diskutieren. Das betrifft nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Seniorenwohnhäusern, sondern auch andere.

Im gesamten Magistrat wird außerordentliche Arbeit geleistet. Ich bin davon überzeugt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr viel dazu beigetragen haben, dass wir bis dato in der Stadt Salzburg vergleichsweise von Covid-19 verschont geblieben sind dank der strengen Maßnahmen, die wir gemeinsam beschlossen haben und bis jetzt auch von allen mitgetragen werden.

Als kleines Dankeschön und Zeichen der Anerkennung ist es bei uns so, dass seit vielen Wochen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Seniorenwohnhäusern für ihre Mahlzeiten und Getränke nichts bezahlen. Das übernimmt die Stadt. Es freut mich, dass das auch all meine Kolleginnen und Kollegen in der Stadtregierung unterstützen.

Während die Corona-Epidemie Angst, Leid und auch wirtschaftliche Sorgen mit sich bringt, sprechen manche auch von Chancen, die sich dadurch eröffnen. Teilen sie diese Meinung, oder ist das Geschwätz?

Diese Epidemie hat viele negativen Gesichter und ich rede da nicht nur von den Menschen, die schwer erkranken und auf der Intensivstation liegen. Es ist nie lustig, wenn jemand seinen Arbeitsplatz verliert, oder auf Kurzarbeit muss, wenn Familien sich zerkriegen aufgrund der erzwungenermaßen beengten Verhältnisse. Das ist alles negativ. 

Aber es gibt natürlich auch positive Zeichen. Ich habe als Sozial-Stadträtin noch nie, wirklich noch nie, so viel Solidarität erlebt wie jetzt. So viel Miteinander, so viel Fürsorge, so viel Interesse für den anderen.

Woran machen Sie das fest?

Das beginnt bei unserer städtischen Hotline vom Magistrat für Seniorinnen und Senioren, die jetzt auch für Alleinerzieher_innen da ist, bei der schon über 1.600 Anrufe eingegangen sind, betrifft vor allem aber auch die vielen Vereine und Initiativen. Allein das Diakoniewerk in Salzburg hat über 1.000 Freiwillige, die den Menschen zur Seite stehen. Ob das jetzt für einen Einkauf ist, oder einen Apothekengang, oder einfach einmal ein Telefonat, um Kontakt zu pflegen zu können. Dieses Engagement ist für mich wirklich unglaublich.

Ich möchte aber noch ein anderes konkretes Beispiel nennen. Gerade in den städtischen Seniorenheimen brauchen wir jetzt für die Bewohnerinnen und Bewohner Masken, Masken, Masken. Wichtig, wir brauchen bunte Masken, weil für viele Menschen mit Demenz ist eine nüchterne OP-Maske etwas Bedrohliches. Nun haben sich die RepairCafe-Näher_innen und viele andere hingesetzt, haben lustige Masken genäht, um den Menschen in den Seniorenwohnhäusern diesen Maskenalltag ein bisschen leichter zu machen. Das ist so schnell gegangen, dass ich es kaum glauben konnte.

Ich bin dankbar für dieses Miteinander und hoffe wirklich, dass diese unschöne Krise uns als Gesellschaft die Chance für eine gelebte Solidarität eröffnet, die über diese Zeit hinaus bestehen bleibt.

Österreich rühmt sich ja gerne selbst für sein Ehrenamt. Ist dieser Zusammenhalt zuletzt etwas verloren gegangen?

In den vergangenen Jahren hatte ich sehr wohl den Eindruck, dass viele soziale Maßnahmen und Vereine von so mancher Seite belächelt wurde, so nach dem Motto „Das brauchen wir nicht, das ist ja alles nicht notwendig”.

Auch hier bei uns auf Stadtebene gab es immer wieder politische Kräfte, die zum Beispiel das Bewohnerservice infrage gestellt haben. Uns allen muss aber klar sein: Wir können die Krise nur deshalb so gut meistern, weil es eine funktionierende Infrastruktur, die sich aus zwei Komponenten zusammensetzt. Zum einen der Sozialstaat, der zum Glück noch gut funktioniert. Ergänzend dazu gibt es bei uns auch noch ein riesiges soziales Netzwerk, das die Menschen zusammenhät. Das ist gut so, und wenn sich nach Covid-19 wieder einmal die Frage nach finanziellen Kürzungen stellt, dann müssen die sozialen Organisationen davon verschont bleiben. Sie machen sichtbar, dass wir sie brauchen, wenn es eine Krise gibt. 

Wie hat sich für Sie persönlich im beruflichen Alltag im letzten Monat geändert?

Mein Arbeitspensum ist gleichgeblieben, wenn nicht sogar mehr geworden. Gleichzeitig habe ich keinen direkten Kontakt, es läuft bei mir fast alles über Videokonferenzen. Es ist wirklich gut, dass es all diese technischen Hilfsmittel gibt.

Gleichzeitig ist das natürlich auch seltsam. Ich bin Politikerin. Ich liebe es, mit Menschen zusammen zu sein, mit Menschen zu reden, Menschen kennenzulernen, mir ihre Geschichte anzuhören, ihnen zu helfen, wenn sie Probleme oder Sorgen haben, und das hat sich gewaltig geändert.

Was sagen Sie Angehörigen, die Ihre Liebsten in den Seniorenwohnhäusern endlich wieder treffen wollen?

Auch das ist ein Aspekt, der mir in dieser Zeit noch stärker vor Augen geführt wird als sonst: In meiner Funktion als Sozial-Stadträtin muss ich täglich Entscheidungen treffen, die Auswirkungen auf die Lebenssituation von Menschen haben.

Ich habe großes Verständnis für diesen Wunsch. Mir tut das wirklich leid, aber meine Verantwortung für die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner in den Seniorenwohnhäusern ist größer.

Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben.

Sehr gerne. Bleiben Sie gesund.

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