Meine Mutter war einer der Flüchtlinge 1990. Eine von 115.000 Personen, die ihre Heimat verlassen mussten und nur mit einer Reisetasche und der Kleidung am Leib nach Österreich kamen. Sie hatte es gerade einmal geschafft, ihre Matura in Tuzla (Bosnien) abzuschließen, da hatten die Bombenanschläge auch schon begonnen. Die Maturafeier und auch einen Maturaball, das schmerzt sie bis heute sehr, durfte sie nie erleben. Es wäre dilettantisch, die Jugoslawienkriege mit dem arabischen Frühling zu vergleichen. Obwohl, einige Gemeinsamkeiten gibt es: Städte werden zerstört, Menschen bedroht und ermordet, Zivilcourage in den Nachbarländern ist gefragter denn je. Warum war es also damals kein Thema, Flüchtlinge aufzunehmen? Was können wir für die jetzige Krise aus dieser Erfahrung mitnehmen?
Neuigkeiten verbreiten sich heute, im Gegensatz zu damals, wesentlich schneller. Das Internet und auch die Social Media Kanäle bieten eine ganz andere Möglichkeiten zum Informationsaustausch. Aber nicht nur das ist anders. Die vorherrschende Situation innerhalb der Bevölkerung ist eine andere.
Meine Großeltern waren bereits in den 1970er Jahren als Gastarbeiter_innen nach Österreich gekommen. Mit vier Jahren betrat also meine Mutter zum ersten Mal österreichischen Boden. Besonders gefallen hat es ihr in Salzburg aber nicht.
Für mich war es ein einziger Kulturschock. Ich habe so viel geweint. Besonders gut in Erinnerung geblieben ist mir ein Gasthof namens Mina, bei dem man Hühnchen mit Pommes und Salat, aber ohne Brot (!) serviert bekam. Der reinste Weltuntergang für eine Vierjährige, die nichts anderes kennt. Mir war es außerdem verboten, das Leitungswasser zu trinken und das wohl schlimmste Erlebnis war der Brand der damaligen Papierfabrik in Hallein. Ich habe das Brennen gesehen und meine Eltern angefleht, mich zu meiner Großmutter nach Bosnien zu bringen. Ich wollte keine Sekunde länger in Österreich bleiben und es riskieren am lebendigen Leibe zu verbrennen. Meine Eltern hörten auf mich, und ich durfte bei meiner Großmutter aufwachsen. Im Nachhinein muss ich fast ein bisschen lachen über mein kleines damaliges Ich.
Als junge Erwachsene kommt meine Mutter unfreiwillig zurück nach Österreich. Rein rechtlich gesehen ist sie ein Flüchtling. Nachdem meine Großmutter aber die “richtigen” Leute kennt, beschleunigt sich das Verfahren und meine Mutter bekommt prompt eine Arbeitserlaubnis, mit der sie sofort in einer Fabrik zu arbeiten anfängt. Das ist in unserer jetzigen Situation überhaupt nicht vorstellbar. Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten gehen. Seit einer Verschärfung des Gesetzes 2004 unter Schwarz-Blau gibt es nur mehr kurzfristige Beschäftigungsbewilligungen für Saison- und Erntearbeit sowie gemeinnützige Tätigkeiten mit geringer Entschädigung. Wer mehr als 110 Euro verdient, läuft Gefahr, nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses keine Grundversorgung und damit auch keine Krankenversicherung mehr zu bekommen.
Meine beiden Tanten werden in die Schule geschickt. Zur Erlernung der neuen Sprache stuft man beide eine Klasse zurück, als sie bisher gegangen waren. Schulpflichtige Kinder müssen auch im Jahre 2016 die Schulbank drücken, alle Klassen darüber liegen im Ermessen der Direktor_innen, die sich aussuchen können, ob und welche Kinder sie in ihre Schule aufnehmen.
Das Leben bricht über meine Mutter herein und man wohnt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung zu fünft. Mutter, Vater und drei Töchter auf engstem Raum. Privatsphäre? Ein Fremdwort. Auch heute leben die Flüchtlinge auf engstem Raum in Zeltstädten und Wohnheimen. Die Wenigsten haben den “Luxus”, zusammengepfercht in einer Wohnung mit der eigenen Familie leben zu können.
Wenig später lernen sich meine Eltern kennen und ziehen zusammen. Es dauert nicht lange, bis ich komme und allen das Leben verschönere – an dieser Stelle lacht meine Mutter immer.
Die Österreicher_innen besaßen damals, rein materiell gesehen, viel weniger als jetzt. Die Angst, dieses Bisschen zu verlieren war auch relativ gering. Jetzt leben viele von uns im Überfluss und möchten trotzdem nichts davon hergeben.
Die geographische Lage der beiden Länder, nämlich Ex-Jugoslawien und Syrien in Bezug auf Österreich muss man sich auch immer wieder vor Augen führen. Der Weg nach Österreich war ein ganz anderer. Die Mentalitäten bzw. die Kulturen waren unterschiedlich, dennoch versteht man das Elend und den Krieg, welche vor der Haustür stattfanden, immer besser, als die auf einem anderen Kontinent und einem Ozean dazwischen.
Die Integration hat bereits damals nicht optimal funktioniert und so lebe auch ich heute in zwei voneinander getrennten Gesellschaften: einerseits in der ex-jugoslawischen Community, die sich Restaurants, Geschäfte, Lokale uvm. aufgebaut hat und so niemals ihre Blase verlassen muss und unter sich bleibt. Andererseits habe ich auch viele österreichische Freund_innen, die solche Lokalitäten aufgrund der enormen Ausländer_innenzahl nicht besuchen möchten (Ausnahmen inbegriffen). Sollte auch diesmal so mit den Menschen umgegangen werden, und diesen Anschein hat es gerade, dann wird sich auch aus der jetzigen Flüchtlingswelle eine Parallelgesellschaft aufbauen und Österreich wird nur noch mehr gespalten.
Es braucht ein Miteinander anstatt eines Neben- oder gar Gegeneinanders. Deshalb wäre direkter Kontakt mit Flüchtlingen die beste Methode, Berührungsangst zu verlieren. Es gibt so viele verschiedene Veranstaltungen und Projekte bei denen man mit Flüchtlingen in Kontakt treten kann.
An den österreichischen Universitäten gibt es das MORE Projekt, bei dem man mitmachen kann. In Salzburg gibt es unter anderem ein Buddy Network, bei dem jedem Flüchtling ein_e österreichische_r Studierende_r zugeteilt wird und mit ihnen verschiedene Freizeitaktivitäten machen können bzw. ihnen die Stadt zeigen.