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Das Kinojahr 2016: Höhen und Tiefen im Rückblick

posted by Johannes Mayrhofer 29. Dezember 2016 0 comments

2016 war und ist ein bewegtes und emotional aufgeladenes Jahr. Lassen wir kurz die prominenten Todesfälle, den weltweiten Rechtsruck, den Bedeutungsverlust tatsächlicher Fakten und diverse Krisen beiseite, denn auch im Kino gab es Höhen und Tiefen, erfreuliche Überraschungen und Enttäuschungen. Das Schöne am Kino ist, dass es uns die Probleme der echten Welt kurz vergessen lässt und uns auf eine Reise in die Kreativität, die Gedanken oder die Fantasie fremder Menschen einlädt. Die folgende Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit, soll aber einige Perlen und Katastrophen hervorheben und das Kinojahr 2016 noch einmal grob Revue passieren lassen. Einsprüche oder Ergänzungen sind in den Kommentaren gern gesehen. Nicht alle der folgenden Filme konnte ich rezensieren, kurz auf sie eingehen möchte ich an dieser Stelle dennoch.

 

Enttäuschungen:

Es gibt Filme, die lassen uns einfach grantig im Kinosessel zurück. Manchmal waren die Erwartungen zu hoch, manchmal unterboten sie die sowieso schon niedrig angesetzten Hoffnungen. Folgende fünf Filme sind für mich die größten Flops des Jahres 2016:

 

Creed

Wir alle lieben Rocky. Der charmante und etwas prollige italienischstämmige Amerikaner Rocky Balboa (Silvester Stallone), der sich charmant durch die Boxringe dieser Welt gekloppt hat, ist eine der kultigsten Figuren des Kinos. Mittlerweile ist er alt, das Franchise ist aber einfach zu famos, um es mit Stallone in Pension zu schicken. Man suchte und fand also einen Nachfolger. Leider gelingt es dem Spin Off Creed in keiner Sekunde auch nur ansatzweise den Charme und die Emotionen der Originale wiederzubeleben. Man soll aufhören, wenn’s am schönsten ist. Für Rocky war das definitiv nach Balboa (Teil 6).

edit – Nachtrag: Für meine Meinung zu Creed erntete ich heftige Kritik. Vielen Leuten hat das Rocky-Spin Off offenbar gut gefallen. Ich persönlich fand den Film einfach nicht stimmig und den Hauptcharakter äußerst unsympathisch. Auf Facebook wurde ich außerdem darauf hingewiesen, dass nicht das Studio, sondern der Regisseur Ryan Coogler (Fruitville Station) die Idee für die Fortsetzung hatte.

 

Suicide Squad

Marvel hat die Super-Groups Avengers und Guardians, bei denen die größten Helden der Galaxie vereint gegen dunkle Bedrohungen kämpfen. DC veröffentlicht bald das Pendant Justice League und hat mit Suicide Squad einen ersten Vorstoß ins Feld der vereinten Super(anti)heldinnen und Helden gewagt. In Suicide Squad müssen ein paar Superschurken gegen das Böse kämpfen. Knallig, poppig und verrückt sollte es werden. So hat Warners Marketing-Abteilung den Film immer und immer wieder angekündigt und die Erwartungen der Fans ins Unermessliche gesteigert. So lange, bis schließlich alle nur noch enttäuscht werden konnten. Suicide Squad war nicht die versprochene Erlösung des Genres, sondern nur eine weitere mittelmäßige Comicverfilmung, die außer verheizten Star-Schauspielerinnen (Margot Robbie) und Schauspielern (Jared Leto), schönen digitalen Effekten und einer typisch uninteressanten Story nichts zu bieten hatte. Wer knallig, poppig und verrückt will, sollte also lieber nochmal Scott Pilgrim vs. The World anschauen.

 

Independence Day 2

Wie ich unlängst in der Kritik zu Arrival geschrieben habe, sind Filme, in denen Aliens die Erde besuchen, meist schlecht. Die Fünfte Welle wäre eines dieser Beispiele. Im Fall von Independence Day 2 von einer Enttäuschung zu sprechen, wäre allerdings auch falsch, denn bei einem Roland Emmerich Film erwarte ich de facto gar nichts mehr. Dass es dem Mann gelingt, selbst diese nicht vorhandenen Erwartungen noch regelmäßig zu unterbieten, grenzt fast schon an unerklärlichen, ‘lovecraftschen’ Wahnsinn.

 

 Blair Witch

Blair Witch hat das gemacht, was man heutzutage im Zweifelsfall immer macht, wenn man eine alte Marke aufwecken möchte. Man kopiert dreist gelungene Elemente aus den Vorgängern und hofft, dass diese Hommagen beim Publikum eine nostalgische Ektase auslösen. Wie katastrophal das schiefgehen kann, hat etwa Jurassic World bewiesen, dass diese Strategie auch funktionieren kann, zeigte J.J. Abrams mit Star Wars Episode 7.

Blair Witch reihte wahllos bekannte Elemente des ersten Teils aneinander, reicherte sie halbherzig mit neuen Ideen wie der Drohne an und warf dem Publikum so viele Jump-Scares zu, dass es nicht nur langweilig, sondern auch lächerlich wurde.

 

The Revenant

„Oh, was für ein Meisterwerk“ hieß es, als der Film von Amerika über den Teich herüber kam. Leonardo DiCaprio, der sich durch die Gefahren des wilden Westens kämpft, bekam für seinen dramatischen Kampf mit der Bärenmama letzten Endes seinen Oscar, den ihm das Social Web schon so lange so sehr vergönnt hat. Zwei weitere Oscars – darunter Best Achievement in Cinematography – konnte The Revenant ebenfalls ergattern. Zu Recht: Die Inszenierung und die Bilder waren wunderschön. Quasi jede Aufnahme könnte man als Standbild an die Wand hängen oder als romantischen Bildschirmhintergrund verwenden. Trotzdem stieß der Film in Europa auf mehr Ablehnung als in Amerika. Ein Grund (und das ist meine persönliche Spekulation) mag der etwas differenziertere Zugang zur Materie sein: Uns Europäerinnen und Europäern ist die harte und gefährliche Erschließung des Westens emotional einfach deutlich gleichgültiger als dem amerikanischen Publikum, dessen Leben auf dem gezeigten Grund und Boden stattfindet. Kurz: The Revenant war wunderschön und unglaublich fad.

 

Honorable Nennungen:

Bevor es zu fünf der besten Filme des Jahres geht, hier noch ein paar Filme, die deutlich besser als erwartet waren, beziehungsweise deutlich schlechter ausfallen hätten können.

 

Warcraft

Warcraft ist eine der größten Marken der Spielgeschichte. Auch wenn sich einige Fans über die Verfilmung aufregen, muss doch positiv erwähnt werden, wie brillant es gelungen ist, die tatsächliche Welt von Warcraft für den Bigscreen zu adaptieren. Nicht nur die Orks sehen fantastisch aus, auch die menschlichen Charaktere in ihren comichaften Rüstungen spiegeln die Optik des Spiels grandios. Spielverfilmungen gelingen selten. Warcraft kann sich stolz zur Liste jener Spielverfilmungen zählen, die nicht komplett an die Wand gefahren wurden. Auch für Menschen, die die Welt von Warcraft nicht kennen, bleibt ein fulminanter Sommerblockbuster.

 

Hateful Eight

Ich finde es immer aufregend, wenn man gespannt im Kino sitzt und darauf wartet, dass ein neuer Tarantino beginnt. Zu lange muss man auf seine Werke warten. Manche sind genial, manche weniger. Im Fall von Hateful Eight hat Tarantino ein fetziges Kammerspiel geliefert, das prinzipiell alles richtig macht, dem es aber ein bisschen an neuen Geschmacksnuancen fehlt. Ja, Hateful Eight war fein, aber es war nach Kill Bill 2 und Django Unchained nun eben seine dritte Western-Interpretation. Wir haben verstanden, dass ihm dieses Genre gefällt. Von einem Mann, der immer wieder betont, insgesamt nur 10 Filme machen zu wollen, würde ich persönlich mir noch ein paar Ausflüge in andere Genres wünschen. Wie wäre es mit einer trashigen Sci-Fi-Orgie à la Barbarella oder Flash Gordon? Oder wie wär’s mit einem harten Agenten-Thriller? Er würde ja so gern einen James Bond machen, wie er immer wieder betont.

 

Der Nachtmahr

Drogen, harter Techno, Wohlstandsverwahrlosung und die Pubertät: Eine Mischung, die für die 16-jährige Tina in Berlin in einem Horrortrip endet. Sie trifft auf eine Albtraumgestalt, die fortan immer wieder in ihrem Leben auftaucht und an der sie zu zerbrechen droht – wenn sie nicht lernt, mit ihren Dämonen zu leben. Horrorfilm ist Der Nachtmahr allerdings keiner. Viel mehr ist dem deutschen Regisseur Achim Bornhak ein gefühlvolles und außergewöhnliches Drama gelungen, das ein metaphorisches Bild über das Älterwerden zeichnet. Der Nachtmahr ist ein Coming-Of-Age-Drama, in dem eine junge Frau sich ihren Ängsten stellt und durch sie wächst. Gleichzeitig ist Der Nachtmahr aber auch ein Horror-Trip, nicht für uns Zusehende, aber doch für die Protagonistin. Ein außergewöhnliches filmisches Kleinod aus Deutschland, das zu den Ausnahmefilmen des letzten Jahres zählt.

 

Jungle Book

Wenn Disney etwas richtig gut kann, dann ist es bekannte Marken ordentlich zu melken. Marvel Superhelden fliegen uns alle paar Monate um die Ohren und jetzt gibt es auch noch jährlich einen neuen Star Wars Film. Doch wozu in die Ferne schweifen, wenn Disney doch auch selbst so zahlreiche große Marken wie Dschungelbuch oder Dornröschen besitzt? Was einst (1967!) gezeichnet wurde, wurde nun 2016 dank der modernen Technik als Realfilm neu inszeniert. Entgegen meinen Erwartungen hat die Neuinszenierung richtig toll funktioniert. Die digitalen Tiere sehen umwerfend aus, Balu singt sein Lied und die Inszenierung ist etwas düsterer und erwachsener geworden. Nach Jungle Book kann man hoffen, dass auch zukünftige Realverfilmungen aus dem Hause Disney gelingen werden.

 

Batman v Superman

Mit Man of Steel hat Zack Snyder einen der bekanntesten und umstrittensten Superhelden bombastisch auf die Leinwand gezaubert. Umstritten war auch die Verfilmung, die – wie viele Snyder-Filme – die Meinung des Publikums ziemlich spaltete. Auch die Fortsetzung Batman v Superman wurde von der Marketing-Abteilung vorab derart in den Himmel gehypt (siehe Suicide Squad), dass der fertige Film den Erwartungen unmöglich entsprechen konnte. Ernsthaft, liebe PR-Genies bei Warner: Überlegt euch mal, ob ein derartiges Hype-Theater auf lange Sicht gesund ist oder eher in einem Massengrab voll Superhelden enden wird. Ich fürchte, es läuft auf zweiteres hinaus. Batman v Superman war dennoch ein gelungener, düsterer Film. Ben Affleck als gealterter Batman hat – wider die Erwartungen – großartig funktioniert und auch Wonder Woman hat sich auf der großen Leinwand gut gemacht. Batman v Superman ist eine düstere, aber durchaus gelungene Comicverfilmung (für jene, die genug von den dümmlichen Marvel-Witzchen haben), die hauptsächlich an ihrer brillanten PR-Abteilung scheitert. Ein bisschen weniger Hype hätte dem Film wohl sehr gut getan.

 

Deadpool

Deadpool war ein Spaß. Eigentlich ist es eine ganz normale Comic-Realverfilmung, wie sie seit Iron Man (2008) in regelmäßigen Abständen über die Leinwände flimmern. Weder die Handlung noch die Kinematografie sind sonderlich hervorstechend. Weil Deadpool aber gern die vierte Wand bricht, das Publikum miteinbezieht und sich selbst von der ersten bis zur letzten Minute nicht allzu ernst nimmt, bleibt diese Comicverfilmung doch mehr in Erinnerung, als es etwa Captain America 3 oder X-Men: Apocalypse taten. Die übertriebene Gewaltdarstellung hatte der Film meines Erachtens gar nicht nötig. Übrigens: Auch Disney hat zum Jahresabschluss mit Doctor Strange eine – zumindest optische – Ausnahmecomicverfilmung hingelegt.

 

Die besten Filme des Jahres

Es folgen die (für mich) fünf besten und interessantesten Filme des Jahres. Einige Filme haben es leider knapp nicht in die Liste geschafft, in der ich versucht habe, Perlen aus möglichst vielen Genres zu nennen, um einen möglichst umfassenden Überblick über das Kinojahr zu ermöglichen.

 

Vor der Morgenröte

Josef Hader schlüpft in die Haut Stefan Zweigs und mimt den Schriftsteller in seinen letzten Exil-Jahren derart gut, dass man nach dem Kino gar nicht mehr weiß, wie der echte Herr Zweig ausgesehen hat. Episodenhaft werden seine letzten Jahre bis zu seinem Freitod in Brasilien dargestellt. Vor der Morgenröte ist ein Biopic, das nicht romantisch glorifiziert und dennoch die Größe eines der bedeutendsten Schriftsteller der deutschsprachigen Literatur respektvoll abbildet. Dass Salzburg, in dem Stefan Zweig vor seinem Exil lebte, in dem Film keine Rolle spielt, mögen die Leserinnen und Leser von Hallo-Salzburg bedauern, die Qualität des Films wird dadurch aber nicht gemindert.

 

Zootopia

Mit Zootopia hat das Animationsfilmimperium um die berühmteste Maus des Planeten eine äußerst gelungene Fabel auf das aktuelle politische Weltgeschehen gezaubert, die auf liebevolle Art zeigt, dass Hass und Populismus zu nichts führen, ohne die Moral dabei zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Sieht man sich die Wahlergebnisse der Amis an, muss man wohl sagen, dass sich zu wenige Zootopia angesehen oder sie den Film nicht verstanden haben. Wer Disney-Animationsfilme mag und Zootopia noch nicht gesehen hat, sollte diese amüsante Fabel um die Hasen-Polizistin Judy auf jeden Fall nachholen.

 

Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen

Kinofilme können vieles erreichen. Sie können uns das Fürchten lehren, sie können uns einfach unterhalten, sie können uns langweilen, sie können zum Nachdenken anregen. Selten erreichen sie aber, dass man das Kino verlässt und tatsächlich voller Hoffnung für die Zukunft der Menschheit ist. Die Dokumentation Tomorrow von und mit der Inglourious Basterds Hauptdarstellerin Mélanie Laurent ist ein solcher Film. Sie zeigt positive und fortschrittliche Vorreiterprojekte aus den Bereichen Agrarkultur, Finanzwirtschaft, Energiegewinnung, Bildung und Politik. Selbst wenn man nicht alle gezeigten Modelle für realistisch hält, sollte man den Film gesehen haben.

 

Arrival

Außerirdische kommen zur Erde und die Menschheit weiß nicht, wie sie damit umgehen soll. Im Gegensatz zu Emmerichs schundiger Katastrophe Independence Day 2 wird nicht gleich gefetzt, sondern zunächst vorsichtig Kontakt aufgenommen. Die Geschehnisse werden aus der Sicht einer Sprachwissenschaftlerin (Amy Adams) gezeigt, die sich sprachwissenschaftlich mit den Aliens auseinandersetzen muss. Arrival ist ein außergewöhnlicher Blockbuster, der ein oft gesehenes Szenario in neuem Licht präsentiert. Man kann sich nur mehr solche Projekte aus Hollywood wünschen.

 

The Neon Demon

Nicolas Winding Refn (Drive, Only God Forgives) hat es schon wieder getan. Mit The Neon Demon hat er die eine Hälfte des Publikums – darunter mich – mit seiner prätentiösen Kinematografie verzaubert, während sich die andere Hälfte durch die übertrieben arrogante Bildsprache und die eine oder andere eklige Szene angewidert abgewendet hat. Aber anders will es dieser Mann auch gar nicht haben. Refn weiß, dass er inszenieren kann und macht kein Hehl daraus, sein Können seinem Publikum aus vollen Rohren ins Gesicht zu schmettern. Das muss nicht jedem gefallen. Meines Erachtens gibt es hinter der Kamera derzeit nur ganz wenige, die es mit seiner Bildsprache aufnehmen können. Sie vermag mich zu begeistern, selbst wenn er mir etwas über Models erzählt und das macht The Neon Demon zu meinem persönlichen Film des Jahres 2016.

Das Titelbild stammt aus meiner Feder.

Hab ich einen Must-See verpasst? Stimmt ihr mir nicht zu? Ich freu mich über Kommentare!

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