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Liebenswert: Begabt – Die Gleichung eines Lebens

posted by Johannes Mayrhofer 17. Juli 2017 0 comments

Filme sind etwas Magisches. Nicht nur, dass es mich trotz eines gewissen Grundwissens über die Funktionsweise von Fotografie und Film nach wie vor fasziniert, dass man die Realität mit einem Klick aufnehmen kann, nein, das Kino beziehungsweise der Film vollbringt es auch, Themen, die mich persönlich überhaupt nicht interessieren, spannend und aufregend aufzuarbeiten. Nehmen wir etwa Rush: Diesem Film gelingt es, mich als kompletten Formel 1-Muffel für diese Sportart zu begeistern. Ein toller Soundtrack, die spannend erzählte Geschichte um die Rivalität zwischen Niki Lauda (Daniel Brühl) und James Hunt (Chris Hemsworth) und die rasant inszenierten Rennen machen es möglich. Ähnlich geht es mir mit Nicolas Winding Refns The Neon Demon. Als ein wirkliches Wunder empfinde ich allerdings den Film Gifted. Gifted bringt mich zum Lachen, der Film rührt mich, er unterhält prächtig, wirft einige interessante Fragen auf und das alles bei einem Plot, der sich mehr oder weniger um Mathematik dreht. Daher wohl der deutsche Titel: Begabt – Die Gleichung eines Lebens. Das Unverständnis und Desinteresse für Mathematik wurde mir bereits in die Wiege gelegt und dennoch möchte ich den Film hier wärmstens empfehlen.

Gifted handelt von der sechsjährigen Mary Adler (Mckenna Grace) und ihrem Ziehvater Frank Adler (Chris Evans), die ein beschauliches Leben in einem heruntergekommenen Häuschen in Florida führen. Anstatt mit anderen Kindern zu spielen und ihre Kindheit zu genießen, beschäftigt sich die Kleine aber bevorzugt mit Mathematik. Ihre beste Freundin ist ihre Nachbarin Roberta (Octavia Spencer), die Frank und Mary liebevoll unter die Arme greift. Als Frank der kleinen Mary per Home Schooling alles beigebracht hat, was er weiß, nötigt er sie, in eine Volksschule zu gehen.

Mary, die im Kopf dreistellige Zahlen wacker multipliziert, ist in der ersten Klasse mit Aufgaben wie „drei mal drei“ dezent unterfordert und frustriert. Während Algebra ihr keine Schwierigkeiten bereitet, ist sie im sozialen Umgang mit ihren Mitschülerinnen und Schülern allerdings etwas überfordert und Frank wird öfters zur Direktorin beordert. Bonnie, Marys Klassenlehrerin (Jenny Slate), erkennt ihre außerordentlichen Fähigkeiten. Zusammen mit der Direktorin legt sie Frank nahe, die Kleine auf eine Schule für Hochbegabte zu schicken, was dieser ablehnt. Er möchte ihr einfach nur eine normale Kindheit bieten.

Eine normale Kindheit, wie sie Diane Adler – Franks Schwester – nie hatte, denn sie wurde von der ehrgeizigen Mutter Evelyn (Lindsay Duncan) von frühester Kindheit an zum Mathematikgenie gedrillt. Während Diane am Gebiet der Mathematik zu einer Koryphäe aufstieg, die sich ihr Leben lang mit dem Navier-Stokes Problem beschäftigte, dessen Lösung mit einer Million Dollar dotiert ist, lief es in ihrem Sozialleben weniger erfolgreich. Vor diesem Schicksal möchte Frank die junge Mary auf jeden Fall bewahren.

Kompliziert wird es, als Franks und Dianes Mutter Evelyn von ihrer hochbegabten Enkelin Mary erfährt und einen Sorgerechtsstreit lostritt, den sie vermutlich gewinnen wird. Frank fürchtet, dass Mary unter Evelyns Obhut ein ähnlich isoliertes Leben wie Diane erwartet, in dem sich alles um die Lösung mathematischer Probleme dreht. Kurz: Der komplette Albtraum. Vor Gericht ergeben sich mehrere Fragen: Ist es legitim, ein Genie derart zu fördern und sozial zu isolieren, wenn es dafür lernt, die größten Probleme der Menschheit zu lösen? Ist es okay, ein solches Genie nicht im entsprechenden Ausmaß zu fördern? Ist ein großes Haus mit reicher Großmutter ein besserer Ort als eine heruntergekommene Wohnung ohne Sozialversicherung? Während Frank und Evelyn jeweils sehr unterschiedliche Antworten auf diese Fragen haben, geht es letzten Endes darum, ob die beiden erkennen, dass es nicht um ihren eigenen Egoismus, sondern ausschließlich um das Wohl der kleinen Mary gehen sollte.

In seiner Handlung ist Gifted öfters vorhersehbar und das Drehbuch verliert sich gelegentlich in Klischees. Ob Mathematiker mit der typischen Inszenierung der schrägen Tafel, auf der jemand in Nahaufnahme mathematische Formeln kritzelt, zufrieden sein werden, kann ich nicht beurteilen.

Gifted mag es an großer Innovation fehlen, es bleibt aber ein herzensguter Film voller Witz, mit einigen richtig rührenden Szenen und einer zuckersüßen und fantastischen jungen Hauptdarstellerin.

Als Dramedy fährt der Film die emotionale Achterbahn einer typischen Scrubs-Folge ab und diese Formel geht auch in Gifted auf. Oscarmaterial ist Gifted, abgesehen von der tollen Hauptdarstellerin sicherlich nicht, ein verzückender und unterhaltsamer Film, bei dem man sich am Ende einfach gut fühlt, ist er aber allemal. Und wie eingangs erwähnt: Wenn ich das über einen Film schreibe, der von Mathematik handelt, dann gleicht das einem Wunder.

Gifted
dt. Titel: Begabt – Die Gleichung eines Lebens
Regie: Marc Webb
Drehbuch: Tom Flynn
Soundtrack: Rob Simonsen
Cast: Chris Evans, McKenna Grace, Lindsay Duncan, Jenny Slate, Octavia Spencer
Laufzeit: 102 Minuten
FSK: 6
Kinostart: 14.07.17 (AT)

Das Titelbild stammt von der offiziellen Website des Films.

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