Politik

Reform der Selbstverwaltung – die Zerschlagung einer bewährten Tradition?

posted by Heidi Hirschbichler 15. Februar 2018 0 comments
Kommentar

Es ist Zeit. Zeit für Neues. Zeit für Reformen. Das klingt gut. Ganz besonders gut klingt es, wenn man endlich die viel gepriesene Verwaltungsreform damit ankündigt. Und was bietet sich denn da Besseres an als eine Reform der Selbstverwaltung? Denn jede und jeder in diesem Land hat Erfahrungen mit den Sozialversicherungen machen können und da sind sich viele schnell einig, dass das Geld ja viel besser ausgegeben werden könnte als bislang. In diesem Zuzsammenhang spricht die neue Regierung dann gerne von „Ungerechtigkeiten“ und „Ineffizienzen“ im bestehenden System. Dem gegenüber stellt man Schlagwörter wie „Leistungsharmonisierung“ und „Effizienz“ für „das Neue“. Wie genau dieses „Neue“ aussehen soll, ist bislang zwar noch nicht bekannt, weil dafür braucht es zunächst Experten – das ist klar, denn bislang waren ja immer nur „Dilettant_innen“ am Werk. Jetzt endlich seien es Expert_innen. Das wichtigste dabei ist aber, dass es neu ist. Denn neu ist ja immer besser. Fragezeichen.

Dass bereits unter der rot-schwarzen Regierung an einer (wenn auch wesentlich kleineren) Reform der Selbstverwaltung gearbeitet wurde, wird dabei gerne unter den Teppich gekehrt, denn das passt nicht so ganz in das Bild des „alten Stillstandes“, der ja mit dem „neuen Stil“ vorbei sein soll. So wandelt man jetzt auf den Spuren von Wolfgang Schüssel und fordert wieder mal eine Reform der Sozialversicherungen. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass bereits unter der ersten schwarz-blauen Regierung ein drastischer Umbau des Sozialversicherungssystems stattfand oder zumindest geplant war. Bereits 2001 kam es nämlich in der schwarz-blauen Regierung zu einer Reform des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger. Bei dieser Reform hatte man mit einer Unvereinbarkeitsbestimmung den damaligen Präsidenten Hans Sallmutter entfernt, um eigene Funktionäre unterzubringen. Sallmutter war ja auch Präsident der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) und Vizepräsident des Gewerkschaftsbundes (ÖGB). Schon damals argumentierte die Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer bei einer Neujahrskonferenz der FPÖ: „Solche Leute brauchen wir nicht, wir brauchen Fachleute und Experten.“ Es folgten eine Neukonstruktion der Spitzengremien und der Ausschluss von Spitzenfunktionär_innen bei Kammern und Gewerkschaften aus dem Verwaltungsrat der österreichischen Verfassung. Die Reform scheiterte letzten Endes allerdings daran, dass der Verfassungsgerichtshof die gesamte neue Struktur des Hauptverbandes als verfassungswidrig einstufte. Das Werk angepriesener “Experti_innen”…

Lange Tradition der Selbstverwaltung

Dass der Verfassungsgerichtshof darüber entscheiden konnte, liegt daran, dass die  Selbstverwaltung in der österreichischen Verfassung verankert ist. Das macht auch Sinn, weil die Selbstverwaltung eine lange Tradition in Österreich hat. Sozialversicherungen wurden bereits vor rund 200 Jahren als Selbsthilfeorganisationen und Unterstützungsvereine gegründet. Schon damals wurden diese von den Arbeitnehmer_innen selbst verwaltet. Zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gab es noch rund 3.000 Sozialversicherungen in Österreich als selbstverwaltete Vereine.

Einer Studie der London School of Economics zufolge ist die österreichische Sozialversicherungs-Verwaltung nach Japan weltweit am sparsamsten.

Die Sozialversicherung verwaltet seit 1955 mit dem ASVG auf gesetzlicher Basis rechtliche und satzungsmäßige Ansprüche. Die Versicherten werden von Arbeitnehmer_innen- und Arbeitgeber_innenvertreter_innen betreut. So hat sich die Selbstverwaltung in diesen Zeiten mehr als bewährt und erhält auch demokratische Legitimation. Immerhin werden Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen gemäß den Ergebnissen der Wirtschafts- und Arbeiterkammerwahlen nach einem festgelegten Schlüssel in die Gremien der Selbstverwaltung entsandt. Darüber hinaus obliegt die Aufsichtspflicht dem Staat bzw. der Bundesregierung. So ist in jeder Gremiensitzung eine Vertreterin bzw. ein Vertreter der Aufsichtsbehörde anwesend, um auf die Gesetzmäßigkeit der Beschlüsse zu achten. Hinzu kommt, dass der Rechnungshof in regelmäßigen Abständen einzelne Sachbereiche auf ihre Gesetzmäßigkeit und ihre Wirtschaftlichkeit überprüft und sachliche Vorschläge zur effizienteren Versorgung macht. Jeder Sozialversicherungsträger hat darüber hinaus eine Innenrevision und eine Kontrollversammlung, die i.d.R. mehrheitlich aus Wirtschaftsvertreter_innen besteht, um eine ordnungsgemäße Verwaltungstätigkeit sowie eine sparsame und effiziente Gebarung zu gewährleisten. Die Selbstverwaltung agiert damit sehr nahe am Versicherten und kann rasch und unbürokratisch auf die Wünsche und Bedürfnisse der Versicherten reagieren. Die Verwaltungskosten sind damit im internationalen Vergleich sehr niedrig und betragen etwa 2-3 Prozent der Einnahmen. Einer Studie der London School of Economics zufolge ist die österreichische Sozialversicherungs-Verwaltung nach Japan weltweit am sparsamsten.

Das Vermögen der Salzburger_innen muss in Salzburg bleiben

Die Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK) ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie wichtig dabei auch die Aufrechterhaltung der regionalen Entscheidungskompetenz in der Krankenversicherung ist. So verfügt die SGKK über ein Vermögen von rund 280 Millionen Euro, das sich aus rund 30 Millionen Unterstützungsfondsrücklagen, 90 Millionen gesetzlich verpflichteter Leistungsrücklagen und so genannten freien Rücklagen zusammensetzt. Das ist das Vermögen der Salzburger_innen, das bei einer Fusionierung der Gebietskrankenkassen in den Topf der österreichischen Krankenkassen fließen würde. Viele regionale Projekte, die auch in guter und bewährter Kooperation mit dem Land Salzburg oder den Gemeinden ermöglicht werden, geraten dadurch in Gefahr.

Wenn also die neue Bundesregierung im Zuge der geplanten Krankenkassen-Zusammenlegung von einer „Leistungsharmonisierung“ und „Effizienz“ spricht, dann sind diese Schlagwörter mit sehr viel Vorsicht zu genießen. Die strukturellen Unterschiede zwischen den Bundesländern und den Berufsgruppen dürfen dabei auf jeden Fall nicht außer Acht gelassen werden.

Nicht jede Reform spart Geld

An dieser Stelle sei festgehalten, dass eine Fusionierung nicht automatisch bedeutet, dass damit Kosten eingespart werden können. Auch da lohnt sich nochmal ein Blick auf die schwarz-blaue Regierung unter Wolfgang Schüssel. 2002 kam es vor allem auf Betreiben der FPÖ zur Zusammenlegung der Pensionsversicherungsträger für ArbeiterInnen (PVArb) und Angestellte (PVAng). Diese Reorganisation wurde vom Rechnungshof zerpflückt, der feststellte: Dem bisherigen Fusionsaufwand von rd. 114,8 Mill. Euro standen weder konkrete Finanzziele noch eine tatsächliche Verringerung an Mitarbeitern gegenüber.“

Es kam nämlich zunächst zu einem Mitarbeiter_innenabbau, der mit einem Sozialplan bis 2021 abgefedert war. Kostenpunkt: 39,2 Millionen Euro. Durch den Mehraufwand für die Mitarbeiter, wie z.B. die Führung von Pensionskonten für alle ArbeitnehmerInnen, mussten auch wieder neue MitarbeiterInnen aufgenommen werden.

Die Schlagwörter mit denen die schwarz-blaue Regierung die Fusionierung rechtfertigte lauteten damals „Bürgerfreundlichkeit“ und „Dienstleistungsorientierung“. Volksnähe bedeutet aber auch Präsenz und dazu musste man die Landesstellen umbauen. In vielen Bundesländern fehlten dazu die entsprechenden Räumlichkeiten und das benötigte Personal. Nachdem die Regierung aber bemüht war, zu beweisen, wie schnell sie Reformen umsetzen kann, musste das alles bis Ende 2005 behoben sein. Der Zeitdruck und der mangelnde Wettbewerb führten oft zu unwirtschaftlichen Entscheidungen.

Zusammengefasst war Folgendes geschehen: In den Jahren 1999-2001, also noch in Zeiten der großen Koalition, konnten im Verwaltungsbereich 6 Prozent eingespart werden. Statt Verwaltungskosten i.d.H.v. 221 Millionen Euro sanken diese auf 206,5 Millionen Euro. Dann kam der schwarz-blaue Finanzminister Karl-Heinz Grasser und sprach von einer Fusionierung der Pensionsversicherungsträger, um künftig 36,3 Millionen Euro einzusparen. Letzten Endes stiegen die Kosten aber mit der Fusionierung auf 245,2 Millionen Euro und lagen damit wieder weit über den Kosten vor 1999.

Eine Fusionierung bedeutet nicht automatisch, dass man Geld im Verwaltungsbereich einsparen kann. Oftmals reichen kleine Verbesserungen im bestehenden System aus, um eine kosteneffizientere Verwaltung zu erzielen. Das sollte auch die neue Bundesregierung unter Kanzler Sebastian Kurz beachten, wenn sie mit Schlagwörtern wie „Leistungsharmonisierung“ und „Effizienz“, ein gut bewährtes, traditionsreiches Modell wie das der österreichischen Selbstverwaltung so gravierend umbauen will.

 


Titelbild / Bildausschnitt: Josef Moser

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