Es ist vollbracht! Hotel Rock’n’Roll komplementiert nach Nacktschnecken und Contact High die österreichische Sex, Drugs and Rock’n’Roll-Trilogie.
Das kleine Österreich hat eine kreative wie vielschichtige Filmszene. Neben den beiden Herren Haneke und Seidl tummeln sich in der österreichischen Filmlandschaft wahre Perlen aus geradezu allen Genres. Unter diesen außergewöhnlichen Kleinoden finden sich eben auch Nacktschnecken, Contact High und nun Hotel Rock’n’Roll, auch wenn ich mich in keiner Weise dazu bemächtigt fühle, diese Werke genauer zu kategorisieren.
In Hotel Rock’n’Roll erbt Mao (Pia Hierzegger) von einem Onkel ein heruntergewirtschaftetes Hotel irgendwo in der tiefsten Steiermark. Zusammen mit ihren Freunden Max (Michael Ostrowski) und Jerry (Gerald Votava) will sie das Hotel wieder auf Vordermann bringen. Besseres oder Vernünftigeres hat scheinbar sowieso keiner des Trios zu tun. Der Plan ist, eine Neuorientierung vorzunehmen: Das ganze Hotel soll im Glanz des Rock’n’Roll-Lifestyles erstrahlen. Das volle Programm soll geboten werden: Sex, Drogen und Rock’n’Roll. Die anfängliche Euphorie weicht allerdings der Ernüchterung, als Mao erfährt, dass sie mit dem Hotel auch die 170.000 Euro Schulden geerbt hat, die bis ‘übermorgen’ zu bezahlen sind. Andernfalls würde der durchtriebene Geschäftsmann Harry (Detlev Buck) den Laden übernehmen. Obwohl Max wie auch schon in den beiden Vorgänger-Filmen schnell mit gutgemeinten wie unsinnigen Plänen aufkreuzt, scheint die beste Option doch der Kofferraum der roten Corvette zu sein, die Schorschi (Georg Friedrich) zufälligerweise nach einem geglückten Banküberfall im Teich des Hotels versenkt hat. Schnell ergänzen die Polizei, ein Call-Girl, eine britische Single-Touristin, eine betrunkene Band und der Filialleiter der örtlichen Bank samt Gattin und Hund das wahnwitzige Ensemble.
Hotel Rock’n’Roll erklärt schon während des Vorspanns mit Texteinblendungen, was Sache ist. Der Film wird bunt, der Film wird laut, der Film wird verrückt und er nimmt sich selbst nicht völlig ernst. Es ist das, was wir nach Nacktschnecken und Contact High erwarten dürfen. Die Handlung ist – wie auch schon in den ersten Teilen – nicht direkt mit den anderen Filmen verknüpft, jedoch treten die meisten Charaktere in ihren alten Rollen wieder auf. Es schadet also nicht, die Vorgänger zu kennen, zumal es vermutlich eine sanftere Herangehensweise ist, als direkt und unvorbereitet in den Wahnsinn des Hotel Rock’n’Rolls geworfen zu werden. Wahnsinn ist an dieser Stelle keine Übertreibung.
Die Handlung dieses dritten Teils, bei dem der verstorbene Michael Glawogger leider nicht mehr Regie führen konnte, hängt selbst nicht mit den Vorgängern zusammen. Man sollte den Film dennoch im Kontext mit diesen sehen, da er als das unausweichliche Crescendo gesehen werden muss, das sich eben über die ersten beiden Filme aufgebaut und aufgebauscht hat. In Nacktschnecken ging es um Sex (und um Nacktschnecken). Nacktschnecken war lustig, aber verglichen zu dem, was da noch kommen sollte, geradezu harmlos. Drogen und Räusche kamen vor, spielten aber eine untergeordnete Rolle. Ihr Auftritt sollte in der Fortsetzung Contact High folgen, bei der die Freunde für Harry eine dubiose Tasche aus Polen abholen sollten, sich dann aber in einem Drogenrausch verloren und gewissermaßen auch wieder fanden. Nach geschätzten zwei Dritteln des Films verlor sich Contact High in einem gewaltigen Rausch. Zeit, Distanz und teilweise Schwerkraft wurden aufgehoben. Der Film lud das Publikum zum Contact High ein. Wem das zu viel des Guten war, der möge Hotel Rock’n’Roll lieber meiden, denn dieser Film führt uns nicht mehr behutsam zu diesem High, er bläst es uns von der ersten Minute an ins Gesicht. Die Heranführung erfolgte eineinhalb Filme lang: Hotel Rock’n’Roll ist das Finale. Der Film führt das berauschende Ende des Vorgängers direkt fort, garniert es aber mit (so einer Art) Rock’n’Roll. Es ist laut, es ist schrill, es ist wild, es ist absurd, es macht nicht immer Sinn und es wird nicht allen gefallen.
Das Ziel des Films und der Trilogie scheint eine filmische Umsetzung des Dionysischen zu sein, ganz nach Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Dichotomie apollinisch – dionysisch. Die apollinische Ordnung wird schon in Nacktschnecken zu Grabe getragen. Das Dionysische wird zelebriert. In Hotel Rock’n’Roll wird sogar ironisch „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ erwähnt, in welcher Friedrich Nietzsche eben jenes Begriffspaar populär gemacht hat. Auf diesen dionysischen Rausch muss sich das Publikum einstellen. Es muss bereit sein, sich in der Ekstase zu verlieren, darin zu ertrinken. Ganz so episch und griechisch ist die Trilogie dann aber doch nicht, denn ihre Charaktere bleiben die ganze Zeit in der Enge der österreichischen Gesellschaft und teilweise auch in der aufgezwungenen Kleingeistigkeit gefangen. Sie geben sich jedoch drei Filme lang größte Mühe, diese zu dehnen und damit klarzukommen. In Hotel Rock’n’Roll bekommen sie endlich die Party, die sie verdient haben und es kann Freude machen, diesen liebenswerten und chaotischen Figuren bei ihrem Fest zuzuschauen.
Ich schreibe ‚kann’, denn obwohl ich Hotel Rock’n’Roll bis zum äußersten genossen habe, ist es nachzuvollziehen, wenn jemand diese filmische Anarchie und die Glorifizierung des Wahnsinns nicht schätzt. Wer die Vorgänger kennt, weiß, was in gesteigerter Form zu erwarten ist und muss Hotel Rock’n’Roll schon allein wegen der Vollständigkeit sehen. Neulinge, die sich die Vorgänger nicht vorher ansehen, können sowohl positiv wie auch negativ überrascht werden. Für die einen ist der Film wohl einfach pures Vergnügen. Für andere dürfte er sich anfühlen, als hätte man Kebap zusammen mit Marihuana püriert und auf ein Stück Bauernbrot geschmiert und dann zu viel davon gegessen.
Hotel Rock’n’Roll ist weniger eine Frage von gut oder schlecht. Hotel Rock’n’Roll ist eher jenseits von Gut und Böse.
Hotel Rock’n’Roll
Regie: Helmut Köpping, Michael Ostrowski
Drehbuch: Michael Glawogger, Michael Ostrowski
Soundtrack: various
Cast: Pia Hierzegger, Gerald Votava, Michael Ostrowski, Detlev Buck, Hilde Dalik …
Laufzeit: 102 Minuten
FSK: unbekannt
Kinostart: 26.08.16 (AT)
Die Bilder stammen von der Presse-Seite des Films.