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Sepp Forcher: “Damals gab es Planungssicherheit”

posted by Daniel Winter 15. November 2016 0 comments

200 Jahre ist Salzburg bei Österreich. Eine Zeitspanne, in der sich nicht nur die Machtstrukturen, sondern auch Arbeitsprozesse und Wohlstand massiv verändert haben. Dem Wirtschaftsaufschwung eines ‚goldenen Zeitalters‘ in den 1960er- bis 1980er-Jahren steht spätestens seit dem Millennium eine Zeit gegenüber, in der das Wort ‚Krise‘ die wirtschaftliche Entwicklung beschreibt. Der Wohlstand ist nach wie vor hoch, doch das Wirtschaftswachstum ungewohnt niedrig. Die Schere von Reich und Arm klafft sowohl bei den Einkommen, als auch bei den Vermögen auseinander und Erwerbstätigkeit ist längst kein Garant mehr für Wohlstand. Das Phänomen der ‚Working Poor‘ hat Europa und damit  auch Österreich erreicht: Menschen, die auf staatliche Leistungen wie die bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) angewiesen sind, obwohl sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Für junge Leute ist es mittlerweile sogar selbstverständlich, in unbezahlten Praktika ihre Arbeitskraft gratis zur Verfügung zu stellen.  Ein guter Anlass, diese Herausforderungen zu diskutieren, befanden die Veranstalter (BSA, Renner-Institut Salzburg, VSStÖ Salzburg) der gestrigen Podiumsdiskussion im Unipark Nonntal an der Universität Salzburg.

Kaprun war für mich das Tor zum Himmel. Mit 900 Schilling bin ich mir reich vorgekommen.
(Sepp Forcher)

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In der Nachkriegszeit waren Arbeit und Wohlstand eng verknüpft

Unter dem Titel „Arbeit und Wohlstand im Wandel“ diskutierten Sepp Forcher, SPÖ-Landesparteivorsitzender Walter Steidl, der Historiker Univ.-Professor Christian Dirninger und die Studentin Rebekka Mayrhofer (VSStÖ Salzburg) über den Zusammenhang von Arbeit und Wohlstand. Sepp Forcher arbeitete bis 1955 am Bau des Tauernkraftwerks Kaprun mit, weshalb seine Lebensgeschichte eng mit dem „Mythos Kaprun” verbunden ist. „Kaprun war für mich das Tor zum Himmel, weil da habe ich zum ersten Mal Geld verdient. Der Betrag von 900 Schilling im Monat war für mich in den 1950er-Jahren sehr viel Geld. Ich bin mir reich vorgekommen und konnte noch dazu in der Kantine so viel essen wie ich wollte.“ Er berichtete, dass Arbeit zum damaligen Zeitpunkt mit Aufstieg verbunden war und Sinn stiftete: „Wir haben damals kleinbürgerlich gedacht: Keine Schulden machen. Wir müssen etwas schaffen, damit es unseren Kindern besser geht. Man kann das auch animalisch nennen, man muss es nicht kleinbürgerlich nennen. Für meine Generation war klar: Wer genug arbeitet, der kann etwas weitergeben. Es gab Planungssicherheit.“

Wir arbeiten nicht, um das erste Mal Geld zu verdienen, wir arbeiten gratis!
(Rebekka Mayrhofer, VSStÖ Salzburg)

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Es gibt keine Planungssicherheit mehr

Dem gegenüber steht eine Generation von Menschen, denen erzählt wird, dass Bildung der Schlüssel zu Wohlstand sei. Verkörpert wurde dieser Generation – auch Generation Y genannt – von der Studentin Rebekka Mayrhofer: „Wir arbeiten nicht, um das erste Mal Geld zu verdienen, wir arbeiten gratis, in unzähligen Praktika. Unser Problem ist nicht, dass es uns nicht gut geht. Unser Problem ist, dass wir vom Wohlstand unserer Eltern abhängig sind. Arbeit ist auch für junge Menschen sinnstiftend. Aber es fehlt die Planungssicherheit und der Glaube daran, mit Arbeit zu Wohlstand zu kommen. Viele von uns wissen nicht einmal: Wo werde ich in fünf Jahren sein? In meiner Generation prallen Pessimismus und Optimismus aneinander. Optimismus bedeutet aber heute nicht mehr darauf zu vertrauen, dass alles besser wird, sondern: Hoffen, dass alles bleibt, wie es ist.“

Wenn du nicht bereit bist, Politik zu machen, dann wird mit dir Politik gemacht
(Walter Steidl, SPÖ-Landesvorsitzender)

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New Deal. Mit geringem Wachstum leben lernen.

„Die Zeit der 1950er- bis 1980er-Jahre waren der absolute Ausnahmezustand in der Geschichte, ein goldenes Zeitalter. Wir müssen lernen, mit einem geringen Wachstum zu leben. Wenn Bundeskanzler Christian Kern etwa von einem New Deal spricht, dann darf das nicht bedeuten, alte Lösungen zu kopieren, sondern neue Antworten auf die neuen Herausforderungen zu finden. Für Wohlstand ist nicht nur Wachstum, sondern auch die Verteilung von Einkommen und Vermögen relevant. In einer Zeit, in der Arbeit nicht mehr automatisch zu individuellem Wohlstand führt, müssen neue Wege gedacht werden“, befand der Historiker Univ.-Prof. Christian Dirninger. Diskutiert wurden in diesem Zusammenhang Ideen wie die Wertschöpfungsabgabe und das bedingungslose Grundeinkommen.

Eine Analyse, in der sich auch der SPÖ-Landesparteivorsitzende Walter Steidl bestätigt fühlte. „In den letzten Jahrzehnten wurde Arbeit vom Wirtschaftswachstum zunehmend entkoppelt. Löhne stagnieren, die Gewinne der größten Unternehmen steigen und gleichzeitig hat sich die Anzahl ihrer Beschäftigten reduziert. Eine Folge davon ist, dass das erwirtschaftete Wachstum der Realwirtschaft vorenthalten bleibt. Es wird weder konsumiert, noch investiert.“ Neben dem Bedarf nach neuen politischen Konzepten sieht Steidl auch die Notwendigkeit von mehr staatlichen Investitionen: „Die Finanzkrise wurde nicht durch staatliche Schulden, sondern durch private Verschuldung ausgelöst. Austeritätspolitik kann nicht die Antwort sein. Die öffentliche Hand muss in Bildung und ressourcenschonende Wirtschaftszweige investieren. Hier können wir auch auf regionaler Ebene etwas tun. In Salzburg bestünde etwa großes Potential, was die Ressource Holz angeht.“

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Podium einig: Es braucht Planungssicherheit

In einer konstruktiven Debatte waren sich die unterschiedlichen Personen am Podium einig, dass es vor allem in einer sich globalisierenden Welt eine starke Sozialpartnerschaft braucht. „Ich war Zeit meines beruflichen Lebens Gewerkschaftsmitglied. Sie hat geholfen, ohne dass man etwas dafür tun musste“, erklärte Sepp Forcher stolz und zeigte sich darüber erfreut, zu hören, dass auch die jüngste Vertreterin am Podium die Relevanz der Arbeiter_innenvertretung hervorstrich. Ebenso bestand der Konsens, dass gerade in einer von Flexibilisierung angetriebenen Welt Planungssicherheit erhalten bleiben muss. Für alle am Podium stand fest: Auch den Kindern der nächsten Generation muss es gut gehen.


Fotos: Arne Müseler

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