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abgestaubt: Taxi Driver

posted by Johannes Mayrhofer 13. September 2016 0 comments

Das Kinojahr 2016 hatte mit Filmen wie Tomorrow, Vor der Morgenröte oder Neon Demon seine Perlen, aber die Blockbuster-Saison ist mit Negativbeispielen wie Suicide Squad oder Independence Day 2 bisher eher traurig ausgefallen. Da uns 2016 nicht vom Kinosessel reißt, blicken wir 40 Jahre zurück und sehen uns Martin Scorseses Taxi Driver erneut an. Taxi Driver genießt absoluten Kultstatus. Zu Recht? Wie ist der Film gealtert? Ist er tatsächlich ein zeitloser Klassiker?

Für die BBC ist der Film auf Platz 19 der besten amerikanischen Filme aller Zeiten, Tarantino zählt ihn zu seinen Top Fünf. Die Grundbedingungen sind im Nachhinein betrachtet (damals waren die Karrieren einiger Darstellerinnen und Darsteller schließlich erst in den Startlöchern) fantastisch. Am Regiestuhl sitzt Martin Scorsese (Wolf of Wall Street, GoodFellas , Gangs of New York …), das Drehbuch stammt von Paul Schrader (u.a. Raging Bull) und im Cast tummeln sich neben Robert De Niro, der 1975 gerade für der Pate 2 mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, eine junge Jodie Foster und ein muskulöser langhaariger Harvey Keitel.

Taxi Driver folgt wenig überraschend – der Titel hat es angedeutet – den Ereignissen im ungewöhnlichen Leben eines New Yorker Taxifahrers. Travis Bickle (Robert De Niro) leidet unter Schlaflosigkeit. Wenn er schon nicht schlafen kann, kann er genauso gut Geld verdienen, denkt er sich. Er wird Taxifahrer und übernimmt viele unbequeme Nachtschichten. Auch ist er bereit, in die gefährlichen Winkel der Stadt zu fahren, weshalb er oft mit zwielichtigen Gestalten unterwegs ist. Das New York der Nacht prägt ihn. Er empfindet schwarze Bandenmitglieder, Homosexuelle, Junkies und Prostituierte als Abschaum, der von den Straßen gespült werden muss. Die Erzählperspektive hält sich dabei eng an Travis. Wir erleben das New York der Siebziger durch seine Augen. Die Stadt, die Nacht und das geschäftige Treiben auf ihren Straßen werden – nicht zuletzt durch den großartigen Soundtrack von Bernard Hermann (Citizen Kane) – zu einem eigenen Charakter im Film, der bedeutend zur melancholischen Stimmung beiträgt.

Wir erleben das New York der Siebziger durch seine Augen.

Mit Travis fahren wir einsam durch die Nacht, treffen am Rücksitz verschiedene Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt und blinzeln auf mikroskopische Ausschnitte ihres Lebens. Ein eifersüchtiger Ehemann (Martin Scorsese) stellt seiner Gattin nach. Ein Senator (Leonard Harris) ist auf Wahlkampf-Tour. Die minderjährige Prostituierte Iris (Jodie Foster) versucht vor ihrem Zuhälter Matthew (Harvey Keitel) zu fliehen. Mit Travis gehen wir ins Pornokino, mit Travis erleben wir die erdrückende Einsamkeit seiner heruntergekommenen Wohnung und wir sind hautnah dabei, wenn sich Travis in die Wahlkampfhelferin Betsy (Cybill Shepherd) verliebt. Wir schämen uns für Travis, wenn er Betsy ins Pornokino einlädt und wir verstehen ihn, wenn er sie im Liebeskummer und in seiner Einsamkeit viel zu oft anruft. Wir sind dabei, wenn Travis in einer Politik Halt findet, deren Aussage für ihn eigentlich unbedeutend ist. Senator Palantine wird für ihn zu einem Hoffnungsschimmer, einer Figur, an die er sich klammern kann und über die Travis eigentlich nur Kontakt zur Gesellschaft sucht.

taxi driver 03

Irgendwann reicht es Travis. Er erklärt dem – seiner Ansicht nach – sündigen Treiben der Stadt den Krieg, kauft sich illegale Waffen und liefert uns eine der bekanntesten Szenen der Filmgeschichte. Travis steht vor seinem Spiegel, übt das Waffenziehen und faucht sein Spiegelbild an:

You talkin’ to me? You talkin’ to me? [blickt sich um] Then who the hell else are you talking … you talking to me? Well I’m the only one here. Who the fuck do you think you’re talking to? Oh yeah? OK.“

Auch wenn Travis in dieser Szene sehr selbstbewusst auftritt, spiegelt sie seine Einsamkeit. Alleingelassen von der Gesellschaft steigert er sich in etwas hinein, das in einem Amoklauf enden wird.

Taxi Driver ist eine bedrückende Charakterstudie über einen Menschen, der sich in seiner Einsamkeit einen eigenen Moralkodex konstruiert und der sich in einem rassistischen Wertesystem verliert. Ist Taxi Driver deswegen ein rassistischer Film? Ganz und gar nicht. Der Film Taxi Driver handelt von einem Rassisten und durch die charakternahe Erzählweise mag es teilweise schwer sein, Film und Hauptfigur getrennt zu bewerten. Im Finale ist Rassismus allerdings kein Thema mehr. In Travis’ bedrückend kathartischem Blutrausch spielen seine Wertbilder keinerlei Rolle. Die Selbstjustiz wird zu einem Ventil, durch die Travis sein Unverständnis gegenüber der Gesellschaft und sein Unvermögen, mit ihr in sozialen Kontakt zu treten, ausleben kann. Es ist für Travis eine Reinigung seiner Seele und zugleich aus seiner Perspektive eine Säuberung eines kleinen Teils der Stadt. Spätestens hier setzt für uns Zusehende eine Läuterung ein, denn es ist auch nach 40 Jahren äußerst unbequem, diesem Antihelden dabei zuzusehen, wie er das Gesetz in die eigene Hand nimmt. Selbst wenn wir das oft gebrauchte Motiv der Selbstjustiz nicht hinterfragen, weil es in Taxi Driver schließlich zum Wohle einer Minderjährigen geschieht, bleibt die Hauptfigur dennoch ein Mensch mit äußerst fragwürdigen Ansichten und psychischen Problemen, den wir eigentlich nicht als Held gefeiert sehen sollten, dürften und wollten.

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Taxi Driver ist ein stimmungsvoller, dramatischer, melancholischer und brutaler Ausflug ins filmische New York der Siebziger, der auf technischer Seite durch seine großartige Regie, den tollen Cast und den wundervollen Soundtrack überzeugt und auf unserer Seite der Leinwand mit unangenehmen Fragen über Moral, Ethik und Gesellschaft aufwartet. Äußerst erschreckend ist beispielsweise der Gedanke, dass man genau dieselbe Geschichte etwa auch mit Amokläufern der aktuellen Zeit, wie jenen aus München oder Norwegen erzählen könnte, die vermutlich aus ihrer Sicht der Dinge auch das Richtige getan haben.

Taxi Driver ist zeitlos durch die letzten 40 Jahre geglitten und wenn man sich in 40 Jahren nicht mehr an Filme wie X-Men: Apocalypse oder Warcraft: The Beginning erinnern wird, wird man sich immer noch Taxi Driver ansehen.

 

Taxi Driver
Regie: Martin Scorsese
Drehbuch: Paul Schrader
Soundtrack: Bernard Hermann
Cast: Robert De Niro, Jodie Foster, Harvey Keitel …
Laufzeit: 113 Minuten
FSK: 16 Jahre
Kinostart: 07.10.1976 (AT)

Gesehen habe ich den Film anlässlich des 40-jährigen Jubiläums auf der großen Leinwand im Gartenbaukino. Die Bilder stammen alle von Imdb.

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