Politik

Die ungleichen Staaten von Amerika

posted by Redaktion 14. September 2020 0 comments

Die nächste US-Präsidentschaftswahl findet am 3. November 2020 statt. Dazu werden wir die Vereinigten Staaten aus unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Blickwinkeln betrachten. Den Anfang macht ein Beitrag zum Stadt-Land-Gefälle: Eine größer werdende Ungleichheit wurde seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 zur ungewollten Triebfeder einer ganzen Nation.

Die USA gelten als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Doch für immer mehr Menschen ist der damit im Zusammenhang stehende „American Dream“ ausgeträumt. Eine größer werdende Ungleichheit – sei es beim Vermögen oder bei Aufstiegschancen – wurde seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 zur ungewollten „Triebfeder“ einer ganzen Nation. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass dieser Riss auch durch Stadt und Land geht.

Was mit einer Immobilienblase und dem Fall der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers begann, weitete sich ab dem Spätsommer 2007 zu einer globalen Finanzkrise aus. Mehrere Staaten sahen sich gezwungen, Finanzdienstleister und Banken finanziell abzusichern. In den USA hatte dies – wie vielerorts – einen massiven Anstieg der Staatsverschuldung zur Folge.

Diese Entwicklung traf auch die Kommunen hart, vor allem jene, die ohnehin schon mit wirtschaftlichen und strukturellen Problemen zu kämpfen hatten. Hinzu kam, dass während der Finanzkrise vermehrt auf das Wachstumspotenzial von Ballungsräumen und Metropolen gesetzt wurde, weshalb die finanzielle Kluft zwischen Stadt und Land weiter anstieg.

Ländliche Regionen im Kampf gegen die Landflucht

Besonders deutlich wird dies in den ländlich geprägten Counties (regionale Verwaltungseinheiten, Bezirken bzw. Landkreisen ähnlich). Dort kämpfen Kommunen seit Jahren um die Rückgewinnung verloren gegangener Jobs, vor allem für die Mittelschicht. Dies macht auch David Swenson von der Iowa State Universität große Sorgen. Der Wirtschaftswissenschaftler wies im vergangenen Jahr darauf hin, dass die mittelständische Bevölkerung am Land schrumpft, besonders in der Alterskohorte der 25- bis 54-Jährigen.

Laut Swenson blickt Amerika zwar generell auf eine lange Phase der Urbanisierung zurück, doch die negativen Folgen der Finanzkrise sind für ländliche Regionen beispiellos. Bevölkerungswachstum und neue Jobs entstanden zwischen 2008 und 2017 demnach fast nur in den Metropolregionen, also in jenen Counties, die große Zentralorte mit mindestens 50.000 EinwohnerInnen beheimaten oder die sich in unmittelbarer geografischer Nähe dazu befinden.

Metropolitan: Regionen mit Großstädten (50.000 EinwohnerInnen und mehr), Micropolitan: Regionen mit mittelgroßen Städten (10.000 bis 50.000 EinwohnerInnen), Rural: Ländliche Regionen ohne größere Zentralorte; Angaben in Prozent

Im Gegensatz dazu müssen beinahe 35 Prozent der ländlichen Bezirke einen langwierigen und signifikanten Bevölkerungsrückgang hinnehmen, wie eine Studie der New Hampshire Universität aus dem Jahr 2019 belegt. Dort leben zusammengenommen 6,2 Millionen Menschen – ein Drittel weniger als noch vor 70 Jahren. Auch hier gilt die Landflucht bzw. die Land-Stadt-Migration als größter Problemfaktor.

Die ExpertInnen sind sich einig, dass diese Regionen in Zukunft vermehrt Aufmerksamkeit benötigen. Es bleibt daher abzuwarten, ob das Thema beim bereits begonnenen US-Präsidentschaftswahlkampf eine zentrale Rolle spielen wird.

„Red State, Blue City“: Das politische Stadt-Land-Gefälle in den USA

Nach der Wahl im Jahr 2016 wurde das Stadt-Land-Gefälle zumindest aus dem parteipolitischen Blickwinkel diskutiert: Während Donald Trump den Großteil der (ländlichen) Counties gewann, konnte sich seine Herausforderin Hillary Clinton in 88 der 100 größten Ballungsräume durchsetzen. Warum dies so war, zeigten Nachwahlanalysen: Die AnhängerInnen von Trump und Clinton unterschieden sich demnach in drei Kriterien signifikant: in der Frequenz der Kirchenbesuche, in den erreichten Bildungsabschlüssen und darin, ob sie auf dem Land wohnen oder in urbanen Zentren;

Doch es gilt dabei noch einen weiteren Punkt zu beachten: Die Land-Stadt-Migration hat im Zusammenhang mit dem komplexen und veralteten Wahlrecht eine weitreichende Debatte zwischen DemokratInnen und RepublikanerInnen ausgelöst. Donald Trump erhielt nämlich deutlich weniger Stimmen als seine Herausforderin Hillary Clinton. Wie also konnte er dennoch US-Präsident werden?

Im amerikanischen Wahlrecht sind nicht die insgesamt abgegebenen Stimmen (Popular Vote) entscheidend, sondern die Anzahl der gewonnenen „Wahlmänner“ in den Bundesstaaten (Electoral College). Dies hat sich mittlerweile zu einem Nachteil für die DemokratInnen entwickelt. Zugespitzt lässt es sich folgendermaßen umschreiben: Während sich die WählerInnen der DemokratInnen immer stärker in den (vergleichsweise wenigen) Großstädten und Ballungsräumen bündeln, können sich die RepublikanerInnen und ihre AnhängerInnen „in der Fläche“ neu entfalten.

Neben diesem politischen Stadt-Land-Gefälle zählen die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise für ländliche Regionen sowie die Landflucht zu den großen Herausforderungen der kommenden Jahren. Bleibt zu hoffen, dass trotz des Wahlkampfes eine ehrliche Debatte darüber geführt werden kann, frei von Populismus und gegenseitigen Schuldzuweisungen.


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Titelbild: s99/iStock

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