Politik

Salzburgs Frau in Europa

posted by Daniel Winter 6. März 2017 0 comments

Die Salzburger SPÖ-Politikerin und Zweite Landtagspräsidentin Gudrun Mosler-Törnström wurde bei der 31. Sitzung des Kongresses im Europarat zur Präsidentin gewählt. Damit übernahm erstmals eine Frau diese wichtige Funktion. Wir haben mit ihr gesprochen und sie zum Europarat und dem aufkeimenden Populismus in Europa und der Welt gefragt.

Die Menschen sehen die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, haben Zukunftsängste und fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen. Populisten schüren diese Angst, um unsere Gesellschaft zu spalten und Macht zu gewinnen.
(Gudrun Mosler-Törnström, Präsidentin des Kongresses der Regionen)

Da der Europarat oft mit der EU verwechselt wird: Was ist der Europarat?

Gudrun Mosler-Törnström: Der Europarat wurde 1949 gegründet. Ausschlaggebend waren die unzähligen Kriege in der Geschichte Europas, die im 2. Weltkrieg ihren grausamen Höhepunkt fanden und die Frage, wie wir Frieden sichern können. Die Aufgabe des Europarates ist es, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu fördern.
Der Kongress ist neben dem Menschenrechtsgerichtshof und der parlamentarischen Versammlung eine der drei Säulen des Europarates. Man könnte auch folgenden Vergleich ziehen: Der Kongress ist so etwas wie der europäische Städte- und Gemeindebund und die europäische Landeshauptleutekonferenz in Einem.

200.000 Gemeinden und Regionen aus 47 Ländern Europas sind im Kongress vertreten. Was ist seine Aufgabe?

Mosler-Törnström: Im Kongress treffen Kommunal- und Regionalpolitiker_innen aus 47 unterschiedlichen Ländern aufeinander, die mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, z. B. wenn es um Integration/Migration, die Ausdünnung des ländlichen Raums, den Zuzug in die Zentralräume, eine gute Kinder- und Senior_innenbetreuung usw. geht. Im Kongress können sich Politiker_innen austauschen und Best-Practice-Beispiele kennenlernen. Wir lernen voneinander. Ein unbezahlbarer Mehrwert. Die zentralen Aufgaben des Kongresses sind das „Monitoring“ und die Beobachtung von Wahlen auf lokaler und regionaler Ebene. Bei den Wahlbeobachtungen wird kontrolliert, ob die international gültigen Standards eingehalten werden, um eine geheime und freie Wahl zu garantieren. „Monitoring“ bedeutet, dass Mitgliedsländer alle fünf Jahre auf die Entwicklung von Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit hin geprüft werden. Grundlage dafür ist die Charta (Vertrag) der kommunalen Selbstverwaltung, die alle 47 Mitgliedsstaaten ratifiziert haben. Im Monitoring-Bericht finden die Länder Empfehlungen für die Weiterentwicklung ihres politischen Systems. Österreich wird nächstes Jahr wieder „gemonitored“.

Neuerdings geraten Demokratie und Menschenrechte auch in modernen Rechtsstaaten in die Defensive. Gleichzeitig erleben wir nationalen Populismus und antieuropäische Tendenzen. Müssten die Probleme nicht globaler angegangen werden?

Mosler-Törnström: Es gibt den Begriff der „Glokalisierung“, was so viel bedeutet, wie global denken, lokal handeln. Genau das passiert im Kongress.

Woher kommen die rechten Tendenzen? Warum sind Populist_innen weltweit so erfolgreich?

Mosler-Törnström: Die Menschen sehen die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, haben Zukunftsängste, fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen. Populist_innen schüren diese Angst, um unsere Gesellschaft zu spalten und Macht zu gewinnen. Ich habe gelesen, dass sich 20 Prozent der deutschen Jugendlichen nicht als Teil der Gesellschaft sehen. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Wie kann man diese Jugendlichen auffangen? Wie können wir ihnen ihre Ängste nehmen? Da sind die Gemeinde- und Landesebene besonders wichtig, weil sie am nächsten bei den Menschen sind. Zum Beispiel die Frage, wie wir mit Migration umgehen, braucht eine europäische Lösung, aber dazu muss weit mehr als bisher das Wissen der Gemeinde- und Landesebene einbezogen werden.

Außer der gemeinsamen Flagge hat der Europarat mit der EU institutionell nichts gemein. Braucht es ihn noch in Zeiten der EU?

Mosler-Törnström: Ohne funktionierende Demokratie gibt es keine funktionierende EU. Der Versuch, unsere demokratischen Systeme auszuhöhlen, zeigt einmal mehr die Notwendigkeit des Europarates. Für Nicht-EU-Länder ist der Europarat auch die einzige Institution, um sich mit anderen auszutauschen. Es gibt eine wichtige Zusammenarbeit, etwa bei Beitrittskandidaten. Die Monitoring-Berichte des Kongresses zeigen den Ist-Zustand der politischen Situation des geprüften Landes auf. Diese Ergebnisse fließen sehr wohl in die Entscheidungsfindung der EU, ob Aufnahme oder nicht, ein. Übrigens teilen wir nicht nur die Flagge, sondern auch die Hymne.

Was bedeutet das für den Beitrittskandidaten Türkei?

Mosler-Törnström: Ich beobachte die Entwicklung in der Türkei mit großer Sorge. Die Verhaftungswelle, die Einschränkung der Meinungsfreiheit und vieles mehr sind Beispiele, wo Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte zurückgedrängt werden. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass der Kongress erst bei Verletzungen auf Gemeinde- und Landesebene aktiv werden kann, was wir auch tun. Für Verletzungen auf nationaler Ebene sind im Europarat die parlamentarische Versammlung und der Menschenrechtskommissar zuständig, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Als man einige Bürgermeister in der Türkei des Amtes enthoben und durch Beamte ersetzt hat, wurde es eine Angelegenheit des Kongresses. Wir werden die Entwicklungen weiter beobachten, aber derzeit sind die Voraussetzungen für einen Beitritt nicht gegeben. Meiner Meinung nach sollten wir die Verhandlungen einfrieren.

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