Politik

Was bleibt von der Silvesternacht in Köln?

posted by Janine Heinz 22. Juni 2016 0 comments

Über sexuelle Gewalt und rechte Doppelmoral.

Wir erinnern uns alle an die schrecklichen Vorkommnisse der Silvesternacht in Köln und anderen Städten, in der über 150 Tatverdächtige Frauen sexuell belästigt, gedemütigt und bestohlen haben. Der mediale Aufschrei war groß, ebenso jene von rechten Gruppierungen wie der FPÖ und AfD.  Die Vergehen wurden für rechte Stimmungsmache instrumentalisiert, man müsse „unsere Frauen“ schützen.

Das engstirnige und vorurteilsbehaftete Bild des barbarischen, vom Sexualtrieb gesteuerten arabischen Mann prägte viele Diskussionen.

Dass dabei in erster Linie über und nicht mit den Opfern dieser Übergriffe einerseits, sowie mit „dem Feindbild“, also männlichen Geflüchteten, andererseits gesprochen wurde, überrascht wenig. Dass sexuelle und sexualisierte Übergriffe von Einheimischen auf einheimische Frauen ebenso verübt werden, wurde in diesem Diskurs meist ausgeblendet.

Die rechtsnationale FPÖ reagierte entsprechend: „Willkommensklatscher sollen umdenken“, „importierte Kriminalität“ und „Ausgangssperre für Asylwerber“.[1] Vor allem jene, die sich letztes Jahr noch vehement gegen die Erweiterung des Strafrechts um den sogenannten „Po-Grapsch-Paragrafen“ – der den Tatbestand der sexuellen Belästigung weiter fasst als zuvor – gewehrt haben, wurden dadurch die selbsternannten Frauenrechtler. Dass es in Deutschland derzeit überhaupt keine strafrechtlichen Möglichkeiten zur Verfolgung sexueller Belästigung und unerwünschten Berührungen bei Erwachsenen gibt, wurde meist ausgeblendet. Der öffentliche Konsens schien zu sein: „Wir müssen unsere Frauen schützen!“ Wer damals schon befürchtete, dass die Diskussionen wenig zur Verbesserung von Opferschutz und einer senisbilisierteren Wahrnehmung beitragen würden, wurde als linkslinke Emanze abgetan, die die Augen vor der Realität verschließe.

Nun ist mit Gina-Lisa Lohfink eine „unserer“ Frauen betroffen.
Gina-Lisa_Lohfink_by_Zeno-BressonSie wurde augenscheinlich von zwei Männern außer Gefecht gesetzt, die den unvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihr filmten und ins Internet stellten. Statt zu einer Veurteilung der beiden Männer wegen Vergewaltigung kam es so, dass Gina Lisa selbst zu einer Geldstrafe wegen falscher Verdächtigung verurteilt wurde. Solidaritätsbekundungen der breiten Öffentlichkeit? Ein Aufschrei nach erhöhten Sicherheitsmaßnahmen in Diskotheken? Das Verlangen nach höheren Strafen und einem verbesserten Opferschutz vor der Öffentlichkeit? Fehlanzeige. Leider ist dies auch nicht überraschend, die Täter sind schließlich keine Asylwerber oder Migranten.

Stattdessen wird die junge Frau öffentlich gedemüdigt und ihr das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung kollektiv aberkannt: „barbusig“, „Skandalnudel“, „blondes Wunder“, sind keine seltenen Ausdrücke in der Berichterstattung zum  Video, in dem Gina Lisa mehrmals „Nein“ und „Hör auf“ sagt. Sowohl der Großteil der Medien als auch jene, die sich wortwörtlich über Nacht selbst zu Feministen ernannt haben, entlarven sich selbst in ihrer Scheinheiligkeit: Kein Wort über strafrechtliche Verschärfung von Sexualdelikten, Opferschutz oder bessere Betreuung nach Übergriffen.

Rechte Doppelmoral.
Diese Abscheulichkeit im öffentlichen Diskurs hat zwei Gründe: Tatsächlich haben rechte Gruppierungen wie FPÖ und AfD keinerlei Interesse daran, Frauen zu schützen. Dies zeigt sich neben den fragwürdigen öffentlichen Auftritten auch in den Parteiprogrammen und dem politischen Bekenntnis zu Frauen, die darin im Idealfall nur in Zusammenhang mit Kindererziehung, dem Gebären und dem Haushalt vertreten sind. Das dürfte spätestens mit einem kürzlich aufgetauchten und sofort wieder entfernten Video eines FPÖ-Funktionärs klar geworden sein, in dem er sich an „die Herren Asylanten“ richtet und ihnen anhand einer Schaufensterpuppe erklärt, was sich in Österreich nicht gehört, denn „”Was man bei uns bestimmt nicht macht, ist beispielsweise in einer Diskothek Frauen zu bedrängen, ihnen an den Po zu fassen oder gar an den Busen zu fassen”.[2] Dass sich diese Botschaft ausschließlich an männliche Asylbewerber richtet, ist keine Überraschung.

Der weitere Grund liegt darin, dass Frauen in weiten Kreisen nach wie vor keine sexuelle Selbstbestimmung zugesprochen wird. Man könnte an dieser Stelle bereits über den Ausdruck „unsere Frauen“ diskutieren, aber das ginge zu weit. Zur Macht der Sprache wurde hier schon ausführlich geschrieben. Es geht vielmehr darum, wie Frauen in der Öffentlichkeit bewertet werden: Wer mit wenigen Männern Sex hat, ist eine alte Jungfer, wer mit vielen Männern Sex hat, eine Schlampe. Ebenso verhält es sich mit Kleidung: Wenig Haut wird als prüde bewertet, aber man darf ja nicht zu viel zeigen, sonst wirkt man billig.

So auch im Fall Gina Lisa: Einer Frau wird das Recht auf sexuelle Selbtsbestimmung, auf ein „Nein“ abgesprochen, weil ihr öffentliches Image von der Gesellschaft als „billig“ und „frei verfügbar“ gewertet wird. Und plötzlich sind jene, die sich nach Köln vor Solidaritätsbekundungen und Forderungen nach harten Strafen förmlich überschlugen, ganz still.

[1] http://www.fpoe-stmk.at/news-detail/fpoe-kunasek-ausgangssperre-fuer-asylwerber/
[2] http://kurier.at/politik/inland/fpoe-video-finger-weg-von-unseren-frauen/202.159.566/

Foto (Köln): Arne Müseler
Foto (Gina-Lisa Lohfink, Mallorca 2011): Zeno Bresson

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