Österreich hat einen neuen Bundeskanzler. Während die SPÖ Landesparteien nach dem erfolgreichen Königsmord von Werner Faymann letzte Woche mit einer Euphorie, die man schon gar nicht mehr kannte, für Kern plädierten, fragten sich viele Österreicher_innen. Wer ist dieser Kern? Obwohl Christian Kern so gar nicht dem typischen Erscheinungsbild eines Vertreters des linken Parteiflügels gilt, bekommt er durchaus auch aus dieser Richtung Rückenwind. So sprach etwa Robert Misik vor knapp einem Jahr in einem „Gedankenexperiment“ davon, dass der Niedergang der SPÖ mit einem Bundeskanzler Kern gestoppt werden könnte. In einer fingierten Parteivorsitzwahl der als kritisch bekannten Sektion 8, welcher nun die Realpolitik zuvor kam, stand Kern ebenso als „fiktive“ Alternative zu Faymann zur Wahl. Immerhin: Als die Österreichische Bundespolitik mit den Flüchtlingsströmen durch und nach Österreich überfordert schien, war es die ÖBB unter der Leitung von Kern, welche es schaffte, humanitäre Hilfe zu leisten, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren.
In der medialen Berichterstattung wiederum werden Vergleiche mit Franz Vranitzky gezogen. Ein Vergleich, den er bereits aus seiner Zeit beim VSStÖ in Wien kennen dürfte. Wurde er doch schon damals ob seines Faibles für passende Anzüge als Zentrist bezeichnet und als „Vranitzky-Boy“ abgestempelt. Die Presse bezeichnete Christian Kern kürzlich als einen Pragmatiker mit Linksdrall.
Kann ein Pragmatiker ein Linker sein?
Aus einer linken Perspektive erscheinen linke Politik und Pragmatismus oftmals wie Widersprüche. Pragmatisch zu sein wird aus dieser Warte mit „Umfallen“ und dem Verrat an der sozialistischen Ideologie zugunsten von ‚neoliberalen Konzepten‘ assoziiert. Tatsächlich handelt es sich dabei aber nur um einen scheinbaren Widerspruch. Kern erzählt selbst gerne die Geschichte, wonach er in seiner frühen Jugend den Berufswunsch Berufsrevolutionär gehegt habe, diesen Plan aber bereits nach der Lektüre der Tagesbücher Che Guevaras wieder verwarf.
Christian Kern – der Reformer
In seiner ersten Pressekonferenz gab Kern nun selbst einiges über seine politische Gesinnung sowie sein Politikverständnis Preis. So sprach er in seiner ersten Rede als designierter Bundeskanzler davon, dass die sozialdemokratischen Grundsätze wichtiger seien als der nackte Machterhalt. Wenn er spricht, hat man tatsächlich das Gefühl, dass er wirklich von den Vorzügen der Sozialdemokratie überzeugt ist. Eine Attitüde, die selten geworden ist. Sätze wie jene, dass die Sozialdemokratie in der Geschichte immer auf der richtigen Seite gestanden habe und daraus eine große Verantwortung erwachse, wirken, wenn er es sagt, erfrischend authentisch.
„Meine Aufgabe ist es nicht, die SPÖ in die Mitte zu führen, sondern sie in die Breite zu führen“ (Christian Kern)
„Meine Aufgabe ist es nicht, die SPÖ in die Mitte zu führen, sondern sie in die Breite zu führen“, macht Kern klar, dass es ihm nicht um einen Richtungsstreit, sondern darum geht, aus der SPÖ wieder eine Bewegung zu machen. Immerhin: In seinem neuen Regierungsteam finden sich beide Flügel: Verteidigunsgminister Doskozil am einen Ende, und Leute wie Leichtfried am anderen. Die Sozialdemokratie war immer dann erfolgreich, umreißt Christian Kern, wenn sie die Kraft des sozialen Aufstiegs, die Kraft der Modernisierung sowie die Kraft der Demokratisierung war. Reden kann er offensichtlich, der neue Bundeskanzler.
Kann jemand mit Wirtschaftskompetenz ein Linker sein?
Kern wird gerne attestiert, einer jener Sozialdemokrat_innen zu sein, die über Wirtschaftskompetenz verfügen. Immerhin hat er es geschafft, bei der ÖBB aus den maroden Staatsbahnen einen modernen und mittlerweile sogar innovativen Betrieb zu machen. In der SPÖ werden so genannte Menschen mit Wirtschaftskompetenz gerne argwöhnische betrachtet. Der Umstand immerhin, dass der ÖVP-Chefhaudegen Reinhold Lopatka Christian Kerns Wirtschaftskompetenz infrage gestellt hat, weil dieser die Arbeitszeiten der ÖBB-Angestellten verringert und die Gehälter erhöht hat, dürfte einige Sozialdemokrat_innen aufatmen lassen. Wie hoch Kerns Wirtschaftskompetenz wirklich ist, wird sich noch weisen. Tatsächlich aber zeigen die steigende Arbeitslosigkeit, stagnierende Reallöhne und die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich, dass es sozialdemokratische Antworten für die wirtschaftlichen Herausforderungen dieser Zeit braucht. In Zeiten von Globalisierung ist für ein rohstoffarmes Land wie Österreich Bildung die einzige Ressource, und soziale Frieden der wichtigste Faktor für die Standortattraktivität. Ja, es braucht sozialdemokratische Rezepte, um die Attraktivität Österreichs für die Wirtschaft aufrecht zu halten.
Kern, ein linker Pragmatiker mit Wirtschaftskompetenz?
Betreffend die sozialdemokratische Gretchenfrage, wie man es mit der FPÖ halte, hat Christian Kern gleich angedeutet, was Pragmatismus für ihn bedeutet. Kriterienkatalog ja, aber… Der erste Punkt im Kriterienkatalog für zukünftige Koalitionen mit egal welcher Partei müsse sein:
„Punkt 1: Wir arbeiten nicht mit Parteien zusammen, die gegen Menschen und Minderheiten hetzen. Punkt.“
Den oftmals bemühten Begriff des neuen politischen Stils betreffend meinte Kern in Richtung ÖVP, aber auch selbstkritisch, dass es keinen Sinn mache, dem anderen politischen Mitbewerber keinen Millimeter Erfolg zu gönnen. Klingt gut.
Ob der Plan Kerns, auch hinsichtlich eines „New Deals“ für Österreich bis 2025 gelingt, wird sich erst in den Taten zeigen und vermutlich auch davon abhängen, wie sehr die anderen (in und außerhalb der SPÖ) mittun. Denn eines machte Christian Kern ebenso zur Überraschung aller gleich zu Beginn klar. Er kann nicht am Wasser gehen.