Gesellschaft

Social Freezing: Warum die Überwindung des weiblichen Körpers nur wenig mit der Freiheit von Frauen zu tun hat

posted by Rebekka Winter 25. Oktober 2016 0 comments

Ein Standpunkt.

Social Freezing ist nichts Neues. Das Einfrieren von Eizellen, um später Kinder zu bekommen, machte in Europa spätestens Schlagzeilen, als die großen US-Konzerne Apple und Facebook bekanntgaben, die Kosten zu übernehmen, sollten sich ihre weiblichen Angestellten dafür entscheiden. Social Freezing ist ein Begriff, der einen neuen Trend beschreibt. Frauen lassen sich Eizellen entnehmen und einfrieren, um später mit 40, 45 oder 50 Kinder zu bekommen. Die Eizellen werden bei -196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff gelagert. Die Methode wurde ursprünglich entwickelt, um Krebspatientinnen bei der Verwirklichung ihres Kinderwunsches zu helfen. Aggressive Krebstherapien können Eizellen schädigen. Durch die Entnahme und das Einfrieren gesunder Eizellen vor einer Krebstherapie steigt die Chance auf eine spätere Schwangerschaft. In Österreich ist Social Freezing bisher nur erlaubt, wenn eine medizinische Notwendigkeit besteht – wenn also die Gefahr besteht, dass die Patientin durch eine Krankheit oder die Behandlung einer Krankheit ihre Fortpflanzungsfähigkeit verliert.

Befürworter_innen von Social Freezing unterstreichen, dass Frauen nicht mehr vor die Wahl zwischen Karriere oder Familie gestellt sind.

Den weiblichen Körper überwinden?

Unternehmen, welche ihren weiblichen Angestellten dieses Prozedere bezahlen, argumentieren, ihnen damit entgegenzukommen. Dem beruflichen Fortkommen und der Karriere stünde also keine unerwartete Schwangerschaft mehr im Weg. Durch das Einfrieren von Eizellen können Frauen sich zu einem späteren Zeitpunkt in ihrer Karriere, wenn sie ihre berufliche Position bereits abgesichert haben, dem möglichen Kinderwunsch widmen. (Jungen) Frauen wird dabei suggeriert, dass Kinderwunsch und Karriereziele voneinander getrennt werden können, ohne auf eines der beiden verzichten zu müssen. Befürworter_innen von Social Freezing unterstreichen, dass Frauen nicht mehr vor die Wahl zwischen Karriere oder Familie gestellt sind. Biologische, sowie ökonomische Zwänge seien obsolet, lautet das Argument: Haben Frauen erst einmal die Möglichkeit, ihre Eizellen einfrieren zu lassen, können sie sich zu einem späteren Zeitpunkt in ihrem Leben befruchten lassen. In dem Film „Future Baby: how far do we go“, der im Rahmen des Forum Alpbach 2016 gezeigt wurde, rät Carl Djerassi, der in Wien geborene Erfinder der ersten Antibabypille, jungen Frauen, sich Eizellen entnehmen, einfrieren und sich dann in der Folge sterilisieren zu lassen. Dadurch ließe sich das leidige Verhütungsthema endlich umgehen. Unerwähnt bleibt oftmals, dass Schwangerschaften in höherem Alter für den weiblichen Körper (noch) anstrengender sind und höhere Risiken bergen. Kindererziehung erweist sich in höherem Alter für Männer wie auch Frauen als anstrengender.

Social Freezing bekämpft die Symptome einer Arbeitswelt, in der Frauen zwischen Karriere und Kinderwunsch entscheiden müssen.

Der andere Blickwinkel

Manche mögen nun Social Freezing mit der Überwindung biologischer und ökonomischer Zwänge gleichsetzen. Andererseits kann Social Freezing aber auch als die Unterwerfung des weiblichen Körpers unter ökonomische Strukturen verstanden werden. In Individualfällen mag Social Freezing überzeugend erscheinen. Die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen sind jedoch weitreichend. Es ist daher notwendig, die Sache auch aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Was uns hier als attraktive Lösung zur Überwindung des scheinbaren Widerspruchs zwischen Familie und Karriere präsentiert wird, scheint sich bei einem zweiten Blick als Symptombekämpfung zu entpuppen.

Social Freezing bekämpft die Symptome einer Arbeitswelt, in der Frauen sich entscheiden müssen: Was ist mir wichtiger? Meine Karriere und damit ein Stück Selbstverwirklichung oder der Wunsch Kinder zu bekommen? Anstatt endlich frauenfeindliche Strukturen der Arbeitswelt aufzubrechen, greifen Firmen in den weiblichen Organismus ein. Um ihre Eizellen einfrieren lassen zu können, muss eine Frau einen In-Vitro-Fertilisationszyklus durchführen lassen, damit die notwendige Anzahl an Eizellen zeitgleich heranreift. Dies geschieht durch die Einnahme hoher Hormondosen, welche psychisch als auch physisch belastend sind. Die körperlichen, strukturellen und finanziellen Kosten tragen zur Gänze die Frauen.

Die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen von Social Freezing sind noch nicht auszumachen. Was jetzt von großen Unternehmen noch als freiwillige Serviceleistung für Frauen finanziert wird, könnte mittelfristig zu einer Bedingung dafür werden, dass Frauen überhaupt Karriere machen können. Je mehr Frauen sich für diese Variante der Familienplanung entscheiden, desto höher wird auch der gesamtgesellschaftliche Druck.

Strukturelle Benachteiligung überwinden

Die Summen, die von Firmen aufgewendet werden, um Angestellten die Entnahme von Eizellen zu ermöglichen, könnten dafür aufgewendet werden, betriebliche Unterstützung für Familien zu finanzieren, beziehungsweise, um der strukturellen Benachteiligung von Frauen innerhalb des Berufslebens entgegenzuwirken. In den USA ist Social Freezing bereits von großer Bekanntheit. In Europa wurde dies Form des Eingriffes in die weibliche Familienplanung öffentlich diskutiert, nachdem Meldungen bekannt wurden, dass Apple und Facebook die Kosten für ihre Mitarbeiterinnen übernehmen. Tatsächlich aber besteht die Möglichkeit zum Einfrieren der Eizellen auch bereits in Europa. Wer googelt, wird sogleich ein Angobt finden, das Verfahren für 2500 Euro in Prag durchführen zu lassen – drei Jahre Lagerung inklusive.

Im Regelfall ist die Lagerung der Eizellen mit jährlichen Kosten verbunden. In diesem Fall drängt sich die Frage auf, was mit den eingefrorenen Eizellen passiert, wenn für die Lagerung nicht mehr bezahlt wird. Selbst, wenn dies vertraglich geregelt ist, werden doch ethische Bedenken laut. Was passiert mit den Eizellen? Werden sie entsorgt? Werden sie der Forschung zur Verfügung gestellt? Wie kann ich überprüfen, was mit den Eizellen passiert? Einmal mehr wird dadurch deutlich, dass die fortlaufenden Kosten, die mit Entnahme und Lagerung von Eizellen verbunden sind, ein gewisses Vermögen notwendig machen. Finanzielle Ungleichheit wird dadurch einmal mehr sichtbar. Die Behandlung ist vertraglich geregelt. Sind beide Partner_innen laut Vertrag Eigentümer_innen der gelagerten Eizellen, so wird im Falle einer Scheidung ebenso verhandelt wem diese zugesprochen werden. Theoretisch könnten die Eizellen also dem Partner oder der Partnerin der ursprünglichen Spenderin zugesprochen werden. Die Konsequenz dieses Szenarios kann daher sein, dass eine Frau das Recht auf ihre eigenen Eizellen verliert.

Social Freezing ist immer auch eine finanzielle Frage. Die hohen Kosten benachteiligen automatisch jene, die sich diesen medizinischen Eingriff nicht leisten können. War die Familiengründung schon immer – auch – eine finanzielle Entscheidung, so spielt bei der Kontostand bei diesem Trend eine noch zentralere Rolle. Sollte Social Freezing tatsächlich zur gesellschaftlichen Norm werden, würde das für viele Frauen eine Berufskarriere auch finanziell erschweren oder gar verunmöglichen. Der berufliche und gesellschaftliche Aufstieg ist somit für weniger Frauen möglich. Darüber hinaus wird Frauen die Wahl genommen – sie können nicht mehr frei entscheiden, wann sie Kinder bekommen wollen oder eben nicht. So liest man auf der Website einer Wiener Reproduktionsklinik, dass Social Freezing in den USA zur “Lifestyle-Maßnahme” avanciert sei. Social Freezing ist gewiss kein Trend, der von einen Tag auf den Anderen die Welt revolutioniert. Setzt sich die Praxis des Social Freezing aber durch, wird das vor allem zukünftige Generationen treffen. Das könnte bedeuten, dass zukünftig Frauen de facto nicht mehr selbst über den Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft entscheiden können.

Es gibt keine Garantie für eine Schwangerschaft

Von medizinischer Seite wird Frauen empfohlen, die Behandlung in ihren Zwanzigern durchzuführen, um junge Eizellen einfrieren zu können. Wenngleich Social Freezing eine Möglichkeit für Frauen darstellt, ihre Karriere nicht durch eine mögliche Schwangerschaft zu gefährden, besteht keine Garantie für eine Schwangerschaft zum gewünschten Zeitpunkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach einer künstlichen Befruchtung im Rahmen von Social Freezing ein Kind geboren wird, liegt bei etwa 20 bis 30 Prozent der Fälle.

Anstatt nun mit Hilfe der Medizin auch die Fortpflanzung ökonomischen Strukturen zu unterwerfen, könnte endlich Gleichbehandlung von Männern und Frauen ermöglicht werden. Die Möglichkeiten dazu hat der Gesetzesgeber: In vielen Familien verdienen Frauen (weit) weniger als Männer, weshalb es rein rational gesehen nahe liegend ist, dass Frauen in Karenz gehen. In einer Arbeitswelt, in welcher das Problem darin liegt, dass Frauen schwanger werden können, sollte besser die Arbeitswelt, und nicht die Frau hinterfragt werden. Social Freezing leistet keinen Beitrag zur Befreiung und Gleichberechtigung der Frau, sondern höchstens dazu, dass ihre Einstellung aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ein geringeres Risiko darstellt. Eine Alternative dazu könnte etwa sein, gesetzliche Ansprüche  und Pflichten von Männern, Verantwortung für die Familie zu übernehmen, zu erhöhen. Ein oft genanntes Argument lautet, dass Männer mit der Inanspruchnahme ihres Rechts auf Karenz Diskriminierung am Arbeitsplatz riskieren. Wäre die Karenz für Frauen und Männer verpflichtend, würde das Männer vor möglicher Diskriminierung schützen. Gleichzeitig hätten Frauen die Möglichkeit unter gleichen Bedingungen am Arbeitsmarkt teilzunehmen und müssten sich nicht zwischen Kind oder Karriere entscheiden.

Social Freezing ist eine weitere Option, die uns die moderne Medizin ermöglicht. Auf der Individualebene stellt Social Freezing eine attraktive Option für Frauen dar, die an ihrer Karriere arbeiten wollen oder keine Beziehung führen, aber einen Kinderwunsch haben. Gesamtgesellschaftlich betrachtet könnte es aber passieren, dass sich die finanzielle Ungleichheit sogar verschärft. Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass dadurch der Druck auf Frauen in der Berufswelt noch weiter ansteigt. Wer quasi gezwungen wird, seine eigenen Eizellen entnehmen zu lassen, um seine Karriechancen zu wahren, hat an Freiheit und Autonomie verloren.

Anstatt endlich Arbeitsstrukturen aufzubrechen und Frauen zu ermöglichen, Karriere und Kind unter einen Hut zu bringen, wird der weibliche Organismus manipuliert, um ihn der Arbeitswelt anzupassen.  


Foto: Martin Lambert

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