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Manchester by the Sea – in der Kleinstadt nichts Neues

posted by Johannes Mayrhofer 20. März 2017 0 comments

Chandler Lee (Casey Affleck) arbeitet als Allround-Handwerker. Ob Elektriker oder Installateur, wenn was kaputt ist, kommt er und richtet’s. Er wühlt in überschwemmten Klos, er wird von gelangweilten Single-Frauen angegraben und angeschrien, sein Chef beschwert sich und es scheint, als wäre in Chandlers tristem Leben alles ziemlich egal. Er wohnt in einem schmucklosen Kellerraum, er hat kaum Möbel und die, die er besitzt, schmeißt er letztendlich auch weg. Das gezeigte Leben ist farblos und grau und spiegelt Lees emotionale Starre. Auch als er von seinem Wohnort Boston nach Manchester (nicht in England!) gerufen wird, weil sein Bruder verstorben ist und Freunde und Verwandte trauern, scheint ihn das seltsam kalt zu lassen. Schließlich war der Tod auch nicht gerade unerwartet, sondern aufgrund einer Krankheit seines Bruders lediglich eine Frage der Zeit. Durchaus unerwartet ist für Chandler jedoch, dass er plötzlich der Vormund seines Neffen Patrick (Lucas Hedges) ist, was ihm zunächst ganz und gar nicht gefällt.

Im weiteren Verlauf des Dramas Manchester by the Sea führt uns Regisseur Kenneth Lonergan, der auch das Drehbuch geschrieben hat, behutsam immer weiter in Lees Leben. In Rückblenden lernen wir, dass Chandler einst ein lebensfroher Geist war, der von Alkohol bis Koks nichts unberührt ließ und wir sehen, welche Geschehnisse ihn zu dem gebrochenen Mann machen, den wir zu Beginn des Filmes kennenlernen. Gerade weil uns Manchester by the Sea allein durch seine Inszenierung (ich glaube, in dem Film gibt es keine Szene mit Sonne) in die verschlafene, depressive, melancholische und emotional eingefrorene Stimmung von Chandler Lee versetzt, schlagen uns die wenigen dramatischen und emotionalen Höhepunkte der Handlung umso heftiger ins Gesicht. In Lees Vergangenheit schlummern schreckliche Ereignisse, die ihn in diese Lebenslage gebracht und ihn zu jenem Mann gemacht haben, den wir kennenlernen. Am liebsten würde man die Leinwand anschreien und ihm zu einer Therapie raten, aber hilflos müssen wir zuschauen, wie ihm seine erlösende Katharsis verwehrt bleibt. Erst im erzwungenen Aufeinandertreffen mit seinem Neffen Patrick, der so unerwartet in sein Leben kommt und ihn vor völlig neue Probleme und Herausforderungen stellt, gibt es Hoffnung auf Erlösung. Vorausgesetzt, die beiden schaffen es, zusammenzufinden.

Patrick scheint das komplette Gegenteil vom traumatisierten Lee zu sein. Er ist ein beliebter und lebensfroher High School Schüler, er spielt erfolgreich im Hockey-Team der Schule, er hat eine Band und gleich zwei Freundinnen. Because he can. Auch er nimmt den Tod seines Vaters scheinbar gelassen. Er versucht seine Gefühle zu überspielen, bis sie schließlich doch aus ihm herausbrechen.

Es sind diese wenigen, aber äußerst intensiven emotionalen Höhepunkte, die Manchester by the Sea zu einem äußerst sehenswerten Drama machen. Vor allem Casey Afflecks großartiges Schauspiel überzeugt und trägt den Film, für den Affleck schließlich auch den Oscar als bester Hauptdarsteller gewonnen hat.

So dramatisch Manchester by the Sea ist, so wenig überrascht das Drehbuch in gesellschaftlicher Hinsicht. Das provinziale Leben besteht aus Hockey, Fischen und Saufen, der Hauptdarsteller ist ein emotionales Wrack, der seine Gefühle begraben hat oder nicht zeigen darf und die großen Emotionen bleiben über weite Strecken an seiner Ex-Frau Randi (Michelle Williams) und seinem Neffen hängen. Dennoch, trotz der deskriptiven Abarbeitung alter Rollenklischees, ist Manchester by the Sea ein rührendes, schönes und sehenswertes Drama. Lediglich eine neue Filmerfahrung sollte man nicht erwarten, denn in Manchester am Meer folgt alles gewohnten Bahnen und das ändert sich auch im Verlauf des Filmes nicht. Vielleicht ist aber gerade dies der Denkanstoss, der stumme Aufruf zur gesellschaftlichen Veränderung, den uns der Film mitgeben will.

Manchester by the Sea
Regie: Kenneth Lonergan
Drehbuch: Kenneth Lonergan
Soundtrack: Lesley Barber
Cast: Casey Affleck, Lucas Hedges, Michelle Williams, Kyle Chandler, Gretchen Mol
Laufzeit: 138 Minuten
FSK: ab 16
Kinostart: 19.01.17 (AT)

Das Bild stammen von der offiziellen Homepage des Films.

P.S.: Die Vorwürfe gegen C. Affleck habe ich bewusst nicht in diese Kritik einfließen lassen, da sie nichts mit seiner schauspielerischen Leistung zu tun haben und ich nicht genügend Background-Wissen habe, um mich vernünftig dazu äußern zu können.

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