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Optimismus als Pflicht. Ein großer Österreicher im Portrait.

posted by Markus Pausch 21. Februar 2017 0 comments
Buchbesprechung.
Robert Misik wirft mit seinem neuen Buch über Victor Adler ein paar Fragen auf, die von größter Aktualität sind.

Ein Buch über Victor Adler, den Gründer der österreichischen Sozialdemokratie, scheint im Jahr 2016 auf den ersten Blick nicht von brennender Aktualität. Außer einigen eingefleischten und historisch interessierten SozialdemokratInnen wird diese Abhandlung dann wohl auch kaum jemandem als Pflichtlektüre erscheinen. Doch so klein und bescheiden das Büchlein daherkommt, so groß sind die Fragen und Hinweise, die sich darin finden – nicht nur für Politiker_innen oder linke Parteigenoss_innen, sondern für alle, die sich für Österreich und seine Zukunft interessieren. Man lernt daraus einiges über die Geschichte der Demokratie in diesem Land, über Leadership, Authentizität oder die Macht der Medien. Und das alles auf nicht einmal 120 kleinformatigen Buchseiten, gut lesbar und mit zahlreichen Verweisen auf weiterführende Literatur.

Wie es sein kann, dass wir so wenig über diesen politischen Helden wissen; wie es sein kann, dass wir in Österreich bis heute lieber der Monarchie-Verherrlichung der Sissi-Filme anhängen als dem Heldenkampf für die Demokratie.

Victor Adler: Der größte Österreicher der politischen Geschichte?

Robert Misik beginnt mit der gewagten These, dass Victor Adler der „größte Österreicher der politischen Geschichte“ sei. Dieser Einstieg mutet sehr verwegen an, aber er macht auch neugierig. Leser_innen, die der Sozialdemokratie zuneigen, fragen sich dabei wohl: Worin sollte Adler, der nie eine österreichische Regierung anführte, größer sein als Kreisky oder Renner? Anhänger_innen des christlich-sozialen Lagers werden sich bei diesen Worten wundern, ob der Autor je von Figl oder Raab gehört hat. Ein beträchtlicher Teil der österreichischen Bevölkerung würde womöglich einwenden, dass doch Sissi und Franzl die beiden unumstrittenen politischen Idole unserer Geschichte seien. Über die Herren am rechtsnationalen Rand und deren Vorbilder ganz zu schweigen.

Dem Autor gelingt es aber Seite für Seite, seine These zu untermauern und aufzuzeigen, worin die Größe dieses Mannes bestand, der als Armenarzt begann und langsam zu einem der wichtigsten sozialdemokratischen Politiker Europas aufstieg. Misik beschreibt Victor Adler als einen Mann des Ausgleichs, der sein ganzes Leben lang von Widersprüchen umgeben war, sie aushielt und zwischen ihnen vermittelte. Er kam aus großbürgerlichem Haus, aus einer Welt der Bourgeoisie, und fühlte sich doch dem Wohle der Arbeiter_innen verpflichtet. Als Armenarzt versorgte er seine Patient_innen gratis und zahlte ihnen sogar noch die Medikamente, was ihn an die Grenzen des Ruins trieb. Er bezeichnete Optimismus als Pflicht und litt doch am eigenen Leben und zahlreichen Schicksalschlägen so sehr, dass ihm das Dasein zur Last wurde. Er war skeptisch gegenüber den Theorien und dem Intellektualismus seiner großen Kollegen und Freunde Bebel, Kautsky oder Bernstein, und war gleichzeitig durch und durch ein Mann des Intellekts, bester Freund und Arzt von Friedrich Engels, guter Bekannter von Trotzky und Lenin, Führungsfigur der europäischen Sozialist_innen, sowie Gründer zweier politischer Zeitungen. Er war ein vernunftorientierter Nachdenker und Schreiber, der doch in den entscheidenden Momenten zum unbeirrbaren Tatmensch wurde. Die 17 Gefängnisaufenthalte nutzte er zur Vorbereitung und Fortführung des Kampfes für ein demokratisches, freies und gerechtes Österreich. Was ihm gelang, ist in der Tat beeindruckend. Als Arzt rettete oder erleichterte er unmittelbar das Leben vieler Menschen, als Publizist und Journalist gründete er zwei Zeitungen, die zu zentralen Organen der sozialistischen Bewegung wurden. Als Politiker einigte er die zersplitterte Arbeiterbewegung in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, machte den 1. Mai zu einem friedlichen Protesttag, erkämpfte das Wahlrecht und ermöglichte durch seine besonnene Haltung den friedlichen Übergang von der Monarchie zur Demokratie. Einen Tag vor der Ausrufung der demokratischen Republik Deutsch-Österreich starb er im 66. Lebensjahr. Man fragt sich in Anbetracht dieser Lebensleistung tatsächlich, wie es sein kann, dass wir so wenig über diesen politischen Helden wissen; wie es sein kann, dass wir in Österreich bis heute lieber der Monarchie-Verherrlichung der Sissi-Filme anhängen als dem Heldenkampf für die Demokratie.

Zwischen den Zeilen: Aktuelle politische Fragen

Die beeindruckende Biographie von Victor Adler, die Robert Misik in Streiflichtern eingängig und spannend erzählt, ist aber nicht nur ein historisches Dokument. Der Autor, einer der zentralen linken politischen Denker Österreichs, wirft manchmal explizit, meist aber zwischen den Zeilen sehr geschickt eine Reihe von aktuellen politischen Fragen auf.

So zeigt das Buch, was echtes Leadership bedeutet, nämlich u.a. Authentizität, Fleiß, Vernunft, Abwägung und Entscheidungsfreude. Dass ein Mann so uneigennützig die eigene Existenz riskiert, um anderen zu helfen, ist etwas, das heute in der Politik kaum vorstellbar ist. In Zeiten, in denen nicht umsonst so mancher Sozialdemokrat als Genosse der Bosse bezeichnet wird, in denen Mindestsicherungen nach unten diskutiert werden, könnte Adlers Hinwendung zu den weniger Privilegierten eine Inspiration sein. Adler war authentisch, weil er die Menschen kannte und wusste, wie es ihnen ging. Er war fleißig und rackerte für seine Ziele, blieb dabei aber geduldig und rational. Er wog stets das Für und Wider ab, galt manchen als Bremser und war doch entscheidungsfreudig, wenn sich ein historisches Fenster öffnete. Robert Misik bezeichnet ihn ob dieser Eigenschaften auch zurecht als Vorbild.

Für die Sozialdemokratie untermauert das Buch, dass sie immer dann erfolgreich war, wenn sie konkrete Anliegen, glaubwürdige Führungsfiguren und starke Medienpräsenz hatte. Stets ging es um das richtige Maß zwischen Theorie und Realitätsnähe. Misik zeigt, dass Adler beileibe kein intellektuellenfeindlicher Populist war, aber auch nicht viel von abgehobenen Debatten als l’art pour l’art hielt. Er hatte wie später auch Kreisky die Fähigkeit, die Sprache der Arbeiter_innen genauso wie die der intellektuellen Eliten zu sprechen. Und er sah, ebenso wie später Kreisky, die Sozialdemokratie als moderne Bewegung – „modern“ im besten, aufklärerischen Wortsinn, orientiert an den Idealen Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Der Kampf um die Rechte der Arbeiter_innen und für die Demokratie wurde von Adler um die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert maßgeblich über seine Zeitungen geführt. Kreisky war in den 1970er Jahren der Held der Fernsehdebatten. Die Sozialdemokratie kam voran, wenn sie medial stark war, wenn sie mit ernst gemeinten Botschaften auftrat, ohne sich zu inszenieren. Heute hat sie im Kampf um die Meinungsführerschaft in den sozialen Medien großen Nachholbedarf.

Ich bin Optimist durch und durch, aus Temperament und aus Prinzip […].  Aus Prinzip, weil ich glaube, bemerkt zu haben, dass nur der Optimismus […] was zuwege bringt. Der Pessimismus ist seiner Natur nach impotent.
(Victor Adler)

Für sozialdemokratische Politiker_innen der Gegenwart ist das Buch auch in Hinblick auf die ewige Debatte zwischen nationalem und internationalem Sozialismus lehrreich. Adler war nicht allein Gründer der österreichischen Arbeiterpartei. Er war zentrale Figur in der Internationalen und eng mit anderen europäischen Sozialist_innen befreundet – ebenso wie später Kreisky. Demgegenüber machen sich die internationalen Kontakte heutiger österreichischer Politiker_innen sehr bescheiden aus. Adler hat auch nicht, wie das heute oft passiert, die Arbeiter_innen verschiedener Nationalitäten gegeneinander ausgespielt. Im Gegenteil: Er setzte sich mit einem erschütternden Bericht über das Elend tschechischer Ziegelarbeiter_innen in Favoriten für bessere Arbeitsbedingungen ein. Den Kampf für einen Sozialismus, der nicht vor der nationalstaatlichen Haustüre endet, haben Leute wie Adler und Kreisky mit Überzeugung gekämpft. Es ist umso erstaunlicher, wie schwer sich die Sozialdemokratie heute, in Zeiten der Globalisierung damit tut, ihren internationalistischen Kern wiederzubeleben.

Robert Misik weist auch mehrfach darauf hin, dass Victor Adler der Einiger einer gespaltenen Arbeiterbewegung war und auch später noch die Sozialdemokratie zusammenhielt. Die Passagen des Buches, in denen über die Kämpfe zwischen den linken Akteuren der Partei wie Adlers Sohn Friedrich und den eher rechtsgerichteten Vertretern wie Karl Renner berichtet wird, erinnern ein wenig an das heutige Match zwischen den progressiveren, international ausgerichteten Kräften und dem stark national orientierten Flügel um Doskozil und Niessl. Dass sich SP-Parteichef und Bundeskanzler Kern hier in einer ähnlichen Lage wie einst Adler sieht, ist nicht auszuschließen. Jedenfalls legt ein Zitat des Kanzlers am Buchrücken nahe, dass er zumindest eine gewisse Begeisterung für Adler mit dem Autor Misik teilt.

Hochaktuell sind schließlich auch Adlers Warnungen vor der österreichischen Gemütlichkeit – dass manches erreicht wurde, dürfe kein Grund sein, sich zurückzulehnen – und sein Aufruf zum Optimismus. Die Pessimisten haben die Welt noch nie verbessert. Gerade in schwierigen Zeiten sei Optimismus Pflicht.

Robert Misik hat mit „Victor Adler. Ein seltsamer Held“ ein inspirierendes, gut zu lesendes Buch vorgelegt. Es ist weniger eine kritische Biographie als die Verneigung vor einem Politiker, der in Österreich zweifellos unterschätzt wird. An manchen Stellen hätte der Autor in seinen Schlussfolgerungen für die Gegenwart expliziter werden, die gegenwärtige Politik, besonders die ihm nahestehende Sozialdemokratie noch mehr herausfordern können. Doch wer Hinweise für die Gegenwart herauslesen will, der findet auch so genügend Ansatzpunkte dafür.

Misik, Robert 2016: Victor Adler. Ein seltsamer Held, Picus Verlag

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