Ein ideologisches Manifest zur Kulturstadt Salzburg
Jedermann ist nicht Alle.
Suchen muss man in Salzburg einige Dinge nicht: Mozart, Festspiele und Mozart. Die Stadt geht nicht gerade subtil mit ihrem Status als internationale Kultur- und Festspielstadt um, steht sie doch seit Jahrhunderten im Zeichen der Hochkultur: Herbert von Karajan, Stefan Zweig, Georg Trakl, im weitesten Sinn auch Sound of Music und allem voran natürlich die Festspiele selbst. Seit sie Max Reinhard vor über neunzig Jahren gründete, ist Salzburg einer der großen Pilgerorte des allgemeinen Kunstinteresses.
Das ist kein touristisches Projekt. Das gönnen wir uns selbst.
(Landeshauptmann Wilfried Haslauer)
2016 feiert Salzburg aber nicht nur mit den Festspielen sich selbst, sondern auch mit dem 200-Jahr-Jubiläum seiner Zugehörigkeit zu Österreich (Salzburg 20.16), im Rahmen einer Landesausstellung. Dies stieß nicht allerorts auf Begeisterung. Der Dachverband Salzburger Kulturstätten kritisierte etwa „Kein Konzept, keine Transparenz und keine Ausschreibung“, ob der fehlenden Information an die Kulturinstitutionen in der Konzeption und Planung. Gerade die hohen Kosten schienen fragwürdig. Zudem bestand der Vorwurf eines unnötigen und kostenintensiven Sonderprojekts und eines „Zwischenwahlkampfes“ von Landeshauptmann Wilfried Haslauer. Woher in kulturellen Sparzeiten das Budget für solch eine kulturhistorische Großveranstaltung kommt, verwundert, ebenso Haslauers Erklärung bei der Präsentation: „Das ist kein touristisches Projekt. Das gönnen wir uns selbst.“ Wir sind dabei aber nicht Alle.
Kulturinstitutionen müssen um Existenzen kämpfen und rechtfertigen, warum Kunst und Kultur auch abseits der Touristenmagneten wichtig sind.
(Foto: Romana Stücklschweiger)
Von dem Kuchen und den Krümeln
Im Salzburger Sommer blüht also das künstlerische Hochkultur-Leben, bevor dann im Oktober das kulturelle Herbstloch beginnt und die Stadt wieder frei für Alternativkultur ist – oder sein könnte. Die muss man nämlich schon ambitionierter suchen. Das Kulturbudget, das Stadt und Land für die so genannte freie Szene zur Verfügung stellen, ist nämlich seit Jahren zu gering, Kulturinstitutionen müssen um Existenzen kämpfen und rechtfertigen, warum Kunst und Kultur auch abseits der Touristenmagneten wichtig sind. Der Dachverband analysiert jährlich das Kulturbudget von Stadt und Land, für 2016 gilt unter anderem folgendes für die Stadt:
- Das gesamte Kulturbudget steigt um 1,18 Mio. Euro gegenüber 2015 (793.063 Euro) und macht somit einen Anteil von 5,9 Prozent am Gesamtbudget (2016: rund 480 Mio. Euro) aus.
- Die freie Kulturszene wird zwar mit 75.000 Euro mehr gefördert (Stand 2015: 4.674.300 Euro), ihr Anteil am Gesamtbudget beträgt aber lediglich 0,97 Prozent.
Das ist der metaphorische Tropfen auf dem heißen Stein, auch die Förderungen seitens des Landes sind unverhältnismäßig gering (2016: 5,4 Mio. Euro, bei knapp 44 Mio. Euro Kulturbudget, von 100 Euro gibt das Land Salzburg 19 Cent aus). Die chronische Unterfinanzierung, mit der die Freien seit Jahren zu kämpfen haben, betrifft unter dem Dachverband 75 Kulturstätten, auch passiert keine Abgeltung der Inflationsrate. Das Land behält sich nach einem Landtagsbeschluss von 2015 auch vor, bei allen mehrjährigen Förderverträgen eine bis zu 20-prozentige Kürzung der Subventionen vorzunehmen. Diese wird laut Landeskulturrat Heinrich Schellhorn zwar nur „für Extremfälle“ wirksam werden, wurde von Seiten des Dachverbandes und der Kulturschaffenden aber als völlig inakzeptabel angesehen.
Die Konsequenzen dieser Kulturpolitik sind für die gesamte Szene zu spüren.
Kulturpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Abseits der Förderung und einer scheinbar allzeit drohenden Kürzung fehlt es in der städtischen Förderung von Alternativ- und Subkultur – aber paradoxerweise auch den Festspielen – am Wesentlichen: Kreativität, Impulse und Innovation, finanziellen Mitteln um diese auch umzusetzen und die dementsprechende Unterstützung. Auch die reale Möglichkeit, Ideen, Dynamik und Synergien zu fördern und dadurch Stagnation zu verhindern, ist gering. Die Freien scheinen zu wollen aber nicht zu können, im Kontext der Festspiele sieht es nach einem Beharren auf dem Status Quo aus, nach wenig Neuem und trotz dem – inzwischen wieder beendeten – Young Directors Project nach wenig frischem Wind. Kultur kommt von ‚pflegen’ (lat. cultura), die internationale Kulturstadt Salzburg lässt aber gar große Flächen einfach brach liegen. Jedes Jahr wird verhandelt; dieses Jahr werden die Krümel zwar etwas mehr, aber es bleiben Krümel, während der Kuchen bei den ohnehin schon Großen bleibt.
„Eine gemeinsame Festlegung für die kulturelle Weiterentwicklung in Salzburg finden“, ist Heinrich Schellhorns Wunsch im Gespräch mit Apropos-Chefredakteurin Michaela Gründler. Genau das wünscht sich die Gesamtheit der Salzburger Kulturlandschaft auch. Die Umsetzung dessen vermittelt aber regelmäßig den Einruck, dass die Freien und ‚Kleinen’ dabei weitgehend übersehen werden. Finanzielle Mittel sind vorhanden, aber zu wenig fließt davon zu jenen, die sich neben den den Etablierten die Aufmerksamkeit Interessierter erst sichern müssen.
“Seit Jahren wird uns versichert, wie toll die Arbeit ist, die wir machen. Aber leider wirkt sich das nicht auf die Förderungen aus”
(Alf Altendorf, Geschäftsführer der Radiofabrik)
Die Konsequenzen dieser Kulturpolitik sind für die gesamte Szene zu spüren, zum Beispiel im Fall der Radiofabrik – Freies Radio für Salzburg: Als nicht-kommerzielles Community Radio hat die Radiofabrik den Auftrag, Radio und die damit verbundene Öffentlichkeit für alle Interessierten bei niederschwelligem Zugang zur Verfügung zu stellen. Eine bezahlte Redaktion sorgte für lokale Berichterstattung, mit Fokus auf jene Bereiche, die in kommerziellen Medien keinen Platz finden. Mangels finanzieller Unterstützung wurde die Redaktion im Herbst 2015 aufgelöst. Eine ehrenamtliche Redaktion führt das Newsformat „Magazin um 5“ zwar stark reduziert fort, vor allem aber für kleine und neue Projekte brach damit quasi die Öffentlichkeitsarbeit weg. “Seit Jahren wird uns versichert, wie toll die Arbeit ist, die wir machen. Aber leider wirkt sich das nicht auf die Förderungen aus“, fasst Geschäftsführer Alf Altendorf die Problematik gut zusammen. Das scheint dem Ruf einer Stadt, die sich selbst die „Kulturstadt“ auf die Fahnen schreibt (und 2024 auch Kulturhauptstadt Europas werden möchte), nicht gerecht zu werden.
Die stiefmütterliche Behandlung der Alternativkultur verärgert in erster Linie, weil es sich eigentlich keine Stadt leisten kann, Projekte, die vom konventionellen und zeitweise konservativen Kulturverständnis der Entscheidungsträger abweichen, einfach zu ignorieren – noch dazu wenn diese Stadt voll von historischem wie zeitgenössischem Potenzial für Kunst steckt. Denn wenn Kunst und Kultur in Salzburg nur dafür instrumentalisiert werden, um dem Image – das immer schon so war und auch so zu bleiben hat [Achtung, Ironie] – gerecht zu werden, dann hapert es da schon arg.
„Kultur“ in Salzburg frisst oft ihre eigenen Kinder.
Mozart would have loved it.
Aber um aber dem Ganzen jetzt doch nicht einen gar zu niedergeschlagene und düstere Bilanz zu geben: Was bereits jetzt, auch trotz andauender Unterfinanzierung, möglich gemacht wurde, hält die Stadt im alternierenden Bereich am Leben, Räume und Initiativen entstehen, mit Engagement und oft ohne Bezahlung rufen Leute eben jene Dinge ins Leben, die sie selbst vermissen. „Die Kulturphilosophie fragt nach den Entstehungsbedingungen von Kultur überhaupt und nach den kulturellen Entfaltungen in spezifischen historischen und geographischen Kontexten“, sagt das Internet, es ist quasi eine Frage von Angebot und Nachfrage, aber auch eine des Willen, das was fehlt zu schaffen. Eine verstärkte Do-It!(Yourself)-Kultur erschafft bereits im Kleinen, was fehlt. Das wären dann mal Projekte, deren finanzielle Unterstützung sich zusätzlich für die Stadt lohnen würde. Eine individuelle Palette an Angeboten, wie sie nur bereichernd für Salzburg sein könnte – oder es bereits ist, wenn auch mit nur geringen Unterstützungen aus der Kulturpolitik.
„Kultur“ in Salzburg frisst oft ihre eigenen Kinder oder hat noch nicht die Geduld, diese auch großzuziehen. Aber überall wo es gefühlte Missstände gibt, gibt es auch Rebellion. Keine Sorge, es ist eine konstruktive: Die Musikszene Salzburgs schafft es immer wieder, die (inter)nationale Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; die ARGEkultur, das Rockhouse oder das Jazzit bringen jährlich musikalische Größen aus allen musikalischen Sparten nach Salzburg und öffnen gleichzeitig ihre Bühnen für heimische Musiker und Künstler. Das Leerstands-Festival Interlab vereint Gesellschaftskritik mit Kunst, die Sommerszene bringt zeitgenössischen Tanz und Theater nach Salzburg, Kabarett und Kleinkunst gibt es beim MotzArt Festival. Mozart würde das wohl gefallen, der schimpfte nämlich damals auch schon gerne über seine Heimatstadt. Vielleicht springt das Augenmerk der Verantwortlichen beizeiten auch auf die Bemühungen der Künstler in den Subszenen, abseits der alten Meister. Ein neuer Style ist da, der sich auch lohnen würde.
Letztendlich geht es doch nur darum, was schon die Querschläger singen: Homma wos ma brauchn und brauch ma wos ma hom?