Politik

Warum ist der französische Präsident so wichtig?

posted by Andreas Eisl 21. März 2017 0 comments

Andreas Eisl berichtet für Hallo Salzburg vom (Vor)-Wahlkampf um die Präsidentschaft in Frankreich. In der bisherigen Beitragsserie hat er bereits die Zersplitterung des linken Lagers thematisiert und das politische System Frankreichs an sich beleuchtet. In diesem Beitrag wird geklärt, welche Voraussetzungen nötig sind, um auf dem offiziellen Wahlzettel zu erscheinen bzw. warum der oder die französische Präsident_in so mächtig und wichtig ist.


Es ist angerichtet. Mit dem 17. März endete die Einreichungsfrist von Kandidaturen für die französische Präsidentschaftswahl 2017. Wenige Tage später – und zwar diesmal  heute am 21. März – veröffentlicht der Conseil Constitutionnel (das französische Verfassungsgericht)  eine Liste der offiziellen Kandidat_innen, die sich Ende April bzw. Anfang Mai zur Wahl stellen dürfen.

Wie wird man in Frankreich Präsidentschaftskandidat_in?

Um auf der Liste offiziellen Präsidentschaftskandidat_innen geführt zu werden, müssen zahlreiche Voraussetzungen erfüllt werden. Grundvoraussetzung sind natürlich die französische Staatsbürgerschaft, die Eintragung in der Wähler_innenliste sowie das Fehlen von ausschließenden Vorstrafen.

Das wichtigste Kriterium, um für die Wahl zugelassen zu werden, ist der Erhalt von mindestens 500 Unterstützungserklärungen von Parlamentarier_innen und anderen öffentlich gewählten Volksvertreter_innen, z. B. auf der lokalen Ebene. Dabei gelten ein paar zusätzliche Einschränkungen: Die Unterstützungserklärungen müssen aus mindestens dreißig verschiedenen Départements (entspricht in Österreich am ehesten der Bezirksebene) stammen und nicht mehr als ein Zehntel aller Unterstützungserklärungen dürfen dabei aus einem Département stammen. Während für die österreichische Präsidentschaftswahl 6000 Unterstützungserklärungen aus der Bevölkerung für einen Antritt ausreichen, müssen in Frankreich also erst bereits gewählte Volksvertreter_innen, die zumeist auch bestehenden Parteien angehören, davon überzeugt werden, ihre Unterstützung für eine_n bestimmte Kandidat_in kundzutun. Besonders für die großen Parteien ist es in Frankreich deshalb relativ leicht, eine ausreichende Anzahl von Unterstützer_innen zu organisieren. Für Kandidat_innen, die von außerhalb der etablierten Parteien antreten möchten, bedeutet dies jedoch eine relativ große Hürde, womit sich der endgültige Kandidat_innenkreis zumeist deutlich einschränkt.

Im Unterschied zu Österreich (Mindestalter 35 Jahre) ist man in Frankreich bereits ab dem Alter von 18 Jahren zum Antritt zur Präsidentschaftswahl berechtigt. Und während die Weigerung von US-Präsident Donald Trump zur Herausgabe seiner Steuererklärung nicht rechtlich aufgelöst werden kann, so müssen alle Präsidentschaftkandidat_innen in Frankreich für ihr offizielles Antreten ihre Vermögenslage offenlegen.

Der lange Schatten des General de Gaulle

In Europa gibt es kaum ein Staatsoberhaupt, dass so viel Macht in sich vereint wie das französische Präsidentschaftsamt. Bedeutend geprägt ist seine Rolle von der durch General Charles de Gaulle durchgeführten Verfassungsreform, mit der 1958 die Fünfte Republik Frankreichs eingeläutet wurde.

Die zuvor indirekte Präsidentschaftswahl wurde zu einer Direktwahl durch das französische Volk, bei der nach zwei Wahlrunden eine absolute Mehrheit erlangt werden muss. Dies funktioniert also prinzipiell wie in Österreich. Im Gegensatz zu dem doch relativ eingeschränkten Machtbereich des österreichischen Präsidenten vereinigt die französische Präsidentschaft jedoch eine Vielzahl an politischen Kompetenzen. Er oder sie hat das Recht zur Auflösung der Nationalversammlung (die Abschaffung einer abgeschwächten Form dieser Kompetenz wird in Österreich im Rahmen einer Wahlrechtsreform aktuell verhandelt) und hat den Oberbefehl über die französischen Streitkräfte (eingeschränkt auch in Österreich der Fall). Der oder die französische Präsident_in ernennt den oder die Premierminister_in und führt auch den Vorsitz im Ministerrat und spielt damit auch im politischen Tagesgeschäft eine führende Rolle, besonders wenn er oder sie der gleichen Partei wie die Parlamentsmehrheit angehören. Auf Vorschlag von Regierung oder dem Parlament kann der oder die Präsident_in auch eine Volksabstimmung über einen Gesetzesvorschlag veranlassen.

François Mitterand bezeichnete die Verfassung der Fünften Republik gar als permanenten Staatsstreich.

Frankreichs unvollendete Demokratie

Die französische Präsidentschaft vereint weitreichende Kompetenzen in der Sicherheits- und Außenpolitik, die direkt mit dem Algerienkrieg zusammenhängen, währenddessen das französische Militär teilweise der politischen Kontrolle entglitt. General de Gaulle wollte mit einer Stärkung des Staatsoberhaupts wieder größeren Einfluss über die Streitkräfte erlangen.

Während die erfolgreiche Befriedigung des Algerienkonflikts durch de Gaulle seiner Staatsreform zunächst Recht zu geben schien, wurde die dominante Rolle des Präsidenten gegenüber dem Premierminister und dem Parlament demokratiepolitisch zunehmend kritisch betrachtet. Der spätere Präsident François Mitterand bezeichnete die Verfassung der Fünften Republik gar als permanenten Staatsstreich.

Zusätzlich befindet sich Frankreich seit den Terroranschlägen in Paris und Nizza in einem durchgehenden und bereits mehrfach verlängerten Ausnahmezustand. Das hilft zwar einerseits dabei, bestehende Rechtsnormen zur schnelleren Festsetzung von Terroristen zu umgehen, bedeutet andererseits jedoch auch eine Aushöhlung bestehender demokratischer Praxis. Entsprechend gibt es hier speziell von der Linken Aufrufe zu einer Beendigung des Ausnahmezustandes (z.B. von Mélenchons Wahlbewegung).

Co-habitation: Wer ist der oder die Chef_in im Haus?

In der ursprünglichen Version der Verfassung der Fünften Republik wurden die Präsidenten jeweils sieben Jahre gewählt und konnte uneingeschränkt wiedergewählt werden. Seit einer Reform zur Jahrtausendwende wurde die Amtszeit auf fünf Jahre und auf maximal zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten beschränkt (ähnlich wie in den USA). Die Präsidentschaftswahlen finden nun knapp ein Monat vor den Wahlen für die Nationalversammlung statt, welche ebenfalls für fünf Jahre gewählt wird. Damit sollte insbesondere das Phänomen der sogenannten co-habitation („Zusammenleben“) eingedämmt werden.

Was nicht passt wird passend gemacht: Neuwahlen

In Frankreich wird der oder die Premierminister_in von der Präsidentschaft ernannt, muss aber auch vom Parlament unterstützt werden. Gehört der oder die Präsident_in einem anderen politischen Lager als die Mehrheit des Parlaments an, führt dies generell zu einem Machtkampf um die Besetzung der Regierung. Der notwendige Kompromiss schränkt den Einfluss der Präsidentschaft über die Exekutive massiv ein, weil die Nationalversammlung de facto das Recht über die Auswahl des oder der Premierminister_in erhält. Während diese Situation z. B. auch im präsidentiellen System der USA relativ häufig vorkommt (Obama hatte während sechs seiner acht Amtsjahre keine Mehrheit im Kongress), konnte sie in Frankreich mehrfach dadurch verhindert werden, indem ein frisch gewählter französischer Präsident (Mitterand z.B. in 1981 und 1988) einfach seine Kompetenz zur Auflösung der Nationalversammlung ausnutzte und sich in den anschließenden Neuwahlen eine Mehrheit im Parlament sicherte.

Obwohl es seit der Verfassungsreform seit 2002 bis jetzt in Frankreich keine co-habitation mehr gegeben hat, könnte sie dann rasch wieder zurückkehren, wenn es zu vorzeitigen Präsidentschafts- oder Parlamentswahlen kommen sollte. Darüber hinaus könnte es dieses Jahr passieren, dass keine Partei bzw. Wahlplattform die absolute Mehrheit im Parlament erlangt und es zu einer Koalitionsregierung kommt, die die Macht der Präsidentschaft ebenfalls einschränken würde. Zuletzt würde z.B. Emmanuel Macron, der durchaus Chancen auf den Sieg hat, ebenfalls dadurch geschwächt sein, da seine Wahlbewegung „en marche“ höchstwahrscheinlich keine Chance darauf hat, eine große Zahl von Sitzen in der Nationalversammlung zu erlangen.


Collage: Allard/Réa, Hamilton/Réa et AP. Montage Libération

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