Der Politische Aschermittwoch ist immer auch ein Kräftemessen. In diesem Jahr hatte die SPD mit 5000 Besucher_innen klar die Nase vorne, auch wenn es sich die CSU nicht nehmen ließ, alternative Fakten zu präsentieren. Trotz 4000 offizieller Besucher_innen beim Polit-Stammtisch der Union (CDU/CSU) sprach deren Generalsekretär Andreas Scheuer davon, die gefühlte Mehrheit zu sein. Grund genug für den designierten SPD-Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten Martin Schulz, dagegenzuhalten:
“Herzliche Grüße an die gefühlte Mehrheit von der realen Mehrheit”
(Martin Schulz)
Mit zirka 1000 Besucher_innen lag im Übrigen die rechtspopulistische AfD an der abgeschlagenen dritten Stelle. Ehrengast war der Parteiobmann der FPÖ. Doch auch die anderen Veranstaltungen fanden unter starker österreichischer Beteiligung statt. Während Innenminister Sobotka (ÖVP) der CSU in Passau eine Flüchtlingsobergrenze für Deutschland empfahl, hielt Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) beim politischen Aschermittwoch der SPD eine der beiden Hauptreden. Der Salzburger SPÖ-Chef Walter Steidl sprach die Grußworte. Auch Hallo Salzburg war vor Ort dabei.
Tatsächlich herrschte im SPD-Zelt bei Blasmusik, Weißbier und Weißwürsten eine ausgelassene Stimmung, wie man sie in der SPD zuletzt nicht mehr gewöhnt war. Die Gäste hielten Schilder hoch, auf denen stand: “Zeit für Martin” und “Jetzt Schulz”. Darunter auch 150 österreichische Genoss_innen, die mit Bussen aus Salzburg, Oberösterreich, Wien und Niederösterreich angereist waren.
Eine neue sozialdemokratische Achse ist im Entstehen und sie heißt Martin Schulz und Christian Kern – der eine Bundeskanzler in Wien und der andere Bundeskanzler in Berlin.
(Walter Steidl)
Doch auch an die BayernSPD richtete Steidl seine Worte:
Ich weiß, was es heißt, wenn die Sozialdemokratie in der Regierungsverantwortung fehlt, so wie das bei uns in Salzburg aktuell der Fall ist. Da werden in der Wohnbauförderung Millionäre gefördert, Spitäler finanziell ausgeblutet und der öffentliche Personennahverkehr zu Tode gespart, die Kinderbetreuung verteuert und die Arbeitslosigkeit erreicht nie dagewesene Rekordwerte. Wir wollen das nächstes Jahr bei der Landtagswahl ändern.
Kern kann Bierzelt.
Hier spricht die Vorband von Martin Schulz
So begann der zweite Hauptredner neben Schulz seine erste politische Rede in einem Bierzelt überhaupt, wie der österreichische Bundeskanzler gestand und zeigte vor allem zu Beginn, dass ihm durchaus der Spagat zwischen Spitzzüngigkeit und Staatsmann gelingt.
Ich versuche mich im Genre der staatsmännischen Bierzeltrede
Mit einem Seitenhieb an CDU/CSU bedankte er sich gleich zu Beginn “artig”, dass ihn die bayerischen Nachbarn (noch) ohne Maut einreisen haben lassen. Freilich sei Bayern aber quasi ein Heimspiel, erinnerte Kern an ein Zitat von Bruno Kreisky: “Nicht mehr in Österreich, aber noch nicht in Deutschland.” Der Hauptinhalt seiner Rede betraf einerseits den Umgang mit dem Rechtspopulismus, der mit der AfD auch Deutschland erreicht hat, Digitalisierung als dringendste Herausforderung der Sozialdemokratie und die Zukunft des Friedensprojekts Europa.
Da hat Vilimsky (FPÖ) sich endlich an allen Bodyguards vorbeigekämpft und alle Hürden überwunden, um dann auf seiner Facebookseite ein Selfie mit Donald Trump mit dem Kommentar: »Jetzt, wo ich mich aus nächster Nähe über ihn informieren und ihm zuhören konnte, finde ich ihn noch besser“ posten zu können«
Die große Stärke der Rechtspopulist_innen liege darin, dass sie Ängste in der Bevölkerung ansprechen, ihre große Schwäche darin, dass sie keine Lösungen haben, schilderte Christian Kern seine Erfahrung mit der rechtspopulistischen Politik, wie sie sich in Österreich bereits seit Ende der 1980er-Jahre etabliert hat. Ihre Gefahr bestünde darin, dass sie die Angst noch schüren und die Menschen gegeneinander aufhetzen. Mit Blick auf die Sympathien der Rechtspopulist_innen zu Donald Trump meinte Kern daher:
Für die Reichen Sekt und Kaviar, für den Rest eine Mauer
(bezogen auf das Trump-Kabinett, das 14 Milliarden Dollar schwer ist)
Die Aufgabe der Sozialdemokratie ist es, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen, aber gleichzeitig Lösungen zu bieten, so der österreichische Kanzler. Hohe Arbeitslosigkeit, stagnierende Löhne, ein Viertel der Europäer_innen befindet sich in prekären Jobs, nannte Christian Kern nur einige Herausforderungen und nahm diese zum Anlass für eine konstruktive Kritik an der Europäischen Union.
Kern Kritik an der EU war streng genommen ein Plädoyer für Europa. Europa müsse zusammenhalten, denn Nationalismus bedeute Abschottung und Spaltung, bedeute Krieg. Gerade in Zeiten wie diesen sei das Friedensprojekt keine Selbstverständlichkeit mehr.
Wir sind in der Nacht ins Bett gegangen und mit dem Brexit aufgewacht. Wir sind in der Nacht ins Bett gegangen und mit Donald Trump aufgewacht.
„Ein Europa, in dem es Länder gibt, in denen fast die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos ist, kann niemals stabil sein“, fordert er eine Europäische Union, die stärker von Solidarität geprägt ist. Er forderte eine europäische Politik des Miteinander, gegen das Aufhetzen von Menschen, für eine Politik der Hoffnung. Eine Politik der Heimatliebe, gegen Nationalismus. Dafür aber braucht es laut Christian Kern eine starke europäische Sozialdemokratie, weshalb er zum Ende seiner Rede in die Menge rief:
„Schmidt, Schröder, Schulz – das hört sich doch wirklich logisch an oder?“
Jetzt ist Schulz
Großer Höhepunkt des diesjährigen politischen Aschermittwochs war dann die Rede des designierten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, der in Umfragen innerhalb nur weniger Wochen in Umfragen bereits Angela Merkel überholte. Er bezog sich in seiner Rede immer wieder auf Kern und stellte auch ähnliche Themen in den Mittelpunkt: Europa, Gerechtigkeit in Deutschland, aber auch die Pressefreiheit, welche es zu verteidigen gäbe.
Es ist die Aufgabe der Journalist_innen der Politik kritische Fragen zu stellen. […]. Freie Berichterstattung ist überlebenswichtig für die Demokratie.
Hier die vollständige Rede von Martin Schulz:
Historischer Hintergrund zum politischen Aschermittwoch
Obwohl der politische Aschermittwoch im katholischen Bayern seinen Ursprung hat, hat er nur wenig mit Fasten zutun. Die Wurzeln reichen ins 16. Jahrhundert zurück, als Bauern bei einem Vieh- und Rossmarkt nicht nur über Preise feilschten, sondern auch heftig über die königlich-bayerische Politik diskutierten. Als eigentliches Geburtsjahr gilt jedoch das Jahr 1919, als der Bayerische Bauenrbund erstmals zu einer Kundgebung aufrief. Von 1919 bis zu Beginn der NS-Diktatur war der politische Aschermittwoch vor allem das Forum verschiedener Bauernparteien.
Eine Großveranstaltung gab es erst wieder 1927 durch den Bayerischen Christlichen Bauernverein. 1932 traten zum ersten Mal mehrere Parteien in verschiedenen Veranstaltungen auf, wobei unter ihnen die NSDAP den stärksten Zulauf erhielt. Ab 1934 war der politische Aschermittwoch ausschließlich das Forum der NSDAP. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es schließlich Franz Josef Strauß im Jahr 1953, der mit der CSU die Tradition wieder ins Leben rief. Während die ersten Jahre der Auseinandersetzung hauptsächlich dem Disput zwischen CSU und Bayernpartei galten, folgte die SPD im Jahr 1965 mit ihrem eigenen politischen Aschermittwoch nach. Nachdem die CSU im Laufe der Jahre in die Dreiländerhalle nach Passau übersiedelte, ist die SPD die einzige Partei, welche den Aschermittwoch noch heute am historischen Ursprungsort begeht. Seitdem mit der AFD auch das rechte Lager in Deutschland “salonfähig” geworden ist, gesellte sich auch diese mit einer Großveranstaltung dazu.
Fotos: Arne Müseler