Politik

Wie direkt soll die Demokratie in Österreich sein?

posted by Jutta Moser-Daringer 10. Januar 2018 0 comments

Ein Standpunkt.

Große Ankündigungen im Wahlkampf gefolgt von Jubelmeldungen quer durch alle Medien, denn die neue türkis-blaue Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte versprochen, die direkte Demokratie in Österreich auszubauen, um den Menschen mehr Teilhabe zu ermöglichen. Die Ernüchterung ist bitter, denn der Beschluss, auf den sich die beiden Regierungsparteien einigen konnten, wird kaum dazu führen, dass mehr direkte Demokratie in Österreich möglich wird.

Hinzu kommt, dass die Änderungen im Bereich der direkten Demokratie unter dem Titel „Stärkung der Demokratie“ im Regierungsprogramm zu finden sind. Leider findet sich abseits der direkten Demokratie überhaupt kein Ansatz, um die Demokratie in Österreich zu stärken, obwohl Demokratie weitaus mehr bedeutet, als ein Stimmrecht zu haben. Maßnahmen, die eine Schwächung der Demokratie in Österreich bedeuten, finden sich allerdings sehr wohl im Programm und noch mehr in den Aussagen vieler türkis-blauer Politiker_innen.

Demokratie: Mehr als nur wählen zu gehen!

Wenn man sich die Regierungssysteme weltweit näher ansieht, dann muss man festhalten, dass etwa drei Viertel aller Staaten (zumindest im weitesten Sinne) demokratisch organisiert sind. Darunter gibt es sehr starke, gut ausgebaute Demokratien, es gibt aber auch Staaten, die sehr schwache demokratische Strukturen aufweisen. Zu letzteren zählen vor allem jene Staaten, in denen sich die Demokratie darauf beschränkt, dass die Menschen wählen dürfen. Das Wahlrecht an sich ist also noch kein Garant für eine starke Demokratie. Es braucht wesentlich mehr. Es braucht z. B. einen funktionieren Rechtsstaat, Gewaltenteilung, (Präventiv-)Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, unabhängige Richter_innen. Hinzu kommt, dass es eine Reihe von Grund- und Menschenrechten braucht, damit Menschen ihr Wahlrecht überhaupt ausüben können. Dazu zählen unter anderem das Versammlungsrecht, denn wie sollten sich sonst Parteien oder „Bewegungen“ gründen? Das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Demonstrationsrecht, das Recht auf eine freie, unabhängige Presse, um sich überhaupt informieren und in weiterer Folge auch überhaupt erst eine Wahlentscheidung treffen zu können. Man könnte diese Liste noch um viele Punkte ergänzen, doch soll die beispielhafte Aufzählung zeigen, dass das Recht, über etwas abzustimmen, noch lange nichts darüber aussagt, wie demokratisch ein Land organisiert ist.

Österreich ist nicht die Schweiz

Dennoch reduzieren viele leider die Frage, wie demokratisch Österreich ist, auf den Faktor der Mitbestimmung durch Wahlen. Die Forderung nach mehr direkter Demokratie in Österreich ist auch stets mit einem sehnsüchtigen Blick in die Schweiz verbunden, das als Paradebeispiel für die direkte Demokratie herangezogen wird. Dazu sollte man aber einerseits festhalten, dass selbst in der Schweiz, wo die direkte Demokratie eine lange Tradition hat, auch bei Volksabstimmungen eine eher geringe Beteiligungsrate vorherrscht. Im Zeitraum von 1971 bis 2010 nahmen im Schnitt 42,5 Prozent der Schweizer an den Abstimmungen auf Bundesebene teil. Dabei zeigt sich, dass die Teilnahme sinkt, je komplexer das Thema ist und je häufiger eine Abstimmung erfolgt. Immerhin gibt es Abstimmungstage, an denen über bis zu zehn Themen abgestimmt werden kann. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung auf Bundesebene lag im selben Zeitraum bei 47,8 Prozent. Das ist zugleich eine der Gefahren, die die direkte Demokratie mit sich bringt: Dass eine Minderheit über die Mehrheit entscheidet.

Beispiel: Ende der Wehrpflicht?

Ein gutes Beispiel in Österreich ist die Abstimmung über die Beibehaltung der Wehrpflicht und des Zivildienstes. Männer, die älter als 50 Jahre waren und selbst Grundwehrdiener stimmten eher für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Junge und Frauen wiederum stimmten eher für das Berufsheer. Daher sprach man nach Verkündung des Abstimmungsergebnisses auch davon, dass „die Alten über die Zukunft der Jungen“ entschieden haben. Ob das gerecht ist, mag man bezweifeln.

Hinzu kommt, dass eine sehr komplexe Frage, wie die Zukunft und die Organisation unseres österreichischen Bundesheeres, auf eine simple Ja/Nein Frage reduziert wurde. Die Frage des Zivildienstes wurde damit ebenso vermischt. So gab es etwa einige, die sich z. B. aus Sorge um die Aufrechterhaltung unserer sozialen Dienstleistungen beim Wegfall der Zivildiener für die Beibehaltung des bestehenden Systems ausgesprochen haben, obwohl sie losgelöst von dieser Frage für ein Berufsheer gestimmt hätten. In weiterer Folge ist die Debatte über ein mögliches Berufsheer damit für längere Zeit beendet, denn die Bevölkerung hatte ja die Wahl und hat sich dagegen entschieden.

Die repräsentative Demokratie in Österreich

Die repräsentative Demokratie in Österreich muss sich im Vergleich mit dem politischen System in der Schweiz nicht verstecken. Der anerkannte Polity IV Index etwa bewertet das repräsentative demokratische System Österreichs mit der Bestnote 10. Wir wählen bei den Nationalratswahlen jene Abgeordnete aus unserer Heimat-Region, bei denen wir unsere Interessen am ehesten gewahrt glauben. Die Abgeordneten wählen dann nicht nur die Regierung sondern können auch durch das Initiativrecht Anträge im Nationalrat einbringen. Diese Anträge werden in Fachausschüssen behandelt, in denen Abgeordnete aus allen Fraktionen vertreten sind und Expert_innen hinzugezogen werden. Wenn auch sehr verkürzt, so ist das doch das Fundament, auf dem politische Entscheidungen in Österreich zustande kommen.

Das System der repräsentativen Demokratie in Österreich hat sich bislang gut bewährt, auch wenn es durchaus reformiert werden könnte, um noch demokratischer zu sein. Für viele Menschen in Österreich ist es zum Beispiel schwer, ein politisches Mandat anzunehmen, weil es mit dem Brotberuf nicht vereinbar ist. Da könnte man durchaus Reformen überlegen udn angehen.

Wenn aber die neue türkis-blaue Regierung davon spricht, die Demokratie in Österreich durch den Ausbau der direkten Demokratie zu stärken, den Ausbau dann saber so gestaltet, dass kaum mehr Beteiligung möglich sein wird und dabei auch noch die Besonderheiten der repräsentativen Demokratie in Österreich außer Acht gelassen werden, dann ist das nichts weiter als reinster Populismus. Vor allem wenn zeitgleich darüber diskutiert wird, das Demonstrationsrecht und die Pressefreiheit unter dem Schlagwort der „Fake News“ einzuschränken oder auch den Überwachungsstaat in Österreich auszubauen.

 

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